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Lehren aus der Leere? Ein Jahr Fußball in der Corona-Klemme

Vor einem Jahr zum 26. Spieltag 2020 rief die Deutsche Fußball Liga den Stillstand aus. Foto: Marijan Murat/dpa
Vor einem Jahr zum 26. Spieltag 2020 rief die Deutsche Fußball Liga den Stillstand aus. Foto: Marijan Murat/dpa

Es war vor dem 26. Spieltag 2020: Lockdown auch in der Bundesliga. Es dauerte länger als zunächst erhofft, bis es wieder losging und der Fußball in eine Corona-Dauerphase eintrat. Und jetzt?

Demut, kein Weiter-so, Lehren aus der Krise. Entfremdung, Sehnsucht, Hoffnung. Viele Schlagwörter stehen für ein Jahr Fußball unter Pandemie-Bedingungen. Oder genauer: Für den Profifußball.

Der Amateurbereich, die Basis des Volkssports, ist vielerorts über Monate zum Erliegen gekommen und ruht weitestgehend noch immer. Ungewissheit prägt den Sport.

„Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass wir zum Beispiel in 14 Tagen diese Partie austragen und zwei Wochen darauf jene. So eine Zeitstruktur, die sehr stark das Erleben prägt, fällt aus, weil wir im Augenblick gegenüber der Zukunft überhaupt keine Macht haben“, sagte Sportsoziologe Gunter Gebauer der Deutschen Presse-Agentur.

Es war vor einem Jahr, auch damals stand der 26. Spieltag an, als die Deutsche Fußball Liga den Stillstand ausrief. „Hintergrund ist unter anderem, dass sich im Lauf des Tages der Verdacht auf eine Infektion mit dem Corona-Virus im Umfeld mehrerer Clubs und von deren Mannschaften ergeben haben und weitere Infektionen nicht auszuschließen sind“, hieß es damals in der Erklärung.

„Zuvor wurde in der 2. Bundesliga nach der Profimannschaft von Hannover 96 auch für die gesamte Mannschaft des 1. FC Nürnberg durch die örtliche Gesundheitsbehörde häusliche Quarantäne verordnet“, so die Erklärung weiter.

Quarantäne, ein weiteres Schlagwort, das an Schrecken nicht verloren hat, aber auch im Sport seit Corona einfach dazugehört. Dass ausgerechet jetzt in einer Phase, in der RKI-Chef Lothar Wieler mit Sorge vom Beginn der dritten Pandemie-Welle in Deutschland spricht, die Hannoveraner erneut in Isolation sind wie zum Beispiel auch noch die Mannschaft von Holstein Kiel in der Zweiten Liga, macht wenig Hoffnung auf Besserung. Im Gegenteil.

Weiterhin leere Ränge

Und die Zuschauer bleiben weiter außen vor. Aus Sicht von Zukunfts- und Trendforscherin Anja Kirig haben Verbände und Organisationen die Corona-Zeit bisher auch nur teilweise genutzt, um Fans auf andere Weise mehr einzubeziehen.

„Hier gibt es definitiv noch viel Spielraum für mehr Einbindung“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Speziell in Deutschland würden einheitliche Plattformen fehlen, „die Daten gut aufbereiten, auf denen sich Fans informieren, austauschen und auch mitgestalten können“, erklärte Kirig.

Fans wollen sich einbringen, reklamieren mitunter auch ein Mitspracherecht. Fans wollen vor allem aber eines: Zurück in die Stadien, ihre Mannschaft anfeuern, mit ihren Idolen jubeln und sie womöglich auch mal beschimpfen.

„Das Selbstverständnis von Fußballfans ist ja, dass sie keine ‚Konsumenten‘ sind, sondern dass sie zu dem Gesamtevent durch ihre eigenen Aktivitäten und ihre Emotionen einen gehörigen Teil beitragen“, sagte jüngst Fan-Experte Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Das nackte Spiel ist ohne Zuschauer in gewisser Weise banal geworden.“

Die Entfremdung vom Fußball, die nicht wenige Fans durch ein Jahr Fußball in Corona-Zeiten empfinden, „hat ja aber schon vor der Pandemie begonnen, wenn Fans als Beiwerk und nicht als Mitakteure auf Augenhöhe wahrgenommen wurden“, sagte Sozialwissenschaftlerin Kirig.

Taskforce „Zukunft Profifußball“

Wie sie sich bei der Taskforce „Zukunft Profifußball“ wahrgenommen fühlten, machten die teilnehmenden Fanvertreter nach der Vorstellung des Abschlussberichts Anfang Februar deutlich. „Die guten – auch kontroversen – Ergebnisse, die wir in der Taskforce erarbeitet haben, werden leider im Endbericht nur teilweise sichtbar“, sagte Anna-Maria Hass.

„Einmal mehr entsteht der Eindruck, dass die handelnden Personen sich dringend notwendigen Reformen verweigern. Wir sehen dies als Rückschlag für alle Fans an – egal ob im Stadion oder vor dem Fernseher. Es ist vor allem Aufforderung, uns auch in Zukunft für die dringend nötigen Reformen einzusetzen“, so Hass.

Die Fans leiden, die Kassen der Vereine leiden, aber leidet auch das, was sich auf dem Rasen abspielt? Die Trefferrate weist keine negative Veränderung auf, stattdessen ist Bayerns Weltfußballer Robert Lewandowski sogar auf Torjäger-Rekordkurs. Dem Kampf um Meisterschaft, vor allem aber um internationale Ränge und gegen den Abstieg ist die Spannung sicher nicht abzusprechen.

„Das Niveau hat sich nicht geändert, es ist nur ein Stück gelassener geworden“, sagte Nils Petersen vom SC Freiburg dem Kicker. Der Torjäger der Breisgauer brachte noch andere Aspekte ins Spiel: „Ich hasse dieses Gefühl von Aufregung, Nervosität, Bauchschmerzen, da gehst du dreimal auf Toilette und schwitzt viel, das ist unangenehm. Das ist jetzt alles ein bisschen weniger, weil das direkte Feedback der Leute fehlt. Es fühlt sich teilweise wie ein Trainingsspiel an.“ Was alles nicht heißt, dass nicht auch er die Zuschauer vermisst.

So wie der ehemalige BVB-Torjäger Norbert Dickel, der seit 30 Jahren Stadionsprecher von Borussia Dortmund ist. „29 Jahre davon stand ich vor der Süd und habe die Mannschaftsaufstellung vorgelesen. Jetzt antwortet mir keiner. Das macht keinen Spaß“, sagte der 59-Jährige jüngst dem Sender Sky. „Es ist einfach grausam.“

Diskussionen

Die schlimmste Erkenntnis aber für alle im Profifußball dürfte sein: Es geht eine Weile irgendwie ohne Zuschauer. Immerhin regte die Krise Diskussionen um eine Gehaltsobergrenze an. Die mitunter irrsinnigen Ablösesummen sollen nach Ansicht mancher der Vergangenheit angehören.

Dankbarkeit wurde zunächst betont, als der Profifußball nach mehr als zwei Monaten Zwangspause Mitte Mai den Spielbetrieb unter strengen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wieder aufnahm. Zweifel an einer neuen – zwangsweisen – Bodenständigkeit des Milliardengeschäfts spiel(t)en aber auch immer mit.

Und als Karl-Heinz Rummenigge das rechtlich einwandfreie Abflugverbot für den FC Bayern Richtung Club-WM in Katar scharf kritisierte und sich anschließend zum Impfen äußerte, sahen sich nicht wenige in ihren Bedenken bestätigt.

Ob in der Champions League, in der Europa League, in der Bundesliga – das Programm wird auch weiter durchgezogen, während andere Bereiche des Lebens wie die Kultur so gut wie komplett stillstehen. Internationale Spiele werden einfach von Virusvariantengebieten in Hochinzidenzgebiete verlegt, um statt 14 Tage bestenfalls nur fünf in Quarantäne zu müssen.

Und im Sommer soll in zwölf Ländern die um ein Jahr verschobene EM stattfinden. Notfalls auch unter Verhältnissen, die der mögliche Nationalspieler Thomas Müller bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs vor einem Jahr nach dem Abendspiel beim 1. FC Union Berlin ohne Zuschauer so beschrieb: „Natürlich hat das etwas von ‚Alte Herren, 19:00 Uhr bei Flutlicht‘-Atmosphäre.“

© dpa-infocom, dpa:210315-99-831787/3



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