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Erste Afghanistan-Evakuierte aus Kabul zurück in Deutschland

Deutsche Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M stehen auf dem Flughafen von Taschkent und warten auf den Abflug nach Kabul. Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa
Deutsche Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M stehen auf dem Flughafen von Taschkent und warten auf den Abflug nach Kabul. Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa

Die ersten Evakuierten aus Afghanistan sind wieder in Deutschland. Sie verdanken ihre Rückkehr aber nicht schon der Bundeswehr, deren Mission inzwischen auch läuft, sondern den USA.

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat die Bundeswehr unter schwierigsten Bedingungen mit ihrer Luftbrücke zur Rettung von Deutschen und Afghanen begonnen: Die ersten Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Kabul sind nach ihrer Evakuierung aus Afghanistan bereits zurück in Deutschland.

In der Nacht zu Montag waren sie unter den ersten 40 deutschen Staatsbürgern, die mit einem US-Flugzeug nach Doha im Golfemirat Katar ausgeflogen worden waren. Wie viele genau von ihnen mit der Linienmaschine in Schönefeld ankamen, ist noch unklar.

Die rasche Evakuierung von Kabul war nötig geworden, nachdem die radikal-islamistischen Taliban innerhalb kürzester Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen auf Kabul vorgerückt waren und faktisch die Macht im Land übernommen hatten.

Inzwischen läuft auch eine Bundeswehrmission zur Evakuierung weiterer deutscher Staatsbürger sowie afghanischer Ortskräfte von Bundeswehr, Bundesministerien und Hilfsorganisationen.

Ein Transportflugzeug brachte am Dienstag 129 Menschen in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Stunden zuvor hatte eine erste Maschine vom Typ A400M erst Fallschirmjäger in Kabul abgesetzt und auf dem Rückweg 7 Menschen außer Landes geflogen. Eine dritte Maschine zur Evakuierung ist aus Kabul gestartet.

Die Evakuierungsaktion sei jetzt „voll angelaufen“, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) in Berlin. Als Reaktion auf den Machtwechsel stoppte die Bundesregierung die staatliche Entwicklungshilfe und alle anderen Hilfszahlungen für Afghanistan.

125 Evakuierte in Taschkent

Hunderte von Menschen haben sich in Kabul vor dem internationalen Flughafen versammelt. Foto: -/AP/dpa
Hunderte von Menschen haben sich in Kabul vor dem internationalen Flughafen versammelt. Foto: -/AP/dpa

Mit einem Bundeswehrflugzeug wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums am Dienstag mehr als 100 Menschen ausgeflogen. „Mit 125 Evakuierten ist der A400M von Kabul wieder auf dem Weg nach Taschkent/Usbekistan“, schrieb das Ministerium am Nachmittag auf Twitter.

„An Bord sind deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte sowie weitere zu Schützende.“ Außenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter davon, dass „mehr als 120 Personen, Deutsche, Afghanen und Angehörige anderer Nationen“ an Bord seien. „Die Luftbrücke ist angelaufen und wird intensiv fortgesetzt, sofern die Sicherheitslage dies irgendwie zulässt.“

In der Nacht zuvor hatte eine erste Bundeswehrmaschine die ersten fünf Deutschen sowie einen Europäer und einen Afghanen aus Kabul unter schwierigen Bedingungen ins Nachbarland Usbekistan gebracht. Der Transportflieger vom Typ A400M war zuvor fünf Stunden lang über dem Flughafen Kabul gekreist, der wegen chaotischer Zustände auf dem Rollfeld zunächst gesperrt war. Das Benzin hätte nicht mehr lange gereicht.

Maas sagte am Abend, am Flughafen in Kabul warteten weitere etwa 180 Menschen, die ebenfalls ausgeflogen werden könnten. Das Problem sei im Moment, dass die Taliban nur ausländische Staatsbürger zum Flughafen durchließen. Botschafter Markus Potzel sei nach Doha geschickt worden, wo er früher bereits an den Gesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban teilgenommen habe. Er solle in Gesprächen darauf hinwirken, dass auch Ortskräfte zum Flughafen kommen und ausfliegen können.

Laut Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sind nach Möglichkeit täglich jeweils drei Flüge mit den beiden A400M-Maschinen zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent geplant. Die Bundeswehr fliege „in dem Maße, wie es irgendwie möglich ist, Menschen aus Kabul heraus, ob es eigene Staatsangehörige sind, ob es Menschen anderer Nationalitäten sind, ob es Ortskräfte sind oder besonders gefährdete Personen“. Auch US-Maschinen sollen weiter genutzt werden.

Fluchtbewegung erwartet

Demonstration für eine Luftbrücke aus Afghanistan vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Foto: Christoph Soeder/dpa
Demonstration für eine Luftbrücke aus Afghanistan vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Foto: Christoph Soeder/dpa

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Rückkehr der Taliban an die Macht eine Fluchtbewegung aus Afghanistan auslösen wird.

Mit Blick auf Forderungen, Deutschland solle Flüchtlingskontingente aufnehmen, sagte Kanzlerin Angela Merkel in Berlin: „Bevor man über Kontingente spricht, muss man erst mal über sichere Möglichkeiten für Flüchtlinge in der Nachbarschaft von Afghanistan reden. Dann kann man in einem zweiten Schritt darüber nachdenken, ob besonders betroffene Personen kontrolliert und auch unterstützt nach Europa und in die europäischen Länder kommen.“

Die Kanzlerin telefonierte dazu mit UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. Außerdem beriet sie die Lage in Afghanistan mit Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron und mit den Regierungschefs von Großbritannien und Italien, Boris Johnson und Mario Draghi. Sie vereinbarten eine enge Zusammenarbeit bei der Evakuierung von europäischen Bürgern und Ortskräften.

Merkel räumte in einer Pressekonferenz das Scheitern des Westens bei dem Versuch ein, in Afghanistan ein nachhaltiges politisches System mit mehr Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten aufzubauen. „An dieser Stelle müssen wir einfach konstatieren, dass wir unsere Ziele nicht erreicht haben.“ Nach der Machtübernahme der Taliban sehe man mit Sorge, „dass das alles jetzt zurückgedreht werden kann“.

Bundespräsident Steinmeier äußerte sich ähnlich: „Das Scheitern unserer jahrelangen Anstrengungen in Afghanistan, ein stabiles, tragfähiges Gemeinwesen aufzubauen, wirft grundlegende Fragen für Vergangenheit und Zukunft unseres außenpolitischen und militärischen Engagements auf.“

Der frühere Außenminister betonte: „Wir erleben in diesen Tagen eine menschliche Tragödie, für die wir Mitverantwortung tragen, und eine politische Zäsur, die uns erschüttert und die Welt verändern wird.“

Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch das Mandat für den Bundeswehreinsatz beschließen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will dafür bis zu 600 Bundeswehrsoldaten bereitstellen. Das sagte sie nach dpa-Informationen am Montag in der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden des Bundestags.

Dieser soll in seiner Sondersitzung in einer Woche das Mandat verabschieden. Die FDP-Fraktion erwarte dabei eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, sagte ihr Vorsitzender Christian Lindner. Nötig sei auch ein EU-Sondergipfel.

Das Land Brandenburg will unterdessen die Erstaufnahme ankommender afghanischen Ortskräfte übernehmen. Das Innenministerium teilte mit, dass dies dem Bund zugesagt worden sei.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte, Deutschland müsse alles daransetzen, die eigenen Landsleute und die Afghanen, die ihnen jahrelang zur Seite gestanden hätten, in Sicherheit zu bringen. „Darüber hinaus müssen wir gemeinsam mit unseren Verbündeten nach Möglichkeiten suchen, auch denjenigen zu helfen, die in Afghanistan jetzt von Gewalt oder Tod bedroht sind, darunter viele mutige Frauen.“

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