Nun hat es auch Novak Djokovic erwischt: Der Tennis-Primus und Organisator der umstrittenen Adria-Tour wurde wie zuvor bereits drei weitere Teilnehmer positiv auf das Corona-Virus getestet. Eine einstige Nummer eins erinnerte an die Vorbildfunktion der Stars.
Erst kritisiert, nun infiziert: Novak Djokovic zahlt als Organisator der umstrittenen Adria-Tour nun persönlich den Preis für den leichtsinnigen Umgang mit der Pandemie und die Missachtung gängiger Hygieneregeln bei dem Show-Event mit jetzt vier erkrankten Profis. Wie der 33 Jahre alte Serbe mitteilte, zeigt er keine Symptome. Das Virus wurde auch bei seiner Frau Jelena festgestellt, jedoch nicht bei den Kindern des Paars.
Am Montagabend hatte nach dem Bulgaren Grigor Dimitrow und dem Kroaten Borna Coric auch sein Landsmann Viktor Troicki einen positiven Test öffentlich gemacht. „Jeder einzelne Fall tut mir extrem leid“, schrieb Djokovic. Der Hamburger Alexander Zverev war nach eigenen Angaben negativ getestet worden. Er hatte an beiden Stationen in Belgrad und Zadar in Kroatien teilgenommen und sich in eine selbstverordnete Isolation begeben. Die weiteren Veranstaltungen der umstrittenen Tour in Banja Luka und Sarajevo wurden angesichts der Entwicklungen abgesagt.
Die Infektionen werfen Fragen für den weiteren Tennis-Neustart auf: Denn der Hamburger Alexander Zverev trat wie auch der Österreicher Dominic Thiem bei der Tour an, beide wollen in drei Wochen in Berlin bei zwei privat organisierten Turnieren dabei sein, ehe im August die weltweite Tour wieder starten soll – mit den US Open ab dem 31. August als erstem Höhepunkt.
Djokovic kündigte einen weiteren Test in fünf Tagen an, vermied aber nach der heftigen Kritik an laxen Hygienemaßnahmen und Fotos feiernder Tennisprofis mit freiem Oberkörper das klare Eingeständnis eines Fehlers. „Alles, was wir im vergangenen Monat gemacht haben, passierte mit reinem Herzen und ernsthaften Absichten“, schrieb er auf Twitter zur Tour, mit der er dank prominenter und weniger prominenter Akteure Spenden sammeln und seinen Kollegen Spielpraxis verschaffen wollte. Es habe alles mit einer philanthropischen Idee begonnen.
Trotz der guten Absicht unterschätzte auch Djokovic bewusst oder unbewusst die Gefahr und betonte zunächst, es sei nicht gegen örtliche Regeln verstoßen worden. Nun erklärte er, das Turnier sei organisiert worden, als sich das Virus abgeschwächt habe und die Bedingungen als gegeben erschienen. „Leider ist das Virus noch da, und leider ist das eine neue Realität, mit der wir immer noch umzugehen und zu leben lernen“, schrieb er.
Heftike Kritik aus der Tennis-Szene
Der deutsche Ex-Profi Nicolas Kiefer fragte in einer Kolumne für Focus Online: „Hat Djokovic gedacht, dass das Virus überall ist, nur nicht in Serbien?“ Eine „reine Katastrophe“ nannte Kiefer die Vorgänge. „Das ist auch nicht gut für die Außendarstellung der ATP-Tour, auch wenn diese nichts mit der Adria Tour zu tun hat“, schrieb er.
Wimbledonsieger Andy Murray erinnerte seine Kollegen an ihre Vorbildfunktion. Die einstige Nummer eins der Welt aus Großbritannien sagte der britischen Tageszeitung The Times: „Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Novak. In der Nachbetrachtung macht das, was da passiert ist, aber keinen guten Eindruck.“ Top-Athleten auf der ganzen Welt müssten zeigen, „dass wir das ernst nehmen und uns darüber im Klaren sind, dass wir Abstandsregeln einhalten“.
Als „absolute Katastrophe“ geißelte die deutsche Damentennis-Chefin Barbara Rittner die Vorgänge und sprach im Kölner Stadt-Anzeiger angesichts des Umgangs mit der Corona-Pandemie von einem „Bärendienst“, den Djokovic der Tennis-Familie erwiesen habe.
„Die ganze Welt hält Abstand und trägt Masken. Und an der Adria saß man Schulter an Schulter ohne Masken, hat nachts gefeiert und sich oberkörperfrei in den Armen gelegen. Da verstehe ich nicht, in welcher Welt die leben – offenbar in ihrer eigenen Blase. Einigen ist ihr Erfolg wohl zu Kopf gestiegen“, schimpfte Rittner.
Als „Horror-Show“ fasste der brasilianische Profi Bruno Soares das Geschehen zusammen. Der Doppel-Spezialist ist Mitglied im ATP-Spielerrat, dessen Präsident Djokovic ist. „Enorme Unverantwortlichkeit und große Unreife“, sagte Soares im brasilianischen Sender GloboEsporte.
„Schnelle Genesung, Jungs – aber das passiert, wenn man alle Vorschriften missachtet“, schrieb Nick Kyrgios bei Twitter. In Großbuchstaben fügte der Australier an: „DAS IST KEIN WITZ“.
Weitere Show-Turniere vor US Open
Während die Veranstalter in Berlin zunächst abwarten wollten, reagierten die Organisatoren des Show-Turniers Thiems7 in Kitzbühel bereits. Die dort ebenfalls eingeladenen Dimitrow und Coric müssten nach 14 Tagen in heimischer Quarantäne negative Tests vorlegen.
Dann spreche nichts dagegen, dass beide ab dem 7. Juli aufschlagen könnten. Die jeweiligen Managements würden in den nächsten Tagen über diese Option entscheiden. Alle Spieler und ihre Begleitpersonen würden nach ihrer Ankunft getestet, hieß es. Das Hygienekonzept sieht 500 Zuschauer vor, Linienrichter gibt es nicht.
„Ich hoffe, dass wir daraus lernen, weil letztendlich wird die ATP Tour nicht zurückkommen, wenn wir jede Woche Probleme haben und die Spieler machen, was sie wollen“, sagte Murray in The Times. Der zweimalige Olympiasieger wird in dieser Woche bei einem Showkampf-Turnier in England erstmals seit sieben Monaten wieder ein Match bestreiten.
Seine Teilnahme an den geplanten US Open machte Murray auch von den dortigen Hygienemaßnahmen abhängig. „Für mich ist eines der wichtigsten Themen, wie sie die «Blase» rund um das Turnier kontrollieren“, schrieb der 33-Jährige in einer Kolumne für den britischen Sender BBC. Alle Spieler sollen in einem Flughafen-Hotel oder in Häusern in dessen Nähe untergebracht und ständig auf das Virus getestet werden. Zudem soll der Betreuerstab der Profis deutlich reduziert werden.
Der ATP-Vorsitzende Andrea Gaudenzi aus Italien hofft ebenfalls auf einen Lerneffekt aus den Vorkommnissen und einer größeren Akzeptanz dieser Blase. Der 46 Jahre alte Ex-Profi erinnerte in der New York Times zwar daran, dass auch trotz extremer Maßnahmen Coronafälle auftreten könnten. Gaudenzi erklärte aber auch, allen Teilnehmern privater Turniere sei die Einhaltung angemessener Maßnahmen und der Abstandsregeln empfohlen worden.
Coric ohne Symptome, Zverev negativ getestet
„Ich möchte sicher gehen, dass jeder, der mit mir in den letzten Tagen in Kontakt war, sich testet und die nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergreift“, schrieb Grigor Dimitrow, der sich aktuell in seiner Wahlheimat Monaco aufhält, auf Instagram mit Blick auf den positiven Corona-Test, der die Thematik ins Rollen brachte. Der Tennis-Star entschuldigte sich und fügte an: „Bitte bleiben sie sicher und gesund.“
„Ich wollte euch informieren, dass ich positiv auf Covid-19 getestet worden bin“, schrieb der 23-jährige Coric wenig später auf Twitter als zweiter Teilnehmer der Adria Tour. Er wolle, dass alle, die mit ihm in den vergangenen Tagen in Kontakt waren, einen Test machen. „Mir geht es gut, ich habe keine Symptome“, teilte der Weltranglisten-33. mit und entschuldigte sich für mögliche Folgen.
Ich habe gerade die Nachricht erhalten, dass mein Team und ich negativ auf COVID-19 getestet wurden“, teilte derweil Alexander Zverev mit. Er kündigte als Vorsichtsmaßnahme weitere regelmäßige Tests an und wolle den Quarantäne-Ratschlägen der Ärzte folgen. „Ich entschuldige mich bei jedem, den ich potenziell einem Risiko ausgesetzt habe“, schrieb der 23-Jährige.
Nach dem Auftakt-Event seiner Tennis-Tour inmitten der Corona-Pandemie, mit der Spenden gesammelt werden sollen, hatte Novak Djokovic mit Verweis auf ein Party-Foto noch getwittert: „Die Jungs hatten gestern Abend Spaß. Ich habe einige Männer ohne Hemden gesehen.“ Erwähnt hatte er Zverev, Thiem, Dimitrow und den Serben Filip Krajinovic. Mittlerweile ist der Tweet nicht mehr im Kanal des 33-Jährigen zu finden, der vorige Woche beteuerte, es sei nicht gegen örtliche Regeln verstoßen worden.
Das Finale am Sonntagabend in Zadar zwischen Djokovic und dem Russen Andrej Rubljow – der ebenfalls in Kitzbühel spielen soll – war abgesagt worden, ebenso die weiteren Turniere der Adria Tour. Zu den mittlerweile getesteten Besuchern zählte übrigens auch Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic. Er habe mit Djokovic, dessen Trainer Goran Ivanisevic und Marin Cilic gesprochen. Ein Regierungssprecher sagte der Zeitung 24Sata, das Treffen mit den Grand-Slam-Turniersiegern habe zwei bis drei Minuten gedauert, es habe kein Händeschütteln oder engen Kontakt gegeben.
Schon dass zum Auftakt in Belgrad die Zuschauer dicht nebeneinander saßen, hatte für Kopfschütteln bei Kritikern gesorgt. Die Spieler umarmten sich mitunter sogar am Netz. „Ich verstehe das nicht“, schrieb die einstige Weltranglisten-Erste Chris Evert auf Twitter, „kein Sicherheitsabstand, totaler physischer Kontakt, keine Gesichtsmasken, sogar die Fans hatten keine Masken“. Die 65-jährige Amerikanerin wunderte sich: „Ich kapiere das nicht, nicht klug …“ Ihr Wunsch, es möge außer Dimitrow keinen weiteren positiv Getesteten geben, zerschlug sich rasch.
© dpa-infocom, dpa:200623-99-528837/9
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