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Thema Blutvergiftung: „Sepsis ist ein Notfall wie Herzinfarkt“

Die Ärztin Ruth Hecker ist Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Foto: Helene Carine Hecker/dpa-tmn
Die Ärztin Ruth Hecker ist Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Foto: Helene Carine Hecker/dpa-tmn

Covid-19 und andere Infektionskrankheiten können eine Sepsis auslösen. Die ist lebensbedrohlich, doch viele haben die Gefahr nicht auf dem Schirm – dabei ist Zeit im Ernstfall der wichtigste Faktor.

Sepsis zählt zu den häufigsten Todesursachen hierzulande, dabei ließen sich viele tragische Verläufe einer Blutvergiftung verhindern, sagt die Ärztin Ruth Hecker.

Sie ist Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Im Interview erklärt die Medizinerin, warum man bei bestimmten Symptomen immer auch an eine Sepsis denken sollte und weshalb diese gerade im Zusammenhang mit Corona so tückisch ist.

Frau Hecker, warum ist eine Sepsis so gefährlich?

Ruth Hecker:
Weil sie als solche oft nicht früh genug erkannt wird. Und wer nicht rechtzeitig behandelt wird, kann daran sterben.

Woran erkennt man eine Sepsis überhaupt?

Ruth Hecker:
Ich bin noch aufgewachsen damit, dass einem gesagt wurde, ein roter Strich am Arm sei gefährlich – weil das auf eine Blutvergiftung hindeute.

Das ist auch richtig und deshalb sind ja zum Beispiel auch Tetanus-Impfungen so wichtig. Doch eine Blutvergiftung, wie die Sepsis im Allgemeinen genannt wird, kann nicht nur durch äußere Verletzungen entstehen, durch die Erreger in den Körper eindringen.

Sondern?

Ruth Hecker:
Auch Infektionen jeder Art im Körper können dazu führen, dass starke körpereigene Abwehrreaktionen hervorgerufen werden und das Immunsystem überreagiert. Diese Überreaktion führt dazu, dass es zur Zerstörung von eigenem Gewebe und Organen kommt.

Das macht sich dann wohl nicht durch einen roten Strich bemerkbar. Wie sehen die Symptome aus?

Könnte es eine Sepsis sein? Betroffene fühlen sich elend, doch denken oft nicht an die Möglichkeit einer Blutvergiftung. Foto: Christin Klose/dpa-tmn
Könnte es eine Sepsis sein? Betroffene fühlen sich elend, doch denken oft nicht an die Möglichkeit einer Blutvergiftung. Foto: Christin Klose/dpa-tmn

Ruth Hecker:
Typisch sind Fieber und Schüttelfrost, doch das ist natürlich sehr unspezifisch. Was dazukommt, sind Verwirrtheit und Desorientierung, schnelle Atmung und schneller Puls. Man fühlt sich sterbenselend.

Sepsis zählt zu den häufigsten Todesursachen hierzulande. Ungefähr 75000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland daran – Expertinnen und Experten schätzen, dass jeder vierte Todesfall vermeidbar wäre. Warum?

Ruth Hecker:
Weil wir die Sepsis oft zu spät erkennen. Bei jedem zweiten Patienten beginnt die Sepsis daheim. Man fühlt sich sehr schlecht, hat die beschriebenen Symptome.

Viele sagen dann aber: Es geht mir halt nicht gut, ich habe vielleicht Grippe. Dadurch verliert man wertvolle Zeit und deshalb sterben so viele daran. Es muss schnell behandelt werden: Sepsis ist ein Notfall wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

Eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 kann auch eine Sepsis hervorrufen. Ist eine Blutvergiftung infolge einer Covid-19-Erkrankung besonders tückisch?

Ruth Hecker:
Durchaus. Manche entwickeln erst sieben bis zehn Tage nach der Diagnose ein extremes Krankheitsgefühl. Gerade ältere Menschen sitzen dann mitunter zu Hause und wollen aus Angst nicht ins Krankenhaus oder zum Arzt.

Sie verpassen so den Zeitpunkt, wo ihnen eine schnelle Therapie vielleicht noch das Leben gerettet hätte. Das ist tückisch. Ein Multi-Organ-Versagen ist häufig der Endpunkt der Sepsis – daran verstirbt man dann. So tragisch können auch schwere Covid-19-Verläufe enden.

Wie lange dauert es denn, bis es eine Blutvergiftung gefährlich wird?

Ruth Hecker:
Je nachdem, wie die Immunabwehr des Betroffenen aufgestellt ist – es kann schon nach Stunden kritisch werden. Das ist aber zu individuell, um das genau zu taxieren.

Was ist konkret zu tun, wenn man das Gefühl hat, es könnte eine Sepsis sein?

Ruth Hecker:
Den Notruf 112 anrufen. Und dann auch Notarzt und Sanitäter fragen: Könnte es eine Sepsis sein? Denn auch die Rettungskräfte haben diese Möglichkeit nicht immer auf dem Schirm. Die Frage zu stellen, ist wichtig. Ansonsten kann man nicht viel machen, außer sich schnell Hilfe zu holen.

Wie wird die Sepsis im Krankenhaus behandelt?

Bei Sepsis-Verdacht ist schnelle Hilfe gefragt. Betroffene sollten umgehend in ein Krankenhaus gebracht werden. Foto: Andreas Arnold/dpa/dpa-tmn
Bei Sepsis-Verdacht ist schnelle Hilfe gefragt. Betroffene sollten umgehend in ein Krankenhaus gebracht werden. Foto: Andreas Arnold/dpa/dpa-tmn

Ruth Hecker:
Es wird sofort Blut abgenommen und mikrobiologisch analysiert, um den auslösenden Keim zu identifizieren. Der Patient bekommt zunächst ein Breitband-Antibiotikum. Sobald man den Auslöser kennt, wird gezielter behandelt.

Kann man einer Blutvergiftung vorbeugen?

Ruth Hecker:
Gerade das Impfen ist für bestimmte Risikogruppen zur Prävention wichtig. Patienten, die keine Milz mehr haben, rät man zum Beispiel zu einer Pneumokokken-Impfung.

Menschen, die ohnehin krank sind, können schneller eine Sepsis entwickeln, weil sie nicht so viele Reserven in der Immunantwort haben. Generell sollte man Hygienemaßnahmen beachten, um sich keinen Infekt zu holen. Offene Wunden sollte man immer gut reinigen.

Können Spätfolgen zurückbleiben?

Ruth Hecker:
Ja. Es gibt viele Patienten, die wegen einer Sepsis auf der Intensivstation waren und die Langzeitfolgen wie kognitive Störungen, Muskel- und Nervenschwäche oder Gleichgewichtsprobleme haben.

Durch eine verminderte Durchblutung infolge der Sepsis müssen oft auch an Finger oder Zehen Amputationen vorgenommen werden. Viele, die das überlebt haben, leiden unter bleibenden Schäden.

Service:
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit hat zusammen mit der Sepsis Stiftung, dem Sepsisdialog und der Deutschen Sepsis-Hilfe die Kampagne #DeutschlandErkenntSepsis ins Leben gerufen.
➡️ deutschland-erkennt-sepsis.de
➡️ Artikel des BZgA zu Sepsis und Infektionsschutz

© dpa-infocom, dpa:210216-99-466627/2



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