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Mutmaßlicher Drahtzieher von Präsidentenmord festgenommen

Soldaten stehen Wache in der Nähe der Residenz von Interimspräsident Claude Joseph in Port-au-Prince, Haiti, vier Tage nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moise. Foto: Matias Delacroix/AP/dpa
Soldaten stehen Wache in der Nähe der Residenz von Interimspräsident Claude Joseph in Port-au-Prince, Haiti, vier Tage nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moise. Foto: Matias Delacroix/AP/dpa

Ein haitianischer Arzt aus Florida soll laut Polizei den Mord des Präsidenten seiner Heimat in Auftrag gegeben haben. Es bleiben Fragen offen – auch: Wer hat in Haiti eigentlich das Sagen?

Port-au-Prince (dpa) – Haitis Nationalpolizei hat nach eigenen Angaben einen mutmaßlichen Drahtzieher des Mordes am Präsidenten Jovenel Moïse festgenommen. Es handelte sich um einen 63 Jahre alten haitianischen Arzt, der im US-Bundesstaat Florida wohnt, wie Interims-Polizeichef Léon Charles in einem Pressebriefing sagte.

Drahtzieher wollte Macht an sich reißen

Der Mann sei vor kurzem in einem Privatflugzeug nach Haiti gekommen, um die Präsidentschaft an sich zu reißen. Hochrangige Beamte aus den USA, die bei den Ermittlungen helfen sollen, haben sich in Haiti mit Charles sowie mit den Protagonisten des dort brodelnden Machtkampfs getroffen.

Der Arzt werde beschuldigt, die als Attentäter verdächtigten kolumbianischen Söldner über eine venezolanische, private Sicherheitsfirma mit Sitz in Florida angeheuert zu haben, hieß es von der Polizei. Er sei der Erste gewesen, den diese nach dem Attentat angerufen hätten. In seiner Wohnung seien Beweise gefunden worden.

Der Mann habe mit zwei weiteren Hintermännern Kontakt gehabt. Er ist der dritte US-Bewohner haitianischer Herkunft, und der 21. Mann insgesamt, der als Tatverdächtiger nach dem Mordanschlag festgenommen worden ist. Auch die anderen beiden lebten Berichten zufolge in Florida, das nur rund 1000 Kilometer von Haiti entfernt liegt.

Tathintergründe weiterhin schwammig

Der 53 Jahre alte Staatschef Moïse war in der Nacht zum Mittwoch in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. Seine Ehefrau wurde schwer verletzt. Nach Angaben der Polizei führten 26 Kolumbianer und zwei US-Amerikaner haitianischer Herkunft den Mord aus. Sie hätten sich als Agenten der US-Anti-Drogenbehörde DEA ausgegeben. Drei der Kolumbianer wurden demnach getötet, nach den übrigen fünf wurde noch gefahndet. Die Hintergründe der Tat blieben bisher unklar. Für Spekulationen sorgte unter anderem, dass die Wächter des Präsidenten anscheinend keinen Widerstand leisteten.

Interims-Premierminister Claude Joseph führt seit dem Mord die Regierung, obwohl Moïse noch am Montag den Neurochirurgen und Ex-Innenminister Ariel Henry zu dessen Nachfolger ernannt hatte. Henry sagte in einem Interview, aus seiner Sicht sei er der wahre Interims-Premierminister. Der Senat wählte seinen Präsidenten Joseph Lambert, der Henry unterstützt, am Freitag zum Interims-Staatschef.

Volatiles Machtgefüge

Das Parlament ist jedoch seit Anfang 2020 nicht beschlussfähig, nachdem eine Wahl ausgefallen war und die Amtszeiten der meisten Abgeordneten abliefen. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs starb vor wenigen Wochen an den Folgen von Covid-19. Für den 26. September sind Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.

Die internationale Gemeinschaft hat Joseph, der auch Außenminister ist, bisher als Ansprechpartner anerkannt. Seine Regierung bat die Ex-Besatzungsmacht USA, Truppen zu schicken, um für Sicherheit zu sorgen und Infrastruktur zu schützen. Die Bitte werde geprüft, erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby. Der Fokus liege derzeit aber darauf, bei den Ermittlungen zu helfen, sagte er dem Sender Fox News.

Corona verschärft politische Krise

Dafür wurden hochrangige Beamte unter anderem der US-Bundespolizei FBI und des Heimatschutzministeriums nach Haiti geschickt. Diese trafen sich nach Angaben von Lambert auch mit ihm. Gemeinsam habe man seine Wahl zum Übergangspräsidenten gewürdigt und die nächsten Schritte besprochen, schrieb er bei Twitter. Kurz darauf twitterte Lambert, er sei empört: Joseph habe seinen Rivalen Henry vor der US-Delegation verleumdet und beleidigt.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, hatte auch eine baldige Lieferung von Impfstoff gegen das Coronavirus angekündigt – daran fehlt es in Haiti, dem ärmsten Land des amerikanischen Kontinents, bislang komplett. Die Fallzahlen stiegen dort zuletzt deutlich.

Banden mobilisieren sich

Proteste gegen Moïse, der seit 2017 im Amt war, hatten Haiti zuletzt immer wieder lahmgelegt. Ihm wurden Korruption, Verbindungen zu brutalen Banden und autokratische Tendenzen vorgeworfen. Im Februar ernannten Oppositionsparteien einen Übergangspräsidenten, weil aus ihrer Sicht Moïses Amtszeit abgelaufen war. Zuletzt trieben blutige Kämpfe zwischen Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt mehr als 14.000 Menschen in die Flucht.

Der berüchtigte Bandenführer und Ex-Polizist Jimmy „Barbecue“ Cherizier, dem Verbindungen zu Moïse nachgesagt wurden, sagte in einem Video, dessen Ermordung sei eine nationale und internationale Verschwörung gegen das haitianische Volk gewesen. Er rufe alle Banden auf, zu mobilisieren.

© dpa-infocom, dpa:210712-99-346998/4

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