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Vom „anderen Planeten“: Wellbrock und sein Gold-Tag

Dominierte das olympische Freiwasserschwimmen über zehn Kilometer: Florian Wellbrock. Foto: Oliver Weiken/dpa
Dominierte das olympische Freiwasserschwimmen über zehn Kilometer: Florian Wellbrock. Foto: Oliver Weiken/dpa

Florian Wellbrock hat es geschafft: Der Ausnahmeschwimmer erfüllt sich seinen großen Traum und wird Olympiasieger. Der 23-Jährige beendet eine lange Zeit ohne Goldmedaille für die deutschen Schwimmer.

Tokio (dpa) – Triumphierend reckte Florian Wellbrock beide Arme nach oben und genoss vor der beeindruckenden Regenbogenbrücke von Tokio Gold nach einer Machtdemonstration.

Auf dem Siegerpodest im Odaiba Marine Park ließ der Freiwasser-Champion mit der Medaille um den Hals bei der Hymne den Weg zum Olympiasieg nochmal Revue passieren: die Verschiebung der Sommerspiele weggesteckt, das Training durchgezogen, in der Corona-Pandemie besonders penibel auf die Gesundheit geachtet – das alles hat sich gelohnt. 13 Jahre nach dem Doppel-Gold von Britta Steffen und 33 Jahre nach dem Olympia-Coup von Michael Groß krönte sich Wellbrock zum nächsten deutschen Schwimm-Olympiasieger.

„Das kann mir keiner mehr nehmen und das fühlt sich unglaublich gut an“, sagte der 23-Jährige zu seinem Triumph. Im Zehn-Kilometer-Rennen bestimmte der Doppel-Weltmeister vom Start an eindrucksvoll das Geschehen und zeigte bei starker Sonne und sehr warmen Wasser seine Extra-Klasse.

Persönliches „Sommermärchen“

„Für mich persönlich ist das mein Sommermärchen“, sagte Wellbrock. Als er sich mit einem kühlem Getränk und einem nassen Handtuch ein wenig von fast zwei Stunden Extrem-Belastung erholt hatte, ließ er sich stolz und sichtlich erschöpft zur Interview-Zone fahren. Aus einem überdimensionierten Golfcart heraus zeigte er kurz die Siegerfaust, nach dem Aussteigen wurde er von seinen Teamkollegen in die Arme geschlossen.

Anders als zahlreiche andere Olympiasieger in den Tagen von Tokio verzichtete Wellbrock auf laute Jubelschreie, Tanzeinlagen oder ähnliche extrovertierte Gefühlsausbrüche. Er ist eher der ruhige Typ, bezeichnet sich selbst als Familienmenschen. Noch am Ort seines größten Karriereerfolgs sprach Wellbrock übers Internet mit seinen Eltern und seiner Verlobten Sarah Köhler, die in seiner Geburtsstadt Bremen vor dem Fernseher gemeinsam mitgefiebert hatten.

„Man weiß ganz genau: Die Familie ist wach, wenn ich hier wach bin“, sagte Wellbrock. „Diesen Rückhalt von der Familie zu erfahren, tut natürlich wahnsinnig gut.“

Schwester stirbt jung

Mit der Unterstützung seiner Familie ist Wellbrock früh seinen eigenen Weg gegangen. Er wollte immer schwimmen. Seine Leidenschaft für den Sport verlor er auch nicht, nachdem seine 13-jährige Schwester Franziska nach einem Schwimm-Rennen starb. Er selbst war damals acht Jahre alt.

Mit 17 ging er von zu Hause weg, zog nach Magdeburg und verfolgte dort seine Schwimm-Träume. Bundestrainer Bernd Berkhahn formte den Langstreckenspezialisten in den folgenden Jahren zu einem Weltklasse-Athleten. Die Anfangszeit in der neuen Umgebung, wo Wellbrock zunächst im Internat und später in einer WG wohnte, war für den Schwimmer aber längst nicht immer leicht.

Wellbrock dachte viel nach über sein Leben. Musik half ihm und gab ihm Kraft. „Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig“ – die Zeile aus dem Lied „Fühl dich frei“ von Rapper Sido trägt er als Tattoo auf der linken Brust. Der Satz erinnert ihn daran, nicht alles so ernst zu nehmen.

Zuvor Bronze gewonnen

Vom Trubel um seine Person als größter Medaillenhoffnungsträger der deutschen Schwimmer ließ sich Immobilienkaufmann Wellbrock nie aus dem Konzept bringen. In Tokio präsentierte er sich stets cool und steckte auch einen ärgerlichen vierten Platz in seinem ersten Finale weg. Über 800 Meter fehlten ihm nur 35 Hundertstelsekunden zu Bronze. Die Medaille für Platz drei holte er dann im Freistilrennen über 1500 Meter. Vier Tage später gelang ihm der ganz große Coup.

„Für jeden Athleten ist der Olympiasieg das höchste der Gefühle“, sagte Britta Steffen der Deutschen Presse-Agentur. „Eine Medaille ist mega, aber Gold bedeutet: Ich hab‘ Historie geschrieben. Du bist nie Ex-Olympiasieger, das ist wirklich schön, dass man diesen Titel trägt wie den eigenen Namen, er gehört zu dir – für immer!“ Köhler, die in Tokio Bronze über 1500 Meter gewonnen hatte, war „unfassbar stolz“ auf den Verlobten, „und sehr beeindruckt, wie er dieses Rennen geschwommen ist“.

Wellbrock hatte nach 1:48:33,7 Stunden mit über 25 Sekunden Vorsprung vor dem Ungarn Kristof Rasovszky und dem Italiener Gregorio Paltrinieri angeschlagen. „Florian war heute auf einem anderen Planeten“, sagte Paltrinieri voller Respekt vor Wellbrocks Leistung.

Fünf Medaillen für den DSV

Wellbrock und Köhler holten alle drei Medaillen für die deutschen Schwimmer in Tokio. Erfolgreicher waren die Schwimmer zuletzt 2008 in Peking, als Steffen zweimal siegte und Rekordweltmeister Thomas Lurz im Freiwasser Bronze gewann. Damals gab es insgesamt fünf Medaillen für den DSV, wie auch diesmal. Bei den Herren musste der Verband sogar seit dem Erfolg von Albatros Michael Groß 1988 in Seoul auf einen Schwimm-Olympiasieg warten. Damals gewann auch Uwe Daßler Gold für die DDR.

„Der Olympiasieg von Florian Wellbrock ist ein Zeichen“, sagte Groß. „Junge Sportler sehen, dass auch Deutschland bei Olympia im Schwimmen ganz vorne dabei sein kann.“

Wellbrock setzte gleich nach dem Start bei schon 29,2 Grad Wassertemperatur in den frühen Morgenstunden in der Bucht von Tokio ein Zeichen und machte Druck. „Ich bin in der ersten Runde um die erste Boje rum, habe mich umgeguckt und gedacht: Jungs, wollt ihr keinen Wettkampf schwimmen heute?“, sagte Wellbrock. Berkhahn, der sich einen ruhigen Start von Wellbrock gewünscht hatte, sagte: „Er konnte praktisch nicht langsamer schwimmen.“ Zwar kamen die Konkurrenten zwischenzeitlich noch einmal heran, doch Wellbrock war an diesem Tag einfach unschlagbar.

© dpa-infocom, dpa:210805-99-713350/9



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