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Schneechaos: Hunderte harren nachts auf Autobahn aus

Der Verkehr staut sich auf der B66, einer Zufahrt zur Autobahn A2, nahe der Auffahrt Dortmund/Paderborn. Auf dem Seitenstreifen ist ein Lkw liegengeblieben. Foto: Friso Gentsch/dpa
Der Verkehr staut sich auf der B66, einer Zufahrt zur Autobahn A2, nahe der Auffahrt Dortmund/Paderborn. Auf dem Seitenstreifen ist ein Lkw liegengeblieben. Foto: Friso Gentsch/dpa

Hunderte müssen bei Eiseskälte in ihren Fahrzeugen übernachten, weil auf der A2 nichts mehr vorwärts und rückwärts geht. Auch andernorts lähmen Schnee und Eis weiterhin den Straßen- und Schienenverkehr. Und in Nürnberg brennt ausgerechnet ein Fernwärme-Kraftwerk.

Extremes Winterwetter mit Schnee und Eis beherrscht auch nach Tagen noch große Teile Deutschlands. Auf Straßen und Schienen kam es am Dienstag erneut zu Stillstand.

Auf der A2 bei Bielefeld steckten Hunderte Auto- und Lkw-Fahrer sogar die ganze Nacht im Schnee fest und mussten bei klirrender Kälte viele Stunden lang in ihren Fahrzeugen ausharren.

Bei der Bahn blieb der Fernverkehr auf einigen Strecken komplett eingestellt – etwa in Schleswig-Holstein, wo der Deutsche Wetterdienst (DWD) für einige Regionen an der stürmischen Ostsee vor Schneeverwehungen warnte.

In Bayern rief die Stadt Nürnberg den Katastrophenfall aus, nachdem es zu einem Brand in einem Großkraftwerk gekommen war, was die Belieferung von etwa 15.000 Menschen mit Fernwärme beeinträchtigte. Betroffen waren neben den Privathaushalten auch große Betriebe, eine Klinik, Schulen, ein Einkaufszentrum sowie zwei Alten- und Pflegeeinrichtungen. N-Ergie drosselte in einigen Wohnblocks die Temperatur auf 10 bis 15 Grad.

In Sachsen-Anhalt wurde ein Mann leblos neben seinem Traktor im Schnee gefunden. Die Ermittler gehen davon aus, dass der 69-Jährige am Montag erfroren ist, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Hilfsorganisationen in Deutschland wiesen derweil auf die lebensbedrohliche Lage von Obdachlosen hin, deren Versorgung wegen der Corona-Pandemie ohnehin erschwert sei.

Bereits seit dem Wochenende lähmen Schnee und Eis weite Teile Deutschlands. Zwar soll es nun insgesamt weniger schneien, die Temperaturen bleiben aber im Eiskeller. Von Donnerstag an werde sich – anders als bisher – auch im Süden Deutschlands die Kaltluft komplett durchsetzen.

„Hoch Gisela sorgt mit einer nordöstlichen bis östlichen Strömung auch in den nächsten Tagen für verbreitet frostige Temperaturen tagsüber und nachts für strenge, über Schnee bei Aufklaren auch sehr strenge Fröste um minus 20 Grad“, erläuterte DWD-Meteorologe Jens Bonewitz.

Hunderte nachts auf der A2

Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks helfen aus - Hunderte verbrachten die ganze Nacht auf der Autobahn. Foto: Festim Beqiri/TV7News/dpa
Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks helfen aus – Hunderte verbrachten die ganze Nacht auf der Autobahn. Foto: Festim Beqiri/TV7News/dpa

Besonders heftig war in der Nacht auf Dienstag die Lage auf der A2 bei Bielefeld und somit auf einer der wichtigsten Ost-West-Autobahnen Deutschlands. Einige Fahrer und Mitfahrer saßen sogar seit Montagnachmittag in ihren Fahrzeugen fest. Helfer verteilten Essen und Getränke.

Zwischenzeitlich bildete sich dort ein 37 Kilometer langer Rückstau, der sich bis nach Niedersachsen zog – auf beiden Fahrtrichtungen zusammen waren es sogar mehr als 70 Kilometer. „Die Gesamtlage ist schwierig, wir sind am Rotieren“, sagte ein Sprecher der Bielefelder Polizei. Die Autobahn wurde in beiden Fahrtrichtungen gesperrt, nachdem Lastwagen schon am Montagmittag wegen des Schnees stecken geblieben waren.

Aus Sicht der Autobahn GmbH Westfalen hatten Lastwagenfahrer das nächtliche Schneechaos auf der A2 maßgeblich mitverursacht, indem sie sich nicht an das verhängte Fahrverbot gehalten hätten.

Etwas weniger dramatisch war die Lage laut Polizei bei Dortmund, wo die A2 ebenfalls gesperrt war. Auf der Fahrbahn in Richtung Oberhausen hatten sich am Montagnachmittag Dutzende Lkw festgefahren, obwohl bis 22 Uhr eigentlich ein Fahrverbot für Lastwagen über 7,5 Tonnen galt. „Die Polizei registrierte dort 340 Verstöße gegen das Verbot“, sagte die Sprecherin. Einsatzkräfte versorgten alle Liegengebliebenen mit warmen Getränken und Decken.

Die Bielefelder Polizei warnte auch für die Nacht zum Mittwoch vor der Nutzung der A2. „Die Fahrbahndecke ist noch immer in weiten Teilen schneebedeckt und vereist. Durch die niedrigen Temperaturen ist der Einsatz und die Wirkung von Streumitteln eingeschränkt“, hieß es in einer Polizeimitteilung. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass der Verkehr streckenweise witterungsbedingt zum Erliegen kommen könnte.

Weitere Autobahnen und Bahn betroffen

Auch auf anderen Autobahnen war die Lage chaotisch: Auf der A10 bei Spreeau in Brandenburg stellten sich in der Nacht zwei Lastwagen quer auf die glatte Fahrbahn und kamen weder vor noch zurück, wie eine Polizeisprecherin sagte.

Auf der A4 in Osthessen hatte sich ein Stau in der Nacht zwar inzwischen aufgelöst – dort hatten Autofahrer laut Polizei aber zum Teil 15 Stunden in ihren Wagen ausgeharrt. Zum Teil kam der Verkehr nur langsam wieder in Gang, weil Polizisten Lkw-Fahrer wecken mussten, die die Wartezeit verschlafen hatten.

Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen zählte die Polizei binnen 24 Stunden rund 900 wetterbedingte Einsätze. Von Montag- bis Dienstagmorgen (jeweils 6 Uhr) rückte sie landesweit zu rund 800 Unfällen auf verschneiten und glatten Straßen aus.

Die Deutsche Bahn arbeitete daran, nach und nach wieder ihre Züge losschicken zu können. So rollten wieder Bahnen auf der wichtigen Ost-West-Verbindung zwischen Berlin über Hannover ins Ruhrgebiet, wie das Unternehmen am Dienstagnachmittag berichtete.

„Allerdings ist weiterhin mit Einschränkungen und Verspätungen zu rechnen“, hieß es mit Blick auf aktuelle Verkehrsmeldungen. Die Bahn habe ihre Kulanzregelungen für Reisende „nochmals ausgeweitet“. Auf einigen Verbindungen ging weiterhin nichts.

Von Dresden aus fuhren am Dienstag bis auf weiteres keine Fernverkehrszüge in Richtung Leipzig, Frankfurt, Hannover und Köln, wie es im Internetauftritt der Bahn hieß. Auch zwischen Hamburg und Kiel, zwischen Hamburg und Lübeck sowie zwischen Hamburg und Westerland auf Sylt rollten demnach keine Fernzüge.

Weitere Beeinträchtigungen erwartet

Fahrzeuge stehen auf der Autobahn A2 bei Bielefeld. Foto: Festim Beqiri/TV7News/dpa
Fahrzeuge stehen auf der Autobahn A2 bei Bielefeld. Foto: Festim Beqiri/TV7News/dpa

Für die Ostsee sagten die DWD-Meteorologen am Dienstag teils starken Schneefall mit Schneeverwehungen voraus. Für Ostholstein galten deswegen amtliche Unwetterwarnungen. An den Küsten sei es windig bis stürmisch. Das führte jedoch auch zu sehenswerten Naturschauspielen: So formten sich an Seebrücken auf der Insel Rügen (Mecklenburg-Vorpommern) bizarre Eisskulpturen.

Vielerorts genossen Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Vorzüge der seltenen Schneemassen. In manchen Innenstädten hieß es: Ski und Rodel gut! Das galt selbst an den berühmten langen Domstufen in Erfurt, die zum Rodelhügel wurden. Behörden in etlichen Regionen warnten eindringlich davor, zugefrorene Gewässer zu betreten. Die Eisflächen könnten trügerisch sein, es bestehe Lebensgefahr durch Einbrechen und Ertrinken.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer rechnet weiter mit Beeinträchtigungen durch das extreme Winterwetter. Der CSU-Politiker sagte am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur: „In vielen Regionen Deutschlands beginnt die Lage sich allmählich zu beruhigen. Bis alles wieder seinen gewohnten Gang geht, kann es aber noch etwas dauern. Strecken- und gebietsweise bleiben Beeinträchtigungen.“

Deshalb werde es selbst bei nachlassendem Schneefall noch ein paar Tage ruckeln, so Andreas Scheuer: „Der Schnee geht, der Frost bleibt. Darauf sollten sich alle einstellen.“ Per Videobotschaft auf Twitter bedankte sich der Minister bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn für deren Einsatz, damit der Güter- und Personenverkehr wieder ins Rollen kommt.

Eingeschränkt war weiterhin auch der Nahverkehr. In mehreren von Schnee und Eis besonders betroffenen Städten rückten die Busse auch am Dienstag nicht aus. „Im Moment ist alles noch im Depot“, hieß es bei der Ruhrbahn in Essen.

Starker Frost erwartet

Im Vergleich zum Wochenende soll der Schneefall in den kommenden Tagen insgesamt zurückgehen. Das große Thema wird dann der strenge Frost sein – vor allem nachts. In der Mitte und im Osten Deutschlands dürfte Nachtfrost von minus 18 Grad keine Seltenheit sein, sagte Meteorologe Martin Jonas.

Bei Wind und trockener Luft könne die gefühlte Temperatur nachts sogar auf bis zu minus 30 Grad sinken. „Man sollte sich wirklich warm einpacken“, warnte eine Meteorologin des Wetterdienstes Essen angesichts der Kälte. Der Wind könne dafür sorgen, dass es sehr unangenehm werde.

Unterdessen verstärkten Hilfsorganisationen ihren Einsatz für Obdachlose und versorgten sie vielerorts mit warmem Essen, Getränken, Kleidung, Schlafsachen und Hygieneartikeln. Die Coronavirus-Pandemie verschärft die Situation der Bedürftigen zusätzlich, wie es etwa von der Diakonie hieß, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen.

„Aus Hygienegründen können die Einrichtungen nicht so belegt werden wie in den Zeiten vor Corona – wir wissen von Fällen, in denen Betroffene Notunterkünfte aus Angst vor einer Corona-Ansteckung meiden“, erklärte Sandra Schuhmann, Vorständin beim Diakonischen Werk Bayern. Die Diakonie forderte die Kommunen auf, Notunterkünfte durchgehend zu öffnen und auch andere Gebäude wie Turnhallen oder leerstehende Hotels zu nutzen.

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