Neuer deutscher Rekord: Vor neun Jahren saß er noch als trauriger Teenager in einem Bielefelder Flüchtlingsheim und blickte einer ungewissen Zukunft entgegen – an einem sonnigen Sonntag in Valencia wurde für Amanal Petros nun ein Traum wahr.
Der 25-Jährige vom TV Wattenscheid lief beim hochkarätig besetzten Rennen in 2:07:18 Stunden ins Ziel. Damit blieb der aus Eritrea stammende Leichtathlet, der vor rund neun Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam, in seinem erst zweiten Marathon gleich 1:15 Minuten unter der bisherigen Bestmarke von Routinier Arne Gabius, der die 42,195 Kilometer am 25. Oktober 2015 in 2:08:33 Stunden gelaufen war.
Ganz nebenbei erfuhr Petros, dass er Richtung Rekord rannte. „Nach einigen Kilometern merkte ich, dass das doch ein ziemlich schnelles Tempo ist und erkundigte mich bei einem Begleit-Motorradfahrer“, erzählte er. „So habe ich erfahren, dass ich in der Gruppe für eine 2:06-Zeit laufe.“
Neben Tempo und Ausdauer bewies Amanal Petros als neuer Deutscher Rekord Läufer im Marathon auch Humor: Man habe die drei Tempomacher gefragt, ob sie noch bis Kilometer 35 durchhalten würden – und ihnen versprochen: „Wir laden euch dann später zum Kaffeetrinken ein!“ Die Taktik ging auf.
Als Sieger wurde in der südostspanischen Hafenstadt der Kenianer Evans Chebet gefeiert, der sich in der Jahresweltbestzeit von 2:03:00 Stunden vor seinem Landsmann Lawrence Cherono (2:03:04) durchsetzte. Top-Favorit Birhanu Legese aus Äthiopien wurde in 2:03:16 Dritter.
Lob von Gabius
„Super! Klasse gemacht, Chance genutzt“, sagte Gabius der Deutschen Presse-Agentur über seinen 14 Jahre jüngeren Nachfolger. „Amanal wird sich in den nächsten Jahren weiter verbessern. Er hat ein super Niveau, ist ein super Talent. Ich traue ihm mal eine Zeit von 2:05 Stunden zu“, meinte Gabius, der wie Petros noch auf eine Olympia-Startchance 2021 in Tokio hofft.
Auch Trainer Tono Kirschbaum zog den Hut vor seinem Schützling, der in der vorigen Woche noch im Trainingslager in Kenia war – und sich im Hochland in Topform brachte.
„Das war sehr couragiert, als ich die Zwischenzeit gesehen hab, war ich kurz vor dem Herzstillstand“, gab Kirschbaum zu. „Ich dachte: Au weia – wie will er das durchhalten? Dazu war es sehr windig – aber Aman konnte sich gut in einem Pulk halten. Er ist sowieso ein Typ, der, wenn es rollt, sich nicht scheut, Risiko zu gehen.“
Bangen um Familie
Petros war im Januar 2012 als Asylbewerber in Deutschland gelandet – als 16-Jähriger. Seine Familie musste er damals in Äthiopien zurücklassen.
Seit Wochen bangt „Aman“, wie ihn Freunde gerne rufen, um seine Familie, die aus ihrem Heimatland Eritrea nach Äthiopien geflüchtet war, als er zwei Jahre alt war. Als 16-Jähriger kam Petros ganz allein nach Deutschland; seine Mutter und seine Schwestern leben noch immer in der Region Tigray.
Seit Wochen wüten heftige Kämpfe zwischen Äthiopiens Streitkräften und der Führung der Region. „Ich kann meine Familie seit vier Wochen nicht erreichen“, hatte Petros zuletzt auf Instagram berichtet und dazu einen bedrückenden Lagebericht veröffentlicht.
Mit dieser Ungewissheit war Petros in seinen zweiten Marathon gestartet – aber auch mit der Gewissheit: „Ich werde ihn mutig angehen und an mein Volk denken, das ohne Grund gestorben ist oder fliehen musste.“
Sport als Integrationsfaktor
Der Teenager kam 2012 zunächst als Asylbewerber nach Bielefeld, er fing an zu laufen, um der Einsamkeit und der Atmosphäre in seiner engen Unterkunft zumindest zeitweise zu entkommen. Im Verein wurde er dann immer besser.
Seinem Gastland ist der neue Laufstar, der seine ersten Meriten über 5000 und 10 000 Meter auf der Bahn errang, sehr dankbar. „Der Sport hat es mir nicht nur erleichtert, die Sprache zu lernen. Die Kontakte mit den Deutschen waren auch wichtig, um Mentalität und Kultur zu verstehen“, hatte Petros damals gesagt.
Vor fast genau einem Jahr erfüllte der Marathon-Mann auf Anhieb die Olympia-Norm (2:11:30 Stunden). Gleich bei seinem Debüt lief Amanal Petros 2:10:29 – ebenfalls in Valencia und nun ist sein Deutscher Rekord im Marathon in der Bestenliste des Deutschen Leichtathletikverbandes vertreten.
Weltrekord im Halbmarathon
Im Halbmarathon-Rennen hatte der Kenianer Kibiwott Kandie zuvor den Weltrekord klar verbessert und war als erster Läufer unter 58 Minuten geblieben.
Der 24-Jährige gewann die hochkarätige Konkurrenz in 57:32 Minuten und blieb damit gleich 29 Sekunden unter dem gut ein Jahr alten Weltrekord seines Landsmanns Geoffrey Kamworor (58:01). Zweiter in Valencia wurde Jacob Kiplimo aus Uganda (57:37) vor dem Kenianer Rhonex Kipruto (57:49).
Das schnellste Halbmarathon-Debüt der Leichtathletik-Geschichte gelang der Äthiopierin Genzebe Dibaba: Die 29-Jährige, die auch den Bahn-Weltrekord über 1500 Meter hält, gewann in 1:05:18 Stunden.
weiterführende Informationen:
➡️ Kurzporträt Amanal Petros
➡️ Ewige DLV-Bestenliste Marathon/Männer [PDF]
➡️ weitere News aus dem Bereich „Leichtathletik“
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