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WM-Mut durch Wembley-Revanche: Flick verlangt Antworten

«Wir haben ein bisschen was gut zu machen», sagt Bundestrainer Hansi Flick vor der Partie gegen England. Foto: Jan Woitas/dpa
«Wir haben ein bisschen was gut zu machen», sagt Bundestrainer Hansi Flick vor der Partie gegen England. Foto: Jan Woitas/dpa

Die EM-Revanche soll zum WM-Mutmacher werden. Im Duell der Enttäuschten bei Nations-League-Absteiger England muss Hansi Flick die plötzlichen Zweifel am Nationalteam ganz rasch beseitigen.

London (dpa) – Gleich nach der Landung in London zog es Hansi Flick gemeinsam mit seinem Hoffnungsträger Jamal Musiala auf den Rasen im Wembleystadion.

Diese besondere Atmosphäre in Englands Fußball-Tempel wollte der Bundestrainer bei einem kleinen Rundgang unbedingt aufsaugen. „Es ist eines der schönsten Stadien, die es gibt auf der Welt“, sagte Flick – doch für mehr Schwärmereien war keine Zeit.

„Wir haben ein bisschen was gut zu machen. Das wollen wir morgen auf dem Platz zeigen“, sagte Flick im feinen, schwarzen DFB-Anzug mit den vier Weltmeistersternen auf dem Jackett vor dem Duell der Enttäuschten in der Nations League mit England am Montag (20.45 Uhr/RTL). Ein Mutmacher für Katar wird dringend gebraucht nach der ersten Niederlage seiner Amtszeit gegen Ungarn.

Beim Abschlusstraining der Nationalmannschaft im Leipziger Stadion am Vormittag hatte er mit Oliver Bierhoff die Köpfe zusammengesteckt. Nach der frustrierenden Ungarn-Pleite hatt Flick mit dem DFB-Direktor noch viel zu bereden. Besonders in Flicks Fokus: Der auch im Deutschland-Trikot bedenklich schwächelnde Sieglos-Block des FC Bayern.

Flick weiß vor dem Duell am Montagabend (20.45 Uhr/RTL) mit dem Nations-League-Absteiger England genau: Er braucht seine Münchner um Antreiber Joshua Kimmich und auch Zauberdribbler Musiala in Gewinnerform. Und zwar schnell. Beim ernüchternden 0:1 gegen Ungarn offenbarten besonders Ersatzkapitän Thomas Müller und Serge Gnabry unerklärliche Mängel.

Ein weiterer Dämpfer gegen die Three Lions und die erste Krise unter Flick als Bundestrainer wäre nicht mehr wegzureden. Und das sieben Wochen vor dem WM-Abflug. „Es ist grundsätzlich immer wichtig, wenn man gewinnt, weil es der Mannschaft Vertrauen gibt, gerade gegen so einen Gegner wie England“, sagte Flick.

Bierhoff: „Wir wollen Wiedergutmachung“

Auch Bierhoff drängte auf einen Positiv-Effekt: „Wir wollen Wiedergutmachung, zu unserem Spiel finden und natürlich Vertrauen sammeln“, sagte er. „Wir müssen mehr an uns glauben. Und da hilft so ein Spiel gegen Ungarn nicht. Da müssen wir schauen, dass wir gegen die Engländer bestehen und auch die Dinge umsetzen, die von den Trainern gefordert werden“, lautete der Appell des DFB-Direktors.

Die DFB-Führung räumte vor der Reise nach England die Frage der WM-Prämien ab. 400.000 Euro würde jeder Nationalspieler für den WM-Titel erhalten. „Eine akzeptable Lösung“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Um die satten Prämien zu kassieren, wird sich das DFB-Team deutlich steigern müssen.

Was da gegen Ungarn los war, konnte sich auch Kimmich nicht erklären. Einen Zusammenhang zwischen Bayern-Frust und DFB-Lethargie wollte der 27-Jährige nicht gelten lassen. „Generell sollte jeder mit einem gewissen Selbstvertrauen auf den Platz gehen. Unabhängig davon, ob wir davor ein Spiel verloren oder gewonnen haben. Bei mir ist es so, dass ich das letzte Spiel abhake und mit Selbstvertrauen auf den Platz gehe“, sagte Kimmich. Selbstvertrauen, das war auch der von Bierhoff geradezu inflationär benutzte Begriff.

Flick lenkte den Fokus nach seiner Premieren-Niederlage, mit der die Chance auf den Gruppensieg in der Nations League verspielt wurde, aber auf sich. „Ich will keine Ausreden suchen“, sagte der 57-Jährige. „Ich bin natürlich schon enttäuscht, absolut, weil man nie gerne verliert.“ Das Spiel habe ihm „die Augen geöffnet“.

Nur ein Sieg aus den vergangenen sechs Spielen

Das verbale Schutzschild, das Flick aufbaute, erfüllte einen Zweck. Der Negativ-Fokus soll sich nicht auf die Mannschaft richten, keine Übergröße entwickeln, die sich zu einem WM-Schatten aufplustert. Flick spürt, wie schnell sich die Fußball-Großwetterlage drehen kann. Acht Siege in Serie, 13 Spiele ungeschlagen. Die Statistiken seines ersten Jahres als DFB-Chefcoach sind plötzlich nichts mehr wert.

Jetzt heißt die Bilanz: Nur ein Sieg aus den vergangenen sechs Spielen, immer mindestens ein Gegentor kassiert und ein blutleerer Auftritt gegen beherzte Ungarn, die nicht einmal für das Turnier in Katar qualifiziert sind. Der fünfte WM-Titel kurz vor Weihnachten erscheint als großspuriges Ziel. Auch wenn Bierhoff an den Ambitionen festhält. „Das Ziel bleibt. Na klar wird man nach diesem Spiel sagen, wie kann man das sagen. Aber wir fangen auch bei dem Turnier bei Null an“, sagte der DFB-Direktor.

DFB-Elf will Revanche für das EM-Aus gegen England

In England geht auch noch um die Revanche für das EM-Aus im Achtelfinale vor gut einem Jahr, das das Ende der Ära von Joachim Löw als Bundestrainer besiegelte. Flick kann dabei auf selbstkritische Spieler zählen. „Wir haben definitiv sehr viel zu tun. Wir müssen mehr machen“, sagte der nach seiner zweiten Gelben Karte im Wettbewerb gesperrte Antonio Rüdiger.

Bei aller Enttäuschung: Alles wird der Bundestrainer nicht über den Haufen werfen. „Die Zeit der Experimente ist vorbei“, sagte er. Gemeint sei damit aber die Taktik, nicht das Personal. Viele Details verriet Flick nicht. Sicher ist, dass Musiala in seiner alten englischen Heimat spielen wird und Marc-André ter Stegen wieder das Tor hütet. Für den gesperrten Rüdiger dürfte Nico Schlotterbeck in die Abwehrkette rücken.

Die spannende Frage ist: Wen degradiert Flick aus seinem von Bayern-Profis dominierten Offensiv-Quartett? Rückt auch Kai Havertz wie Musiala in die Startelf? Dann muss Flick knifflige Entscheidungen treffen. Thomas Müller? Leroy Sané? Serge Gnabry? Oder Leipzigs Timo Werner? Wer muss bei der WM-Generalprobe für Katar weichen?

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

England: Ramsdale (FC Arsenal/24 Jahre/3 Länderspiele) – Walker (Manchester City/32/69), Stones (Manchester City/28/59), Maguire (Manchester United/29/47) – Trippier (Newcastle United/32/37, Rice (West Ham United/23/33, Bellingham (Borussia Dortmund/19/16), Chilwell (FC Chelsea/25/17) – Mount (FC Chelsea/FC Chelsea/23/31) – Kane (Tottenham Hotspurt/29/74), Sterling (FC Chelsea/27/78)

Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona/30/29) – Kehrer (West Ham United/26/21), Süle (Borussia Dortmund/27/41), Schlotterbeck (Borussia Dortmund/22/4), Gosens (Inter Mailand/28/13) – Kimmich (FC Bayern München/27/69), Gündogan (Manchester City/31/61) – Müller (FC Bayern München/33/117), Musiala (FC Bayern München/19/16), Sané (FC Bayern München/26/46) – Havertz (FC Chelsea/23/29)

Schiedsrichter: Danny Makkiele (Niederlande)

© dpa-infocom, dpa:220925-99-890427/6

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