Am Tag nach dem Rücktritt des allmächtigen Bosses Clemens Tönnies goss es über Gelsenkirchen wie aus Kübeln, als wollte eine höhere Kraft dem sportlich wie wirtschaftlich schwer angeschlagenen FC Schalke 04 zeigen, wie es nach der Zäsur weitergeht: Düster und ungemütlich.
In der Tat schworen die Schalker Verantwortlichen die Fans des Revierclubs auf schwere Zeiten ein. „Träumen dürfen wir nicht mehr“, sagte Sportchef Jochen Schneider, und Marketing-Vorstand Alexander Jobst verkündete: „Dieser Tag ist eine Zäsur für den FC Schalke 04. Ein ‚Weiter so‘ kann und wir es nicht geben.“
Demütig und fast flehentlich bat der verbliebende Vorstand nach dem Aus von Finanzchef Peter Peters die riesige Fangemeinde um Vergebung. „In den vergangenen Monaten hat Schalke ein miserables Bild abgegeben. Wir wissen, dass wir sehr viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt haben“, räumte Jobst ein.
Und Jobst meinte damit neben dem sportlich beispiellosen Absturz in der Rückserie mit 16 sieglosen Spielen am Stück – so etwas hatte es zuvor auf Schalke noch nie gegeben – Fehler im Umgang mit den Fans und Angestellten sowie die Diskussion um die Rechtsform.
Den Fans wurde beim Umgang mit bereits verkauften Tickets für die Corona-Geisterspiele zunächst keine Möglichkeit der Rückerstattung gegeben, später die Angabe von „Härtefällen“ zur Begründung dafür eingefordert. Zudem wurden geringfügig beschäftigten, langjährigen Fahrern von Jugendspielern gekündigt. „Wir haben Fehler gemacht, für die wir uns entschuldigen möchten“, sagte Jobst.
Finanzielle Probleme
Fehler vom bisherigen Schalke-Boss Tönnies nannte er nicht. Der 64 Jahre alte Fleisch-Unternehmer war nach Protesten am 30. Juni zurückgetreten. Die als rassistisch eingestuften Äußerungen im Vorjahr und die Vorgänge und Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb in Rheda-Wiedenbrück samt eines Corona-Ausbruchs dort hatten sein Ansehen sinken lassen.
Zu Tönnies und Peters wollten Jobst und Schneider aber nichts Negatives sagen. Indirekt taten sie es mit Blick auf die Finanzen dann doch – und mit der Aussage, dass nach der Zäsur nun eine Neuausrichtung von Schalke 04 stattfinde.
Immer wieder hatte es zuletzt Berichte darüber gegeben, Schalke habe – zukünftige – TV-Gelder bereits für Investitionen und teure Gehälter vorab eingesetzt. Als in der Corona-Pause der Bundesliga plötzlich fest eingeplante TV-Zahlungen auf der Kippe standen, ging es Schalke beinahe an den Kragen. Jobst sprach vor wenigen Monaten von einer „existenzbedrohenden Situation“, nachdem das Minus im Geschäftsjahr 2019 – vor Corona – schon knapp 200 Millionen Euro betragen hatte.
Dank der zu Ende gespielten Saison entspannte sich die Lage etwas. Mit riskanten Finanz-Deals soll nun Schluss sein. „Bei der Wette in die Zukunft haben wir in den letzten Jahren die Wette mehrfach verloren“, gestand Alexander Jobst. In den vergangenen vier Spielzeiten verpasste S04 dreimal den Europacup. „Wir müssen jetzt die Stopp-Taste drücken, um Schalke 04 durch Corona zu steuern“, erklärte der 46-Jährige.
Neuausrichtung
Verkürzt kann man die Neuausrichtung auf die Formel bringen: Gehälter runter, Etat runter, Ansprüche runter. „Das hat die Konsequenz, dass wir unsere sportlichen Ziele für die nächsten ein, zwei, vielleicht auch drei Saisons anpassen müssen“, führte Alexander Jobst weiter aus.
So ehrlich und demütig die Worte der verbliebenden Bosse auch waren, in einem Punkt blieben sie wiederum vieles schuldig. Wie die Mannschaft in der kommenden Saison konkret aussehen soll und wie konkret die Einschnitte sein müssen, sagten sie nicht. „Zu konkreten Zahlen kann und werde ich keine Angaben machen“, sagte Jochen Schneider des Öfteren.
Ob es die Gehaltsobergrenze für Spieler von 2,5 Millionen Euro, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, künftig gibt, blieb offen. „Das Lizenzspieler-Budget ist der größte Hebel“, sagte Schneider, meinte aber auch: „Da verfolgen wir keinen dogmatischen Ansatz.“
Auch zur Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, die der Club für einen Kredit in der Höhe von bis zu 40 Millionen Euro laut Handelsblatt beantragt haben soll, gab es nur Andeutungen. „Das werden wir kommunizieren, wenn wir Fakten geschaffen haben“, sagte Alexander Jobst.
Wagner bleibt
Keine überraschenden Fakten gibt es auf der Trainerposition. David Wagner bleibt trotz des Club-Negativrekords von 16 sieglosen Spielen nach der tollen Hinrunde Trainer der Königsblauen. Der 48-Jährige räumte selbst ein, angeschlagen und „mit einem Rucksack“ in die neue Saison zu gehen. „Der letzte Eindruck ist der, der zählt“, sagte Wagner. Selbstbewusst verwies der frühere Profi aber darauf, Schalke in der Hinserie mit 30 Punkten auf Rang fünf geführt zu haben.
Dann aber kam neben dem Ärger um den Wechsel von Torhüter Alexander Nübel zum FC Bayern die Verletztenmisere hinzu, die laut Wagner und Schneider in erster Linie ausschlaggebend für den Absturz war. Als Konsequenz baut Schalke das Athletik-Team um und holt Werner Leuthard, den gefürchteten einstigen Fitness-Trainer von Felix Magath, zurück.
Trotz der Rückschläge, der Kritik und der unsicheren Zukunft ist Wagner froh, weitermachen zu dürfen. „Ich freue mich, wenn wir uns am 31. Juli wiedersehen“, meinte der 48-Jährige und sprach noch einmal unbequemes aus: „Ja, wir sind der große FC Schalke 04, aber wir sind nicht mehr das Schalke 04 wie vor zehn Jahren.“
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