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Absurder DFB-Pokal: Dorfclubs in großen und fast leeren Arenen

Der SV Todesfelde ist der einzige Fünftligist, der im DFB-Pokal zu Hause spielen will. Foto: Franko Koitzsch/dpa
Der SV Todesfelde ist der einzige Fünftligist, der im DFB-Pokal zu Hause spielen will. Foto: Franko Koitzsch/dpa

Einen solchen Spieltag im DFB-Pokal hat der deutsche Fußball noch nicht erlebt: Ein Drittel aller Außenseiter spielt lieber in großen und fast leeren Arenen. Die „Kleinen“ verzichten freiwillig auf das Heimrecht. Rund ein Drittel aller Spiele findet ohne Zuschauer statt, in die anderen Arenen dürfen unterschiedlich viele Besucher.

Vieles, was sich im vergangenen halben Jahr auch im Fußball ereignet hat, galt vor Corona noch als unvorstellbar: Dass Profi-Vereine in ihren nahezu leeren Multifunktions-Arenen Feierabend-Fußballer zu Pflichtspielen im DFB-Pokal empfangen, gehört sicher zu den größten dieser Absurditäten. Und so steht ab Freitag das sicher verrückteste Pokal-Wochenende der Geschichte bevor.

Elf Viert- und Fünftligisten haben die erstmalige Chance auf Tausch des Heimrechts genutzt, weil sie die Hygiene-Vorschriften nicht erfüllen konnten oder finanzielle Verluste befürchteten. Sie begeben sich auf große Erlebnis-Reise in Arenen, in denen die bis zu vierfache Einwohnerzahl ihres Dorfes oder Stadtteils passen würde.

Bundesligisten ersparen sich die Reise-Strapazen, Auftritte auf Bezirkssportanlagen mit tückischen Umständen und haben somit wohl ein noch geringeres Risiko, sich in einer der heimischen Arenen in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokal zu blamieren.

Geringe Hoffnung auf Sensationen

Wenn überhaupt, ist daher wohl nur mit wenigen Sensationen zu rechnen. Zuletzt war 2009 kein Erstligist zum Auftakt gescheitert. In jedem Fall fehle der ersten Runde „natürlich ein Teil des besonderen Reizes“, sagte DFB-Vizepräsident Peter Frymuth.

Gleichwohl wäre ein tatsächliches Scheitern der Profis, ja selbst ein Umweg über Verlängerung oder Elfmeterschießen, am Ende eine umso größere Blamage, an die sich Fußball-Deutschland noch in Jahren erinnern wird. 

Die Außenseiter sind schon im Spielbetrieb. Und die Gefahr, den Gegner zu unterschätzen, sei unter diesen Umständen „natürlich da“, sagte Mönchengladbachs Trainer Marco Rose vor dem Spiel gegen den Regionalligisten FC Oberneuland: „Das ist menschlich.“

Eine „eigenartige“ Situation sei das Ganze, sagte auch Kölns Trainer Markus Gisdol, dessen Verein den Viertligisten VSG Altglienicke vor 300 Zuschauern empfängt.

Unterschiedliche Zuschauer-Grenzen

Die Zahlen der zugelassenen Zuschauer variieren derweil extrem. Insgesamt werden es rund 35.000 Zuschauer – weniger als in Köln alleine reinpassen. Bei neun der 31 Spiele des Wochenendes sind gar keine Besucher zugelassen, bei 16 weiteren maximal 500.

In Mainz dürfen 1.000 Zuschauer in die Arena, im Osten dagegen deutlich mehr: 2.500 in Jena, 4.632 in Chemnitz, 5.000 in Magdeburg, 7.500 in Rostock und sogar bis zu 10.000 in Dresden beim Spiel gegen den Hamburger SV.

Auch die Verteilung der Tickets bei kleinen Beständen ist höchst unterschiedlich. Der FC Schalke 04 gibt seine 300 Karten für das Spiel gegen den FC Schweinfurt 05 an Mitarbeiter aus Gelsenkirchener Krankenhäuser und Seniorenheime aus. Köln verlost seine unter allen Dauerkarten-Inhabern, die seit März auf Rückzahlungen des Ticket-Werts verzichtet haben.

Drittligist Duisburg lädt gegen Dortmund 20 Personen ein, die von der Corona-Pandemie in besonderem Maße betroffen sind. Bayer Leverkusen teilt die Karten unter Fans, Behinderten und deren Begleitern, Familien und Freunden der Lizenzspieler, Mitarbeitern und Partnern des Vereins auf.

Außenseiter sehen Umzug als einzige Chance

Gäste-Fans fehlen oft komplett. Dennoch verzichten die Underdogs ausgerechnet wenige Monate, nachdem mit dem 1. FC Saarbrücken der erste Viertligist das Halbfinale erreichte, auf den größten Vorteil, der solche Märchen möglich macht. Ohne Zuschauer wäre er auch „nicht allzu groß gewesen“, sagte Trainer Jan Zimmermann, der mit dem Viertligisten TSV Havelse nun beim Bundesligisten Mainz antritt.

So ersparen sich die Amateure ein finanzielles Risiko. 30.000 bis 35.000 Euro koste die Austragung eines Pokalspiels, rechnete Stefan Cohrs, Abteilungsleiter des Fünftligisten MTV Eintracht Celle, vor. Die Reise nach Augsburg kostet inklusive Übernachtungen rund 6.000 Euro.

Für Schleswig-Holsteins Pokalsieger SV Todesfelde ist es derweil eine Investition in ein unvergessliches Erlebnis. Das Spiel gegen den Zweitligisten VfL Osnabrück absolviert der Fünftligist aus dem 1000-Einwohner-Dorf daheim. Man wolle „das größte Spiel der Vereinsgeschichte im Wohnzimmer bestreiten“, sagte Teammanager Timo Gothmann.

© dpa-infocom, dpa:200910-99-507232/3

➡️ Ansetzungen 1. Runde DFB-Pokal (ohne Heimrechtstausch)

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