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Türkei: Gezi-Prozess um Osman Kavala in Istanbul wird neu aufgerollt

Soldaten sperren den Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes in Silivri ab, in dem der Gezi-Prozess im Februar 2020 stattfand. (Archivbild). Foto: Emrah Gurel/AP/dpa
Soldaten sperren den Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes in Silivri ab, in dem der Gezi-Prozess im Februar 2020 stattfand. (Archivbild). Foto: Emrah Gurel/AP/dpa

In der Türkei wird ein eigentlich abgeschlossenes Verfahren zu den Gezi-Protesten 2013 wieder aufgerollt. Zu Beginn gibt es viel Kritik am Vorgehen der Justiz.

Knapp acht Jahre nach regierungskritischen Gezi-Protesten in der Türkei rollt ein Gericht in Istanbul einen umstrittenen Prozess zu den damaligen Ereignissen wieder auf.

In dem neuen Prozess müssen sich seit Freitag 16 Angeklagte verantworten, von denen einige in erster Instanz bereits freigesprochen wurden: Darunter ist der seit mehr als dreieinhalb Jahren inhaftierte Kulturförderer Osman Kavala, der zudem der Spionage beschuldigt wird. Auch der in Deutschland lebende Journalist Can Dündar steht unter Anklage.

Kritiker werten den neuen Prozess zu den Gezi-Protesten in der Türkei als rein politisch motiviert. Osman Kavala selbst nannte das Vorgehen der Justiz am Freitag willkürlich und zog Vergleiche zur Zeit des Nationalsozialismus. Ein Antrag auf seine Entlassung aus der Untersuchungshaft wurde abgelehnt. Die Verhandlung soll nun am 6. August fortgesetzt werden.

Im Januar hatte ein Berufungsgericht beschlossen, dass das Verfahren neu aufgerollt wird. Sieben Angeklagte halten sich wie Dündar im Ausland auf. Ihr Verfahren war ursprünglich abgetrennt worden. Osman Kavala und die restlichen Angeklagten wurden vergangenes Jahr freigesprochen. Danach wurde er jedoch auf Basis neuer Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem Putschversuch 2016 wieder inhaftiert, das Verfahren mit dem nun begonnenen zusammengelegt. Sein Anwalt Köksal Bayraktar berichtete, Osman Kavala trage bereits körperliche und seelische Schäden von der langen Einzelhaft.

Die weitestgehend friedlichen Gezi-Proteste im Sommer 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des Gezi-Parks im Zentrum Istanbuls gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aus. Die Regierung ließ die Proteste brutal niederschlagen.

Am ersten Tag der Verhandlung sagten mehrere Angeklagte aus. Der Prozess stieß auf großes Interesse. Zahlreiche Medienvertreter und internationale Beobachter wurden teilweise aus Platzmangel abgewiesen. Corona-Abstandsregeln konnten nicht eingehalten werden. Osman Kavala selbst war per Video aus dem Gefängnis zugeschaltet. Unter den Zuschauern war auch seine Frau Ayse Bugra, eine Professorin.

Die Zusammenlegung der Verfahren wurde von Menschenrechtlern wie von Anwälten kritisiert. Die Vorwürfe hätten nichts miteinander zu tun, hieß es. Das Berufungsgericht hatte in seiner Entscheidung auch eine Zusammenlegung mit dem sogenannten Carsi-Prozess gefordert. Die Entscheidung darüber steht aber noch aus. Während der Gezi-Proteste hatte ein Fanclub des Fußballvereins Besiktas namens Carsi eine wichtige Rolle gespielt.

Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt 35 Fußballfans unter anderem vorgeworfen, die Gezi-Proteste als Vorwand genutzt zu haben, um die Regierung zu stürzen. Im Dezember 2015 wurden sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Im vergangenen Monat wurde das Urteil wieder aufgehoben. Fikret İlkiz, ein anderer von Kavalas Anwälten, sagte, würden die Verfahren zusammengelegt, werde der Prozess viele Jahre dauern. „Das können wir nicht dulden.“

Erdogan hatte Osman Kavala in der Vergangenheit etwa öffentlich mehrmals als Hintermann der Gezi-Proteste und seinen Freispruch als „Manöver“ bezeichnet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte bereits im Dezember 2019 Kavalas Freilassung angeordnet, weil nicht genügend Beweise gegen ihn vorlägen.

© dpa-infocom, dpa:210521-99-690259/3


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