Ausland EU News Politik Reisen Topnews Verkehr

Festnahme Roman Protassewitsch: Belarus zwingt Flugzeug zur Landung

Das Ryanair-Flugzeug ist inzwischen mit mehreren Stunden Verspätung in Vilnius angekommen. Foto: Mindaugas Kulbis/AP/dpa
Das Ryanair-Flugzeug ist inzwischen mit mehreren Stunden Verspätung in Vilnius angekommen. Foto: Mindaugas Kulbis/AP/dpa

Ein bekannter belarussischer Journalist ist auf dem Weg von Griechenland nach Litauen – doch Roman Protassewitsch kommt nicht an: Sein Ryanair-Flug wird von Belarus-Präsident Alexander Lukaschenko zur Landung in Minsk gezwungen um ihn zu verhaften. Das Vorgehen löst Empörung aus.

Für die Festnahme des Journalisten Roman Protassewitsch haben Behörden in der autoritär regierten Republik Belarus ein Flugzeug auf dem Weg vom griechischen Athen ins litauische Vilnius umgeleitet und in der Hauptstadt Minsk zur Landung gezwungen.

An Bord der Passagiermaschine der Fluggesellschaft Ryanair war unter den mehr als 100 Passagieren auch der vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko international gesuchte Journalist Roman Protassewitsch. Er wurde nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna am Sonntag auf dem Airport festgenommen.

Der Vorfall löste in der EU breites Entsetzen aus. Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte „deutliche Konsequenzen“. Der Vorfall rutscht nun auf die Tagesordnung des ohnehin geplanten EU-Sondergipfels, der am Montagabend in Brüssel beginnt.

Oppositionelle sprachen von einem beispiellosen Eingriff in den internationalen Luftraum. Auch der regierungskritische Nachrichtenkanal Nexta (Gesprochen Nechta) bestätigte die Festnahme seines Mitbegründers und früheren Redakteurs Roman Protassewitsch, der an Bord einer Ryanair-Maschine gewesen sei.

Der Journalist Roman Protassewitsch, hier bei einer Verhaftung durch belarussische Polizisten im Jahr 2017. Foto: Sergei Grits/AP/dpa
Der Journalist Roman Protassewitsch, hier bei einer Verhaftung durch belarussische Polizisten im Jahr 2017. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Roman Protassewitsch sei schon in Athen vor dem Einstieg ins Flugzeug verfolgt worden, hieß es. Belarus-Präsident Alexander Lukaschenko habe mit einem Verstoß gegen alle Gesetze ein Flugzeug „gekapert“, kritisierte der Kanal. Nexta forderte Ryanair auf, den Vorfall aufzuklären.

Die Fluglinie bestätigte, dass einer ihrer Flieger auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius nach Minsk umgeleitet worden sei. Die Besatzung des Fluges sei von belarussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen, teilte die Airline auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Die Maschine sei sicher gelandet, und die Passagiere seien von Bord gegangen, während die lokalen Behörden Sicherheitsüberprüfungen erledigt hätten. Dabei sei nichts Ungewöhnliches gefunden worden. Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach schätzungsweise fünf Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne. Am späten Abend teilte Ryanair schließlich mit, dass Flug FR4978 um 21.25 Uhr Ortszeit (20.25 Uhr MESZ) sicher in Vilnius gelandet sei.

Zur Festnahme von Passagier Roman Protassewitsch gab es von Ryanair keine Angaben – auch nicht zu den Entgegnungen, dass auf Flugseiten wie flightradar24.com zu sehen sei, dass der Flughafen in Minsk entgegen dem Statement nicht der nächstliegende gewesen sei, sondern der Zielflughafen in Vilnius näher lag.

Die Behörden in Belarus stufen das von Roman Protassewitsch gegründete Medium Nexta als extremistisch ein. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Alexander Lukaschenko aufgerufen. Roman Protassewitsch gehört zu den vielen international zur Fahndung ausgeschriebenen Oppositionellen, denen Alexander Lukaschenko persönlich den Kampf angesagt hat.

Die ebenfalls im Exil in der EU lebende Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja verurteilte die „Geheimdienstoperation“. Ihre Mitarbeiter meinten, dass die Aktion auch ihr gegolten haben könnte; Tichanowskaja habe die Route von Athen nach Vilnius auch schon genommen. Sie ist ebenfalls zur Fahndung ausgeschrieben. Viele Menschen in Belarus halten sie für die Siegerin der Präsidentenwahl vom 9. August 2020.

Der Geheimdienst KGB hatte den Journalisten Roman Protassewitsch auf eine Liste mit Menschen setzen lassen, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal tut.by bei Telegram berichtete. Nach Angaben der Staatsagentur Belta hatte Alexander Lukaschenko nach dem Alarm über einen Sprengsatz an Bord der Maschine selbst das Kommando gegeben, das Flugzeug in Minsk landen zu lassen.

Zur Begleitung der Ryanair-Maschine sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, bestätigte der Flughafen. Flughafensprecher teilten in Staatsmedien mit, die Piloten an Bord der Maschine hätten um die Landeerlaubnis gebeten. Später habe sich die Information über die mutmaßliche Bombe als Fehlalarm herausgestellt.

Das Auswärtige Amt in Berlin forderte eine Erklärung zu der außerplanmäßigen Landung eines Passagierflugzeugs in Minsk. Staatssekretär Miguel Berger schrieb auf Twitter, es sei eine sofortige Erklärung der Regierung von Belarus zur Umleitung eines Ryanair-Fluges innerhalb der EU nach Minsk und der angeblichen Festnahme eines Journalisten nötig.

Die EU-Spitzen verurteilten die Umleitung der Maschine. „Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen“, schrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben.

Der Vorfall und mögliche Sanktionen gegen Belarus werden am Montagabend nun Thema bei einem ohnehin geplanten EU-Sondergipfel in Brüssel. EU-Ratspräsident Charles Michel werde den Vorfall thematisieren, teilte sein Sprecher am Sonntagabend mit. „Konsequenzen und mögliche Sanktionen werden bei dieser Gelegenheit diskutiert.“

EU-Ratschef Charles Michel schrieb unterdessen selbst auf Twitter, der „beispiellose Vorfall“ werde nicht ohne Konsequenzen bleiben. Schon jetzt sind zahlreiche Sanktionen in Kraft. Die EU erkennt Alexander Lukaschenko zudem nicht als Präsident von Belarus an.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte kurz zuvor getwittert, er habe Michel gebeten, dass bei dem Gipfel über unverzügliche Sanktionen gegen das „Regime“ von Lukaschenko beraten werden solle.

Auch Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis forderte via Twitter, dass der Vorfall Thema beim EU-Sondergipfel wird. Das griechische Außenministerium sprach von „staatlicher Luftpiraterie“.

Der Pole Morawiecki schrieb, die „Entführung eines Zivilflugzeugs“ sei ein „beispielloser Akt von Staatsterrorismus“ und könne nicht ungestraft bleiben. Litauens Präsident Gitanas Nauseda forderte in einer Stellungnahme die sofortige Freilassung des Aktivisten Roman Protassewitsch. „Das ist ein nie dagewesener Vorfall (…) Das Regime von Belarus steht hinter dieser abscheulichen Aktion“, schrieb er auf Twitter.

Auch Deutschlands Außenminister Heiko Maas forderte Konsequenzen. „Dass ein Flug zwischen zwei EU-Staaten unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung gezwungen wurde, ist ein gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa“, sagte der SPD-Politiker. Auch die drei Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) äußerten sich entsetzt über den Vorfall. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte ebenfalls eine internationale Untersuchung der Flugzeug-Umleitung.

Der frühere Belarus-Kulturminister Pawel Latuschko, der in der EU als Oppositioneller im Exil lebt, sagte unter Berufung auf seine Kontakte, dass die Flugleitzentrale in Minsk den Piloten mit einem Abschuss der Maschine gedroht habe, wenn sie nicht landen. Dazu sei auch ein mit Raketen bewaffneter Kampfjet MiG-29 aufgestiegen, um das Flugzeug zur Umkehr und auf den Boden zu zwingen. Dass ein Kampfjet aufstieg, haben die Behörden in Minsk zwar bestätigt, nicht aber die Drohung gegen die Piloten.

© dpa-infocom, dpa:210523-99-713969/13
© dpa-infocom, dpa:210523-99-713969/16

Beachten Sie auch zu Lukaschenko-Wahl in Belarus:



[plista widgetname=plista_widget_belowArticle]

Hinterlasse einen Kommentar