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Spätfolgen von Corona: Trotz Genesung ein anderes Leben

Viele Covid-19-Patienten berichten auch nach ihrer Genesung von anhaltenden Beschwerden. Foto: Uwe Anspach/dpa/Archiv
Viele Covid-19-Patienten berichten auch nach ihrer Genesung von anhaltenden Beschwerden. Foto: Uwe Anspach/dpa/Archiv

Die Corona-Infektion haben sie überwunden. Sie gelten als genesen. Doch gesund sind sie nicht. Für eine noch schwer schätzbare Zahl von Covid-19-Patienten ist offen, ob sie je wieder ihre frühere Form erreichen werden.

Ein bisschen abgeschlagen habe er sich anfangs gefühlt, erzählt der Physiotherapeut aus dem Raum Ingolstadt: So begann im März seine Covid-19-Erkrankung, die Corona-Spätfolgen beschäftigen ihn auch nach der Genesung.

Ein dreiviertel Jahr nach der Corona-Infektion sind die Ärzte am Klinikum Ingolstadt froh, dass der passionierte Tennisspieler wieder sprechen und auf eigenen Beinen in die Ambulanz kommen kann.

Er werde, macht ihm sein behandelnder Arzt Thomas Pfefferkorn Mut, irgendwann auch wieder Tennis spielen. Aber, das sagt der Chef der Neurologie auch: Seine frühere Form werde er nicht mehr erreichen – die Spätfolgen können auch nach der Genesung von Corona das Leben verändern.

Corona-Spätfolgen häufig

Der 51-Jährige litt am Guillain-Barré-Syndrom, einer entzündlichen Erkrankung der Nerven mit Muskellähmungen, die nach derzeitigem Kenntnisstand in Einzelfällen auch bei einer Corona-Infektion entstehen kann.

Fünf Wochen habe er sich nicht bewegen können, die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein. „Das ist eine dicke Kerbe im Leben“, sagt er. „Man geht nicht einfach zurück in den Alltag.“

Auch jenseits solch ungewöhnlicher Folgeerkrankungen haben viele Patienten noch lange nach ihrer offiziellen Genesung gesundheitliche Probleme.

Bei einer Befragung von 143 Klinikpatienten in Italien gaben 87 Prozent an, noch 60 Tage nach dem ersten Auftreten von Covid-19-Symptomen ein oder mehrere Symptome zu haben.

Genannt wurden vor allem Erschöpfung (53 Prozent) und Atemnot (43 Prozent), aber auch Gelenk- und Brustschmerzen, Husten und Geruchsverlust. Das Virus greift nicht nur die Lunge an, sondern auch andere Organe und Nerven.

Langanhaltende Beschwerden

Andere Studien ergaben ähnliche Ergebnisse. Betroffen sind nicht nur Menschen, die im Krankenhaus behandelt wurden. Manche klagen über Schwindel, auch fehlende Konzentration wird als Problem genannt.

Da ist die Studentin, die ihre Abschlussarbeit nicht schafft, der Ingenieur, der sich seine Pin-Nummer nicht mehr merken kann, und der Taucher, dessen Lunge nach Wochen noch zu schlecht aussieht, als dass er wieder unter Wasser könnte.

Mittlerweile werden erste Selbsthilfegruppen von Post-Covid-Patienten gegründet. Vor allem gehe es darum, über das Erlebte zu sprechen, sich gegenseitig bei der Genesung zu unterstützen und fachliche Informationen zu sammeln, sagt Karl Baumann, der in Regensburg eine solche Gruppe gegründet hat.

„Es kommt eine Riesenwelle auf unser Gesundheitssystem zu“, ist der 52-jährige Unternehmer überzeugt, der noch nicht weiß, wann und ob er wieder voll arbeiten kann.

Wellenförmiger Verlauf

Baumann war im März erkrankt. Er hing an der Herz-Lungen-Maschine, erlitt im Koma einen Schlaganfall und überlebte knapp. Lunge, Herz, Nieren und Leber waren betroffen. Manche seiner Werte seien noch immer nicht normal. Es gehe aber auch um die Psyche.

„Man muss das Trauma aufarbeiten“, sagt er. Seine Frau leide trotz milder Erkrankung wie er an Erschöpfung, Konzentrations- und Wortfindungsschwierigkeiten. Wenn er sich mit ihr unterhalte, sei es manchmal „wie im Komödienstadel“.

Über tiefe Erschöpfung, auch Fatigue genannt, haben auch Prominente wie Prinz Albert von Monaco und die Fernsehköchin Sarah Wiener berichtet. Andere Betroffene schildern, dass Beschwerden über Monate immer wieder kommen.

Joachim Meyer, Pneumologe, Intensivmediziner und Chefarzt des Lungenzentrums an der München Klinik, spricht angesichts der Corona-Spätfolgen nach einer Genesung vom eigentlich Infekt von einer wiederkehrenden „rezidivierenden Symptomatik“ und einem „wellenförmigen Verlauf“.

Auch andere schwere virale Erkrankungen können langfristig Folgen haben: Für Sars-CoV-2 beschreiben US-Forscher im Jama mehrere Phasen. Akut verursache Covid-19 nur einen Teil der Sterblichkeit und Beschwerden insgesamt. Selbst wenn jemand die akute Infektion mit Sars-CoV-2 symptomfrei überstehe, seien Folgeerkrankungen möglich.

Ab zwei Wochen danach könne eine hyperinflammatorische Erkrankung folgen, Entzündungsvorgänge durch eine überschießende Immunreaktion. Organe können versagen oder Schäden davontragen, neben der Lunge etwa auch Niere und Herz. Auch psychische Folgen sind möglich.

Langfristige Folgen ungewiss

Da bei Covid-19 die Gefahr von Thrombosen, Schlaganfällen und Herzinfarkten steigt, bekommen Patienten teils auch nach der Genesung vom Corona-Infekt vorsorglich gegen die Spätfolgen Blutverdünner.

Es gebe Fallberichte aus Singapur, nach denen selbst junge, um die 40 Jahre alte Patienten Wochen nach ihrer Erkrankung Schlaganfälle erlitten oder Thrombosen entwickelten, sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Das scheint es als Folge der gesteigerten Gerinnungsneigung zu geben.“

Im Gehirn auf Intensivstation behandelter Covid-19-Patienten seien öfter Gewebeveränderungen mit kleinen Einblutungen festgestellt worden, so Berlit weiter zu möglichen Spätfolgen nach der vermeintlichen Genesung von einer Corona-Erkrankung.

Häufig seien Aufmerksamkeit, Konzentration und Merkfähigkeit noch lange nach der Genesung betroffen. Spekuliert wurde bereits, ob eine Covid-19-Erkrankung langfristig das Risiko für Demenz oder Parkinson erhöhen könnte.

Es gibt Hoffnung

„Man sollte vorsichtig sein mit der Aussage: Das ist ein Dauerschaden“, warnt Berlit jedoch auch mit Blick auf die nach der Genesung vom Infekt auftretenden Corona-Spätschäden.

„Wir werden die Frage möglicher Spätschäden frühestens im Lauf des Jahres 2021 valide beantworten können. Bis zu einem Jahr können sich neurologische Symptome zum Glück noch zurückbilden“, so Peter Berlit.

Meyer verweist auf Erfahrungen mit den ebenfalls von Corona-Viren ausgelösten Krankheiten Sars und Mers. „Nach zwölf Monaten sieht man eine deutliche Besserung von Lungenveränderungen.“

Wichtig sei eine konsequente ärztliche Betreuung. „Die Patienten haben viel durchgemacht – teils über Wochen“, sagt Intensivmediziner Meyer. „Leistung ist abhängig von der Psyche. Sie müssen erst einmal das Vertrauen wiedererlangen in ihre eigene Leistungsfähigkeit.“

© dpa-infocom, dpa:210107-99-929651/3

weiterführende Informationen:
➡️ Studie zu Phasen der Corona-Infektion
➡️ Studie zu länger bestehenden Beschwerden
➡️ Britische Studie im BMJ Journal Thorax
➡️ Studie in Plos zu Fatigue-Syndrom
➡️ weitere News rund um das Thema Corona



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