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Demo gegen Corona-Maßnahmen in Berlin aufgelöst, Proteste eskalieren

Teilnehmer der Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Teilnehmer der Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni. Foto: Kay Nietfeld/dpa

„Widerstand“ skandieren die Menschen, die am Samstag in Berlin gegen die Corona-Politik protestieren. Die meisten sind ohne Masken gekommen, viele ignorieren den Mindestabstand. Die Polizei reagiert und hat die Demo aufgelöst.

Aus Protest gegen die Auflagen zum Schutz vor der Corona-Pandemie haben sich in Berlin rund 38.000 Menschen versammelt, die Demo wurde aber bereits vor dem offiziellen Beginn aufgelöst.

In der Folge ist die Polizei zu verschiedenen Einsätzen im Stadtzentrum ausgerückt. Vor der russischen Botschaft kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, vor dem Reichstagsgebäude stürmten Demonstranten auf die Treppe. Es gab dem Vernehmen nach über den Tag verteilt gut 300 Festnahmen.

Die Polizei ließ einen geplanten Demonstrationszug durchs Stadtzentrum am Mittag nicht starten, weil die Mindestabstände zum Infektionsschutz nicht eingehalten wurden und die Demonstranten überwiegend auch keine Alltagmasken trugen – im Gegensatz zu den Teilnehmern an Gegenprotesten.

Nach längerer Wartezeit und Verhandlungen mit den Veranstaltern erklärte die Polizei, sie werde die Versammlung auslösen. Es bleibe „leider keine andere Möglichkeit“, schrieb die Polizei auf Twitter. „Alle bisherigen Maßnahmen haben nicht zu einem Einhalten der Auflagen geführt.“

Tweet der Polizei mit Wortlaut der Durchsage:

Auf einer Großkundgebung am späteren Samstag an der Siegessäule forderte der Initiator Michael Ballweg von der Stuttgarter Initiative Querdenken, alle zum Schutz vor dem Virus erlassenen Gesetze unverzüglich aufzuheben.

Auch müsse die Bundesregierung geschlossen zurücktreten, sagte er unter großem Beifall. Zugleich dankte Ballweg der Berliner Polizei, weil diese die friedlichen Proteste ermöglicht habe.

Polizeieinsätze nach Demo-Auflösung

Die Polizei trägt einen Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in der Berliner Innenstadt weg. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Die Polizei trägt einen Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in der Berliner Innenstadt weg. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Am Rande kam es allerdings zu mehreren Zusammenstößen mit der Polizei, unter anderem vor der russischen Botschaft. Andernorts Beamte wurden mit Steinen und Flaschen beworfen, Straßen vorübergehend blockiert, Absperrungen unter anderem auf der Reichstagswiese durchbrochen und ein Baucontainer angezündet.

Wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) abends berichtete, wurden über den Tag verteilt rund 300 Menschen festgenommen, allein vor der russischen Botschaft etwa 200. Dort flogen unter anderem aus einer Menge von rund 3000 sogenannten Reichsbürgern und Rechtsextremisten Steine und Flaschen auf die Polizei, wie er sagte. Laut Polizei gab es dort auch Gefangenenbefreiungen.

Festgenommen wurde vor der russischen Botschaft auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der sich selbst „ultrarechts“ und einen Verschwörungsprediger nennt. Zu den Hintergründen der Festnahme Hildmannns äußerte sich Geisel nicht.

Diverse Polizei-Einsätze – auch am Reichstag

Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag. Foto: Lukas Dubro/dpa
Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag. Foto: Lukas Dubro/dpa

Nach der angeordneten Auflösung eines Protestzugs gegen die Corona-Politik mit mehreren Tausend Menschen in Berlin rückte die Polizei zu verschiedenen Einsätzen im Stadtzentrum aus.

So legten sich auf dem Schiffbauerdamm rund 40 Menschen Boxbandagen an, wie die Polizei berichtete. In der Universitätsstraße seien zudem Hindernisse auf die Fahrbahn gebracht worden.

In der Friedrichstraße habe außerdem ein Baucontainer gebrannt, zudem habe es eine Festnahme nach einem Flaschenwurf gegeben. Auf Videos war auch zu sehen, wie die Polizei Demonstranten wegtrug oder abdrängte, die auf der Straße sitzen blieben und nicht freiwillig gingen.

Demonstranten durchbrachen am Abend zudem eine Absperrung am Reichstagsgebäude und stürmten die Treppe hoch, wie ein dpa-Reporter berichtete und zahlreiche Twitter-Videos belegen. Polizeibeamte drängten die Menschen zurück, sie setzten Pfefferspray ein. Es kam zu Rangeleien.

Am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben. Bei Demonstranten waren auch die von Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen zu sehen. Die Polizei löste die Demo dann auf. Einsatzkräfte räumten den Platz vor dem Reichstagsgebäude und schoben die Demonstranten weg.

Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Nur drei Polizisten standen ihnen noch im Weg. Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärte dazu: „Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen.“

Bestürzung in der Politik

Mehrere Politiker äußerten sich bestürzt über die Ereignisse vor dem Reichstag. „Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft. Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten werden“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der Bild am Sonntag.

„Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich“, so Horst Seehofer in dem auch in einem Tweet vom Bundesministerium des Inneren verbreiteten Zitat weiter.

Außenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend.“ SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb: «Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“

Der Berliner Innensenator Andreas Geisel bezeichnete die Ereignisse mit Blick auf den vorherigen Versuch des Verbots der Demonstration als vorhersehbar. „Es war erwartbar, was heute passiert ist“, sagte der SPD-Politiker in den ARD-Tagesthemen.

Initiative aus Stuttgart

Ein Teilnehmer hält ein Plakat von Bill Gates und dem Schriftzug Gekauft! vor einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Ein Teilnehmer hält ein Plakat von Bill Gates und dem Schriftzug Gekauft! vor einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Aufgerufen zum Protest hatte die Stuttgarter Initiative Querdenken 711. Zu einer Kundgebung am Nachmittag nahe dem Brandenburger Tor mitten in Berlin erwarteten die Veranstalter der Demo gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die nun aufgelöst wurde, rund 22.000 Teilnehmer.

Auf Transparenten wurde der Rücktritt der Bundesregierung gefordert sowie ein Ende der Schutzauflagen und Alltagsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Auf Plakaten stand „Stoppt den Corona-Wahnsinn“ und „Corona-Diktatur beenden“.

Der US-Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior, Neffe des US-Präsidenten John F. Kennedy, wandte sich in seiner Rede auf der Kundgebung gegen den Aufbau des neuen 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einer Totalüberwachung und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.

Unter Verweis auf den berühmten Berlin-Besuch von US-Präsident Kennedy 1963 sagte er, sein Onkel sei damals nach Berlin gekommen, weil in der Stadt die Front gegen Totalitarismus verlaufen sei. „Heute ist Berlin wieder die Front gegen Totalitarismus“, sagte er.

Teilnehmer fordern Ende der „Corona-Diktatur“

Ein Demonstrant trägt die Reichskriegsflagge. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Ein Demonstrant trägt die Reichskriegsflagge. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Auf Transparenten forderten Teilnehmer den Rücktritt der Bundesregierung sowie ein Ende der Schutzauflagen und Alltagsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Auf Plakaten stand „Maulkorb-Demokratie – ohne uns“, „Stoppt den Corona-Wahnsinn“ und „Corona-Diktatur beenden“.

Immer wieder skandierte die Menge „Widerstand“ und „Wir sind das Volk“. Einige Demonstranten trugen Fotos von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und dem bayerischen Regierungschef Markus Söder (CSU) – alle in Häftlingskleidung und mit dem Zusatz „schuldig“.

Auch AfD-Politiker und andere rechte Gruppen hatten zur Teilnahme aufgerufen. Am Brandenburger Tor und anderen Orten waren auch Flaggen mit Reichsadler, T-Shirts in Frakturschrift und andere Symbole von Rechtsextremisten zu sehen.

Insgesamt versammelte sich auf der Friedrichstraße, wo die Demo starten sollte, aber eine sehr breite Mischung von Bürgern, darunter Junge und Alte sowie auch Familien mit Kindern – eine Regenbogenfahne war in direkter Nähe zu Reichkriegsflaggen zu sehen.

Viele Teilnehmer setzten sich während der längeren Wartezeit. Demonstranten beschwerten sich, dass sie keinen Abstand einhalten könnten, weil die Polizei alles abgesperrt habe. Tatsächlich ließ die Polizei niemanden mehr rein, damit es nicht voller wurde.

Verbot gescheitert

Die Straße vor dem Brandenburger Tor ist am frühen Morgen gesperrt. Foto: Christophe Gateau/dpa
Die Straße vor dem Brandenburger Tor ist am frühen Morgen gesperrt. Foto: Christophe Gateau/dpa

Vor dem Brandenburger Tor hatten bereits am Vormittag Demonstranten „Tor auf“ gerufen und „Wir sind das Volk“ skandiert. Eine riesige Deutschlandflagge war auf dem Boden vor dem Tor ausgelegt.

Eigentlich wollten die Berliner Behörden die Versammlungen verbieten, sie unterlagen jedoch vor Gerichten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin gegen die Verbotsverfügung der Polizei wurde in der Nacht zum Samstag bekannt.

Als Grund für die Verbotsverfügung hatte die Polizei angeführt, dass durch die Ansammlung Zehntausender Menschen – oft ohne Maske und Abstand – ein zu hohes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung entstehe. Das habe bereits die Demonstration gegen die Corona-Politik am 1. August in Berlin gezeigt, bei der die meisten Demonstranten bewusst Hygieneregeln ignoriert hätten – und wiederholte sich nicht unerwartet am heutigen Samstag.

Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom frühen Samstagmorgen 1479 neue Corona-Infektionen. Am Samstag vor einer Woche war mit 2034 neuen Fällen erstmals seit Ende April die 2000er-Marke überschritten worden. Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuansteckungen hatte Ende März/Anfang April bei mehr als 6000 gelegen.

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(1) Teilnehmer der Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(2) Polizisten mit Mundschutz vor dem Brandenburger Tor. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(3) Teilnehmer sammeln sich in der Friedrichstraße zur Demo gegen die Corona-Maßnahmen. Foto: Paul Zinken/dpa
(4) Ein Demonstrant trägt die Reichskriegsflagge. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(5) Gegendemonstranten einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen sammeln sich und halten ein Banner „Masken auf Nazis raus“. Foto: Christophe Gateau/dpa
(6) Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag. Foto: Lukas Dubro/dpa
(7) Die Polizei trägt einen Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in der Berliner Innenstadt weg. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(8) Ein Teilnehmer hält ein Plakat von Bill Gates und dem Schriftzug Gekauft! vor einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(9) Die Polizei nimmt Vegan-Koch Attila Hildmann fest. Zuvor war es vor der russischen Botschaft zu Auseinandersetzungen der Demonstranten mit den Einsatzkräften gekommen. Foto: Kay Nietfeld/dpa
(10) Die Straße vor dem Brandenburger Tor ist am frühen Morgen gesperrt. Foto: Christophe Gateau/dpa

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