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Wirecard: Treuhandkonten mit Milliarden gibt es wohl nicht

Der Wirecard-Schriftzug am Hauptquartier des Unternehmens in Bayern. Foto: Peter Kneffel/dpa
Der Wirecard-Schriftzug am Hauptquartier des Unternehmens in Bayern. Foto: Peter Kneffel/dpa

Das Drama um Wirecard nimmt kein Ende. Die in der Bilanz des Bezahldienstleisters aufgeführten 1,9 Milliarden Euro gibt es wohl gar nicht. Nun müssen die Banken entscheiden, ob sie den taumelnden Dax-Konzern weiter stützen.

Der Bezahldienstleister Wirecard gerät immer stärker unter Druck: Die vermissten 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien gibt es nach Angaben des Unternehmens vom frühen Montagmorgen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht.

Die Zukunft des Dax-Konzerns hängt vom Wohlwollen der Banken ab, denn aufgrund der fehlenden Nachweise für die Milliarden auf den Treuhandkonten bekommt Wirecard auch kein Testat für die Jahreszahlen 2019. An der Börse wurden die Nachrichten mit Schrecken aufgenommen, unterdessen wurden die Ermittlungen ausgeweitet.

Das Wirecard-Papier stürzte in den ersten Handelsminuten erneut ab. Nach dem Start der Deutschen Börse in Frankfurt büßte die Aktie zunächst fast weitere 50 Prozent auf rund 13 Euro ein, bevor eine Gegenbewegung einsetzte. Bei Börsenschluss notierten sie mit 14,44 Euro.

Damit knüpften die Wirecard-Anteile nahtlos an die immensen Verluste der vergangenen beiden Handelstage an. Der Börsenwert brach bereits am Donnerstag und Freitag um insgesamt 75 Prozent auf etwas mehr als drei Milliarden Euro ein, nachdem Wirecard eingestehen musste, dass der Konzern 1,9 Milliarden Euro nicht auffinden kann.

Ermittlungen gegen Wirecard-Manager

„Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I. Ob konkret gegen ehemalige oder amtierende Wirecard-Manager wegen Bilanzmanipulation ermittelt wird oder dies geplant ist, sagte die Sprecherin nicht: Einzelheiten zum Vorgehen würden nicht genannt.

Bei der Behörde läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den am Freitag zurückgetretenen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Spitze wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmitteilungen.

Im Zentrum des Bilanzskandals stehen der ehemalige Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein Treuhänder, der bis Ende 2019 für Wirecard aktiv war und das – wie sich nun herausgestellt hat – in großen Teilen wahrscheinlich gar nicht existente – Geschäft mit den Drittpartnern betreute.

Ungeklärt ist, ob es Mitwisser beziehungsweise Mittäter in der Firmenzentrale im Münchner Vorort Aschheim gab. Vor allem ist ungeklärt, ob und inwieweit Braun oder andere Mitglieder des Vorstands über die Lage im Bilde oder möglicherweise sogar beteiligt waren. Das Unternehmen sieht sich als Opfer.

Doch mehren sich die Anzeichen für Fehlverhalten in der Wirecard-Spitze. Der Aufsichtsrat feuerte am Montag den bereits suspendierten Vorstand Jan M. „mit sofortiger Wirkung“, der Anstellungsvertrag wurde außerordentlich gekündigt, wie Wirecard mitteilte. M. war für das operative Tagesgeschäft einschließlich Südostasiens zuständig, wo die Affäre ihren Anfang nahm. Gründe nannte der Aufsichtsrat nicht.

Kritik an BaFIN und Wirtschaftsprüfer

Mit Fragen und scharfer Kritik sind die Finanzaufsicht Bafin und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY konfrontiert, die die Wirecard-Abschlüsse 2017 und 2018 testiert hatte. Bafin-Chef Felix Hufeld sprach von einem „kompletten Desaster“ und gab sich selbstkritisch.

„Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“, räumte der Behördenpräsident in Frankfurt ein. „Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe.“ Wichtig sei nun rasche Aufklärung.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnte vor einem Imageverlust für den Wirtschaftsstandort Deutschland und forderte eine rasche Aufklärung des Vorfalls. „Es muss ermittelt werden, wie es dazu kommen konnte, dass sich offenbar Milliardenbeträge in Luft aufgelöst haben, oder möglicherweise nie da waren“, sagte der Minister dem Nachrichtenportal t-online.de.

„Und es muss herausgefunden werden, ob die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden – oder ob jemand dafür auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden muss“, so der Wirtschaftsminister, der anfügte: Ein solcher Fall dürfe sich mit Blick auf das Vertrauen in den Bankenstandort Deutschland so schnell nicht wiederholen.

„Der Fall Wirecard ist eine Katastrophe für den Finanzplatz Deutschland und eine Bankrotterklärung der beteiligten Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden“, sagte FDP-Finanzexperte Florian Toncar.

„Gründliche Prüfungen hätten einen solchen Schaden sicherlich früher aufdecken müssen“, meinte der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. Und die Linke fordert die Einführung eines Unternehmensstrafrechts, wie Fraktionsvize Fabio de Masi sagte. Dies würde bedeuten, dass künftig nicht mehr nur Manager wegen Straftaten angeklagt werden könnten, sondern ganze Unternehmen.

Hoffnung auf Stillhalten der Banken

Die Banken könnten Wirecard jetzt den Geldhahn abdrehen. Interims-Chef James Freis kämpft ums Überleben des Konzerns: Laut einer Mitteilung stehe das Unternehmen mit Hilfe der am Freitag angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in „konstruktiven Gesprächen“ mit den kreditgebenden Banken. Am Finanzplatz Frankfurt war zumindest am Wochenende zu hören, dass die Banken Wirecard weiter am Leben halten wollen. Die Sorgen vor den Schockwellen sind wohl zu groß.

Der Wirecard-Vorstand geht nach einer Mitteilung aus der Nacht zu Montag davon aus, dass die Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“ Die Gesellschaft war bisher von der Existenz dieser Konten ausgegangen und hatte sie als Aktivposten ausgewiesen.

Gleichzeitig nahm Wirecard die vorläufige Einschätzungen des Geschäftsjahres 2019, die Zahlen für das erste Quartal und die Prognosen für 2025 zurück. „Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden“, heißt es in der Mitteilung weiter.

Die Hoffnung auf ein Stillhalten der Banken wurde von einem Zeitungsbericht gestützt: Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, wollen die Banken das Unternehmen nicht fallen lassen. „Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen“, hieß es demnach am Samstag aus einem der beteiligten Geldhäuser. „Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren.“

Wirecard will dem Bericht zufolge Schritte prüfen, das Geschäft fortzuführen. Darunter seien Kostensenkungen sowie Umstrukturierungen, Veräußerung oder Einstellungen von Unternehmensteilen und Produktsegmenten. Die IT-Systeme von Wirecard liefen ohne Einschränkungen, hieß es weiter. Doch Wirecard muss jetzt auch damit rechnen, dass die Kunden angesichts des Vertrauensverlustes das Weite suchen.

Absturz seit Donnerstag

Seit Donnerstag vergangener Woche haben sich die Ereignisse im Bilanzskandal um Wirecard dramatisch zugespitzt. Auch der umstrittene Vorstandschef Markus Braun musste seinen Posten räumen. Die Ratingagentur Moody’s stufte die Kreditwürdigkeit von Wirecard auf „Ramsch“ herab.

An der Frankfurter Börse stürzte die Wirecard-Aktie am Montag ein weiteres Mal in die Tiefe, die Papiere verloren 44 Prozent und sackten zum Börsenschluss auf 14,44 Euro. Damit war Wirecard nur noch rund 1,7 Milliarden Euro wert – seit dem Höchststand der Aktie im September 2018 summieren sich die Kursverluste der Anleger auf weit über 20 Milliarden Euro. Allein seit dem vergangenen Mittwoch haben die Papiere über zehn Milliarden an Wert verloren.

Am Freitag hatten die philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands mitgeteilt, dass der deutsche Dax-Konzern kein Klient bei ihnen sei. Dokumente externer Prüfer, die das Gegenteil besagten, seien gefälscht. Auf den Konten der beiden Banken hätte die Summe eigentlich liegen sollen. Am Sonntag hat auch die Zentralbank in Manila mitgeteilt, dass die fehlenden Milliarden wohl nicht auf den Philippinen sind.

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Über mögliche Bilanzmanipulationen bei Wirecard hatte schon vor über einem Jahr die britische Financial Times (FT) berichtet. Im Oktober hatte die FT dann berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe.

Der am Freitag zurückgetretene Wirecard-Chef Markus Braun hatte die Berichterstattung der FT über Monate als haltlos zurückgewiesen. Da es schon nach den ersten FT-Artikeln zu außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten Bafin und Münchner Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.

weiterführende Informationen:
➡️ Statement Wirecard AG (22.06.2020)
➡️ Kurs Wirecard an der Deutschen Börse Frankfurt

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