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Bilanzskandal bei Wirecard: Aktienkurs und Chef Markus Braun stürzen

Wirecard taumelt: An der Frankfurter Börse hatte der Skandal einen Ausverkauf der Wirecard-Aktien zur Folge. Foto: Peter Kneffel/dpa
Wirecard taumelt: An der Frankfurter Börse hatte der Skandal einen Ausverkauf der Wirecard-Aktien zur Folge. Foto: Peter Kneffel/dpa

Für den in einen Bilanzskandal verwickelten Dax-Konzern Wirecard geht es um die Existenz. Der Abgang von Vorstandschef Braun könnte ein Befreiungsschlag sein.

Nach dem Bilanzskandal beim Dax-Konzern Wirecard hat der umstrittene Vorstandschef Markus Braun seinen Posten geräumt. Der österreichische Manager sei im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, so das Unternehmen in einer Börsenmitteilung. Interims-Chef wird der US-Manager James Freis, der erst am Vorabend in den Vorstand berufen worden war.

Entscheidend für die Zukunft des Unternehmens wird jedoch sein, ob die Banken Wirecard nach dem Bilanzskandal den Geldhahn zudrehen und von der Möglichkeit Gebrauch machen, Kredite von zwei Milliarden Euro zu kündigen.

Wirecard machte den Anlegern Hoffnung: Das Unternehmen befinde sich in „konstruktiven Gesprächen“ mit seinen kreditgebenden Banken. Die Banken wären laut Wirecard zur Kündigung berechtigt, wenn das Unternehmen keinen testierten Jahresabschluss vorlegt.

Nach dem Vortages-Kurseinbruch um fast 62 Prozent nach abermaliger Verschiebung des Jahresabschlusses für 2019 stürzten die Papiere des Zahlungsabwicklers erneut ab, zeitweise um mehr als 50 Prozent auf unter 20 Euro. Das Kursminus belief sich zum Handelsschluss auf mehr als 35 Prozent.

Seit Mittwochabend liegt der Wertverlust der Papiere insgesamt bei etwa neun Milliarden Euro – allein Markus Braun als Großaktionär von Wirecard hat durch den Bilanzskandal neben seinem Chefposten auch über 600 Millionen Euro an Börsenwert eingebüßt.

Die zur Deutschen Bank gehörende Fondsgesellschaft DWS will gegen Wirecard und dessen bisherigen Chef vor Gericht ziehen. „Wir verklagen Wirecard und Markus Braun“, sagte ein DWS-Sprecher. Nähere Angaben machte er nicht. Die DWS hatte mit ihren Fonds noch vor wenigen Monaten zu den Großaktionären von Wirecard gezählt, ihre Beteiligungen zuletzt aber heruntergefahren.

Braun will „Zukunft nicht belasten“

Der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende schrieb in einer persönlichen Erklärung an Mitarbeiter und Aktionäre, er sei aus eigenem Antrieb zurückgetreten. Wirecard habe ein exzellentes Geschäftsmodell, herausragende Technologie und ausreichende Ressourcen für eine große Zukunft.

„Ich will diese Zukunft nicht belasten“, erklärte der 1969 geborene Österreicher in der auf Englisch verfassten Erklärung. „Mit meiner Entscheidung respektiere ich die Tatsache, dass die Verantwortung für alle geschäftlichen Transaktionen beim Vorstandschef liegt.“

Braun führte das Unternehmen seit 2002 und war die dominante Figur. Er war schon 2019 unter massiven Druck durch Anleger geraten, die dem studierten Wirtschaftsinformatiker mangelnde Information und schlechtes Krisenmanagement vorwarfen. Das Unternehmen war 2018 anstelle der Commerzbank in den Dax aufgenommen worden, aus der höchsten deutschen Börsenliga steigt aktuell gerade die Lufthansa ab.

James Freis hingegen ist unbelastet von der Vergangenheit, der US-Anwalt und Analyst ist Spezialist für Wirtschaftsverbrechen: Freis war von 2007 bis 2012 Chef der Einheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität im US-Finanzministerium, wie er auf seiner LinkedIn-Seite schreibt und seit 2014 für die Deutsche Börse tätig.

Am Vorabend hatte der Wirecard-Aufsichtsrat bereits den für das Tagesgeschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek vorerst suspendiert und dafür Freis berufen. Dieser sollte eigentlich in der Wirecard-Spitze für die „Compliance“ zuständig sein, also die Rechtstreue – nun muss er sich quasi von einer Minute auf die andere in die Führung des von einer existenzbedrohenden Krise erschütterten Konzerns einarbeiten.

Philippinische Banken und Treuhänder im Fokus

Vor Brauns Sturz verdichteten sich die Indizien für einen Betrugsfall großen Ausmaßes. Die philippinische Bank BDO Unibank, bei der angeblich eines von zwei suspekten Treuhandkonten für Wirecard geführt wurde, erklärte, dass das deutsche Unternehmen kein Kunde sei:

„Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt“, hieß es in der Stellungnahme des südostasiatischen Geldhauses. „Der Fall ist an die Zentralbank der Philippinen berichtet worden.“ Zuvor hatte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg über die Stellungnahme berichtet.

Im Mittelpunkt des Bilanzskandals stehen zwei asiatische Banken und ein Treuhänder, der seit Ende vergangenen Jahres für Wirecard die Konten verwaltet. Auf den Konten waren angeblich 1,9 Milliarden Euro verbucht. Die für Wirecard tätigen Bilanzprüfer bezweifeln jedoch mittlerweile, dass diese 1,9 Milliarden Euro tatsächlich existieren. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) hat daher den Jahresabschluss nicht testiert. EY vermutet Täuschungsabsicht.

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Das Unternehmen ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner Financial Times dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf.

Wirecard sieht Indizien für einen Betrugsfall

„Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist“, sagte Markus Braun in der Nacht zum Freitag wenige Stunden vor seinem Aus zu dem Bilanzskandal. Unabhängig davon haben die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft angekündigt, den Fall unter die Lupe nehmen zu wollen.

Wirecard erwirtschaftet einen beträchtlichen Teil seiner Umsätze über Drittfirmen, die im Auftrag des deutschen Unternehmens bargeldlose Zahlungen abwickeln und dafür Provision erhalten. In diesem Zusammenhang hatte Wirecard einen Treuhänder beauftragt, der im Auftrag des deutschen Unternehmens Konten eröffnete, über die die Geschäfte liefen.

KPMG hatte im April bemängelt, dass es «nicht hinreichend nachgewiesene Einzahlungen auf Treuhandkonten» von rund einer Milliarde Euro gebe. Der ursprüngliche Treuhänder beendete laut KPMG-Bericht im vergangenen Jahr die Geschäftsbeziehung, und empfahl als neuen Treuhänder eine asiatische Anwaltskanzlei. Diese eröffnete demnach dann auch neue Konten bei zwei Banken.

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