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Opposition will Wirecard-Untersuchungsausschuss einsetzen

Die Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters Wirecard in Aschheim bei München. Foto: Peter Kneffel/dpa
Die Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters Wirecard in Aschheim bei München. Foto: Peter Kneffel/dpa

Geld, wo keins war, frisierte Zahlen und ein flüchtiger Vorstand: Der Wirecard-Skandal ist ein Wirtschaftskrimi – die Frage, wie es dazu kommen konnte, soll ein Untersuchungsausschuss klären.

Noch in diesem Herbst soll nach dem Willen der Opposition ein Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Wirecard-Skandal die Arbeit aufnehmen.

„Trotz der vielen Sondersitzungen und trotz der vielen Fragenkataloge hat es die Bundesregierung nicht geschafft, den Fall Wirecard lückenlos und gründlich aufzuarbeiten“, sagte der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz.

Die Bundestagsfraktion der Grünen sicherte am Dienstag nach einer zweitägigen Sondersitzung des Finanzausschusses ebenfalls ihre Unterstützung zu – damit können FDP, Linke und Grüne gemeinsam für einen U-Ausschuss stimmen.

Insbesondere der SPD droht damit im heraufziehenden Bundestagswahlkampf Ungemach. Schließlich steht ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz als Finanzminister mit im Fokus des „größten Finanzskandals der Nachkriegsgeschichte“, wie der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach die Wirecard-Affäre nennt.

Die FDP pochte schon seit längerem auf einen Untersuchungsausschuss: «Das ist ein Stück gelebte Demokratie», sagte Florian Toncar. Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi erklärte, angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen bargeldlos bezahlten, gehe es auch um neue digitale Geschäftsmodelle insgesamt und deren Kontrolle.

Schaden von 3,2 Millionen Euro

Im Juni hatte der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt.

Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren.

Widerstand gegen den von der Opposition angestrebten Untersuchungsausschuss zum Thema Wirecard war selbst aus den Fraktionen der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD nicht zu vernehmen.

Es handle sich „um bandenmäßigen Betrug, um höchst kriminelle Handlungen“ – aber eben auch um ein Versagen verschiedenster staatlicher Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen, die den Skandal nicht verhindert hätten, sagte der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann.

Worum es bei der Aufarbeitung geht:

Untersuchungsausschuss:

Ein Untersuchungsausschuss hat mehr Rechte als gewöhnliche Bundestagsausschüsse. Er kann Zeugen und Sachverständige vernehmen und Akteneinsicht verlangen.

Insbesondere die Opposition hofft auf hochkarätige Zeugen im Untersuchungsausschuss, neben Finanzminister Scholz also etwa Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich noch im vergangenen Herbst bei einer China-Reise für Wirecard ins Zeug legte.

Bevor der Ausschuss starten kann, müssen sich die Fraktionen auf einen Untersuchungsauftrag einigen und ein Viertel der 709 Abgeordneten im Plenum muss dafür stimmen.

Die Opposition hofft, dass das noch im September geschieht. Die Zeit drängt wegen der Bundestagswahl im kommenden Herbst, zumal es im Interesse der untersuchten Personen und Behörden liegen kann, die Ermittlungen zu verschleppen.

Den Vorsitz beansprucht die AfD, die nach parlamentarischen Gepflogenheiten am Zug wäre. „Wir werden alles tun, damit dieser Fall bis ins letzte Detail aufgeklärt wird“, versicherte deren Abgeordneter Kay Gottschalk.

Geldwäsche-Verdacht:

Wirecard-Verantwortliche stehen im Verdacht, Geldwäsche betrieben zu haben, also illegale Einkünfte in den legalen Wirtschaftskreislauf eingespeist zu haben. Die Anti-Geldwäsche-Einheit des Zolls, die so genannte Financial Intelligence Unit (FIU), gab bereits 2019 zwei Verdachtsmeldungen im Zusammenhang mit Wirecard an das Landeskriminalamt Bayern weiter.

Der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann spricht von einer „Smoking Gun“, bei der die Staatsanwaltschaft dann aber nicht ausreichend ermittelt habe. Die Staatsanwaltschaft München I wies die Kritik am Dienstag zurück. Es sei „keinesfalls zutreffend“, dass Geldwäscheverdachtsmeldungen bei ihr versandet seien. Mittlerweile prüft die FIU 144 Vorgänge im Zusammenhang mit Wirecard.

Streit um Aufsicht:

Umstritten ist, wer die Aufsicht wegen möglicher Geldwäsche bei Wirecard hätte führen müssen – eine der Fragen, die der Opposition zu Folge nun ein Untersuchungsausschuss klären soll.

Die Bafin war nach Ansicht von Bafin-Chef Felix Hufeld nur für die Wirecard Bank AG zuständig und hatte den Gesamtkonzern nicht als Finanzholding, also ein Finanzunternehmen mit Tochterfirmen, sondern als Technologieunternehmen eingestuft.

Die bayerischen Behörden wiederum hätten Wirecard nicht als Finanzunternehmen betrachtet und deshalb ebenfalls nicht auf Geldwäsche geprüft, bemängelte der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer. „Und das führte dazu, dass keine Geldwäscheaufsicht weitgehend über die Wirecard AG erfolgt ist.“

„Wir müssen feststellen, dass die Wirecard AG das Hauptziel verfolgt hat, möglichst viele Teile des Unternehmens aus der Finanzaufsicht herauszuhalten und die Finanzaufsicht letzten Endes zurückzudrängen“, sagte CSU-Politiker Michelbach.

Verdacht auf Bilanzbetrug:

Der Verdacht auf Bilanzbetrug, also das Frisieren von Zahlen, bei Wirecard lenkt den Blick auch auf die privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Diese fallen in den Zuständigkeitsbereich von Wirtschaftsminister Altmaier. Die Wirtschaftsprüfer von EY stehen in der Kritik, weil das Unternehmen die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte.

Lobbyismus ein Thema:

Die Bundesregierung wiederum steht im Verdacht, Wirecard-Lobbyisten ein allzu offenes Ohr geschenkt zu haben.

Das Unternehmen hatte hochkarätige Fürsprecher für sich gewonnen: Sowohl der Ex-Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, sowie der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) betrieben Lobbyarbeit für Wirecard. Lisa Paus von den Grünen sprach von einem „regelrechten Abgrund beim Thema Lobbyismus beim Kanzleramt“.

© dpa-infocom, dpa:200901-99-384870/8

News vom 30. Juli 2020:

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