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Holocaust-Gedenktag: Warnungen vor Vergessen und Antisemitismus

Rosen liegen mit einem Zettel mit der Aufschrift '#weremember' am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Foto: Dorothee Barth/dpa
Rosen liegen mit einem Zettel mit der Aufschrift '#weremember' am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Foto: Dorothee Barth/dpa

Vor 76 Jahren befreite die Rote Armee des deutsche Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Weltweit gedenken Politiker der Opfer des NS-Regimes. Doch wird Deutschland der Verantwortung für den Holocaust noch gerecht? Bundestagspräsident Schäuble hat Zweifel.

76 Jahre nach der Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz hat es Polens Präsident Andrzej Duda am Holocaust-Gedenktag als die Pflicht seines Landes bezeichnet, das Gedenken an die Opfer zu bewahren.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte bei einer Gedenkstunde im Bundestag vor neuen Formen von Rassismus und Antisemitismus in Deutschland. Israels Präsident Reuven Rivlin rief zum weltweiten Kampf gegen Antisemitismus auf.

US-Präsident Joe Biden versprach, sich eingedenk der Schrecken des Holocausts stets für die Verhinderung weiterer Völkermorde einzusetzen. Europaparlamentspräsident David Sassoli forderte bei einer digitalen Gedenkzeremonie ein beherztes Engagement für ein demokratisches Europa.

Holocaust-Gedenktag

Die Nationalsozialisten und ihre Helfer hatten während des Zweiten Weltkrieges sechs Millionen Juden ermordet. Seit 1951 erinnert Israel am Holocaust-Gedenktag an die Opfer.

Die Vereinten Nationen legten 2005 den Internationalen Holocaust-Gedenktag auf den 27. Januar. An diesem Tag erreichte die Rote Armee 1945 das deutsche Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und befreite mehr als 7000 überlebende Häftlinge.

„Es ist unsere Pflicht, alle materiellen Beweise, Erinnerungsstücke und Zeichen ihrer Existenz, ihres Lebens und ihres Martyriums zu erhalten, damit die Menschheit sie nie vergisst“, sagte Duda am Mittwoch in einer Rede zur Feier der Gedenkstätte Auschwitz, die wegen der Corona-Pandemie online stattfand. „Die Wahrheit über den Holocaust und das Gedenken daran werden ewig währen“, sagte Duda.

Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten der Gedenkstätte standen dieses Mal die in Auschwitz inhaftierten und ermordeten Kinder. Nach Schätzungen wurden mindestens 232.000 Kinder und Jugendliche nach Auschwitz deportiert, die meisten von ihnen jüdischen Glaubens. Mehr als 200.000 überlebten das Lager nicht. Im Januar 1945 wurden dort mehr als 700 Kinder befreit.

„Am schlimmsten waren die Nächte. Die Kinder weinten, riefen im Schlaf nach ihrer Mutter. Mit der Zeit verstummten die Stimmen, denn sie wussten, dass niemand kommt und ihnen eine Hand auf den Kopf legt. Sie starben einsam“, berichtete die Überlebende Zdislawa Wlodarczyk, die beim Zeitpunkt ihrer Befreiung elf Jahre alt war.

Gedenken im Bundestag

'Auch bei uns zeigen sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder offen, hemmungslos, auch gewaltbereit', warnt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Foto: Michael Kappeler/dpa
‚Auch bei uns zeigen sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder offen, hemmungslos, auch gewaltbereit‘, warnt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Foto: Michael Kappeler/dpa

Schäuble warnte im Bundestag von einem Erstarken fremden- und judenfeindlicher Stimmung. „An Gedenktagen wird stets Verantwortung angemahnt, aber werden wir ihr auch gerecht? Auch bei uns zeigen sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder offen, hemmungslos, auch gewaltbereit.“

Schäuble beklagte, dass jüdische Einrichtungen noch immer von der Polizei geschützt werden müssten. „Juden verstecken ihr Kippa, verschweigen ihre Identität. In Halle entkam die jüdische Gemeinde nur durch einen Zufall einem mörderischen Anschlag“, sagte er. Nach Jahrzehnten der Zuwanderung dächten deutsche Juden über Auswanderung nach.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, berichtete vom Leid ihrer Familie in der NS-Zeit. Sie erzählte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, als die Hausmeisterfrau zu ihr sagte: „Judenkinder dürfen hier nicht spielen.“

Wer die heutigen Corona-Maßnahmen mit dem vergleiche, was die Juden einst in Deutschland ertragen mussten, der „verharmlost den antisemitischen Staatsterror und die Schoa“, sagte sie.

„Wir dürfen stolz sein auf unsere Bundesrepublik, (…) aber wir müssen sie wehrhaft verteidigen“, forderte Knobloch. Antisemitisches Gedankengut und Verschwörungsmythen erhielten wieder mehr Zuspruch. In ihrem Bekanntenkreis spielten etliche Juden inzwischen mit dem Gedanken, auszuwandern.

Internationales Gedenken

US-Präsident Joe Biden nannte es eine „moralische Pflicht“, sich eingedenk der Schrecken des Holocausts stets für die Verhinderung weiterer Völkermorde einzusetzen. Wenn Hass außer Kontrolle gerate, der Rechtsstaat ausgehebelt werde und Freiheitsrechte gefährdet seien, „dann kann es zu Gewalt und großen Gräueltaten kommen“, mahnte Biden.

Der Präsident forderte dazu auf, sich in den USA und weltweit entschlossen gegen Geschichtsleugner und Antisemiten „sowie andere Formen von Fanatismus und Intoleranz“ einzusetzen. „Schweigen bedeutet Komplizenschaft“, betonte Biden.

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin rief bei einer Online-Veranstaltung der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zum weltweiten Kampf gegen Antisemitismus auf. „Genau wie im Kampf gegen das Coronavirus müssen alle Länder gemeinsam das Virus des Antisemitismus und des radikalen Hasses bekämpfen“, sagte Rivlin.

Europaparlamentspräsident David Sassoli sagte in Brüssel, Europa sei aus einer großen Vision geboren worden, die aus der gewaltigen Tragödie des Zweiten Weltkriegs und den schrecklichen Vorhaben der Nazis Kraft geschöpft habe. Deshalb müssten die Europäer alle gemeinsam Verantwortung für das übernehmen, was in ihre Obhut gegeben worden sei: Demokratie und Europa.

© dpa-infocom, dpa:210127-99-186283/6

➡️ Internetseite zum Holocaust-Gedenktag



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