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Bittere Bilanz am Jahrestag des Myanmar-Putsches

Junge Aktivisten und buddhistische Mönche nehmen an einer Protestkundgebung gegen die Militärregierung teil, während sie ein Transparent halten, auf dem in burmesischer Sprache steht: «Wer wagt es, auf der anderen Seite des Volkswillens zu stehen.». Foto: Uncredited/AP Photo/dpa
Junge Aktivisten und buddhistische Mönche nehmen an einer Protestkundgebung gegen die Militärregierung teil, während sie ein Transparent halten, auf dem in burmesischer Sprache steht: «Wer wagt es, auf der anderen Seite des Volkswillens zu stehen.». Foto: Uncredited/AP Photo/dpa

Unsägliche Gewalt gegen Zivilisten, Festnahmen, Folter und Tote: Die Bilanz nach einem Jahr Militärherrschaft in Myanmar ist bitter. Aber das Volk gibt trotz aller Gräueltaten nicht auf.

Yangon/Genf/Washington (dpa) – Am ersten Jahrestag des Militärputsches in Myanmar herrschen in dem Krisenland weiter Chaos und blutige Gewalt.

Die Bilanz ist Experten zufolge sowohl für die Bevölkerung als auch für die Junta ernüchternd: Die Generäle haben das frühere Birma in den vergangenen zwölf Monaten trotz massiver Gewaltanwendung nicht unter Kontrolle gebracht und kämpfen an vielen Fronten gegen bewaffnete Rebellengruppen und zivilen Ungehorsam. Während es am Dienstag zu landesweiten Protestaktionen kam, verhängten die USA und Großbritannien neue Sanktionen. Die Vereinten Nationen kündigten Ermittlungen zu den Gräueltaten an.

Die Umstände von mehr als 1000 Tötungen durch die Einsatzkräfte könnten möglicherweise als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ oder „Kriegsverbrechen“ eingestuft werden, teilte der Chefermittler des Unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Myanmar (IIMM), Nicholas Koumjian, mit. Gegen die Militärs unter Führung von Min Aung Hlaing gebe es glaubhafte Vorwürfe willkürlicher Festnahmen, Folter und sexueller Gewalt. Auch seien Zivilisten in der Haft ermordet worden.

Der IIMM bemühe sich darum, die Vorwürfe zu verifizieren und zu dokumentieren, damit die Verantwortlichen eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden könnten, so Koumjian. „Die internationale Justiz hat ein langes Gedächtnis“, warnte er.

Seit dem Putsch mehr als 1500 Menschen getötet

Der Gefangenenhilfsorganisation AAPP zufolge wurden seit dem Putsch mehr als 1500 Menschen getötet. Dazu gehörten Studenten, Ärzte, Frauen und sogar Kinder, die ihre Leben geopfert hätten, schrieb AAPP-Mitgründer Bo Kyi in der Zeitung „The Irrawaddy“. Er sprach von einer „Terror-Kampagne“ des Regimes: „Min Aung Hlaings Gier und Brutalität stürzen ganze Generationen in die Armut.“

Anlässlich des Jahrestages protestierten landesweit zahlreiche Menschen gegen die Machthaber. In vielen Städten kam es lokalen Medien zufolge zu kleineren Demonstrationen. Die Teilnehmer machten mit Slogans und Plakaten ihrer Wut über die Generäle Luft. Großkundgebungen wie in den ersten Wochen nach dem Umsturz gab es aber aus Angst vor Repressionen durch das Militär nicht.

Stattdessen traten viele Bürger in einen „stillen Streik“ und verweigerten die Arbeit. Geschäfte waren geschlossen, die Straßen auch in der größten Stadt Yangon (früher: Rangun) waren teilweise verwaist, wie auf Fotos in sozialen Netzwerken zu sehen war.

„Ich gehe heute nicht zur Arbeit, denn ich kann zwar nicht zu den echten Demos gehen, aber ich will doch irgendwie an den Protesten teilnehmen“, sagte Sin Sin, eine 23-jährige Verkäuferin aus Yangon, der Deutschen Presse-Agentur. Angst ging dennoch um: Die Junta hatte angekündigt, jeden festzunehmen, der sich an dem Streik beteiligt.

Die Generäle hatten am 1. Februar 2021 gegen die Regierung von Aung San Suu Kyi geputscht. Sie begründeten den Umsturz mit angeblichem Wahlbetrug bei der Parlamentswahl vom November 2020, die Suu Kyi klar gewonnen hatte – Beweise dafür legten sie nicht vor. Die Friedensnobelpreisträgerin steht seither unter Hausarrest. Gegen die 76-Jährige laufen zahlreiche Gerichtsverfahren, inzwischen wurde sie bereits zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Menschenrechtler sprechen von einem Schauprozess, um sie zum Schweigen zu bringen.

Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, rief den Weltsicherheitsrat auf, ein Waffenembargo zu verhängen und mehr Druck auf die Generäle zu machen. „Die Menschen in Myanmar haben etwas Besseres von den Vereinten Nationen verdient.“ Andrews will nach eigenen Angaben in Kürze einen Bericht über die Waffen in Land und auch die Lieferanten veröffentlichen.

„Die Militärjunta funktioniert wie eine kriminelle Vereinigung. Sie mordet, foltert, entführt und vertreibt Menschen während sie gleichzeitig Geld stiehlt und sich Vermögenswerte aneignet, die rechtmäßig dem Volk gehören“, so Andrews.

Die Vereinten Nationen veröffentlichten am Dienstag auch einen neuen Spendenaufruf für humanitäre Hilfe. 14,4 Millionen Myanmaren benötigten Unterstützung, hieß es. Die UN wollten mit ihrem Programm 6,2 Millionen Menschen unterstützen, teilte das UN-Nothilfebüro OCHA in Genf mit.

400.000 Menschen im eigenen Land vertrieben

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte vor einer „humanitären Katastrophe“. Die neue Bundesregierung müsse die schwere Krise in Myanmar auf ihre politische Agenda setzen, für humanitäre Unterstützung sorgen und sich auf internationaler Ebene für ein globales Waffenembargo einsetzen, forderte Amnesty-Asien-Expertein Theresa Bergmann.

Die USA verhängten neue Sanktionen gegen Angehörige der Justiz und Unterstützer der Militärführung. Betroffen seien auch zwei hochrangige Mitglieder des Justizsystems, die die Strafverfolgung gegen Suu Kyi und andere vorangetrieben hätten, hieß es. Mögliches Vermögen der Betroffenen in den USA wird eingefroren, Geschäfte mit ihnen sind für US-Bürger verboten. US-Präsident Joe Biden forderte die Freilassung aller, die zu Unrecht inhaftiert sind.

Auch die britische Regierung kündigte zum Jahrestag neue Sanktionen gegen drei Angehörige der Militärführung an. Die Europäische Union teilte mit, seit der Machtübernahme seien 400.000 Menschen im eigenen Land vertrieben worden, fast eine Million seien in Nachbarländer geflohen. Neue Sanktionen verhängte die EU aber nicht.

© dpa-infocom, dpa:220201-99-923646/5



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