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Nord Stream 1 ohne Gas – Wie geht es jetzt weiter?

Durch die Pipeline fließt vorerst kein Gas aus Russland nach Deutschland. Foto: Stefan Sauer/dpa
Durch die Pipeline fließt vorerst kein Gas aus Russland nach Deutschland. Foto: Stefan Sauer/dpa

Deutschland versucht weiter, so viel Gas wie möglich einzuspeichern. Auch nach dem vorerst dauerhaften Lieferstopp durch Nord Stream 1 bleibt das so – leichter wird es aber nicht. Droht jetzt ein Gasmangel?

Berlin (dpa) – Erst gab es eine lange Wartungspause – und dann wieder Gas aus Nord Stream 1, allen Befürchtungen zum Trotz. Dann folgten kurze Wartungsarbeiten – doch diesmal fließt danach vorerst kein Gas mehr. Angeblich wegen eines technischen Defekts bleibt der Gasfluss durch Ostseepipeline vorerst unterbrochen.

Trotzdem ist die Gasversorgung in Deutschland weiter gesichert, sagen Behörden und Regierung. Doch was heißt das? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was ist passiert?

Am Freitagabend teilte der russische Staatskonzern Gazprom überraschend mit, dass der Gasdurchfluss durch Nord Stream 1 bis auf weiteres gestoppt bleibe – und nicht, wie geplant, nach Abschluss der dreitägigen Wartungsarbeiten wieder aufgenommen werde. Grund für den Stopp sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja, teilte Gazprom mit. Bis dieser gestoppt sei, könne kein Gas mehr fließen.

Stimmt das?

Die Bundesnetzagentur bezweifelt das. „Die von russischer Seite behaupteten Mängel sind nach Einschätzung der Bundesnetzagentur technisch kein Grund für die Einstellung des Betriebs“, schreibt die Behörde in ihrem am Samstag veröffentlichten Lagebericht zur Gasversorgung. Ähnlich äußerte sich auch Siemens Energy als Hersteller der angeblich betroffenen Turbine. Die Abdichtung solcher Leckagen sei ein Routinevorgang im Rahmen von Wartungsarbeiten.

Könnte ein Leck den Gasfluss wirklich so ausbremsen?

Ja, sagt Russland – aus Mangel an Alternativen. Es gebe keine technischen Reserven, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow bereits am Freitagmittag gesagt. „Es läuft nur eine Turbine.“ Auch dieser Darstellung widerspricht Siemens Energy: In der Verdichterstation Portowaja stünden genug Turbinen für einen Betrieb der Pipeline zur Verfügung, so das Unternehmen. Bereits Ende Juli hatte Russland die Lieferung durch Nord Stream 1 mit Verweis auf eine defekte Turbine zurückgefahren. Gleichzeitig steht in Mülheim weiter eine reparierte Turbine für Nord Stream 1, die auf Weitertransport wartet.

Kommt nun gar kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland?

Praktisch ja – über Waidhaus in Bayern kann aber zumindest theoretisch russisches Pipeline-Gas nach Deutschland gelangen. Waidhaus ist unter anderem Anlaufpunkt für Transgas, ein über die Ukraine und die Slowakei laufendes Leitungssystem nach Österreich und Deutschland, gleichzeitig aber auch für Nord-Stream-1-Gas über Tschechien. Laut Bundesnetzagentur kamen in Waidhaus allerdings zuletzt ohnehin nur noch geringe oder gar keine Mengen an.

Woher kommt dann Gas nach Deutschland?

Vor allem aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden – und zwar deutlich mehr als zuletzt aus Russland. Am Donnerstag flossen nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 2900 Gigawattstunden Erdgas aus diesen Ländern nach Deutschland. Zum Vergleich: Am Montag, noch vor der angekündigten Lieferreduktion, transportierte Nord Stream 1 rund 348 Gigawattstunden russisches Erdgas. Anlaufstellen für zukünftige Importe sind zudem die Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) an Nord- und Ostsee, die gerade im Eiltempo geplant und gebaut werden. Zum Jahreswechsel sollen die ersten Anlagen den Betrieb aufnehmen.

Wird weiter Gas eingespeichert?

Ja – und das soll auch so bleiben, sagt der Geschäftsführer des Branchenverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke. Der vergangene Mittwoch als erster Tag der Lieferunterbrechung habe bereits gezeigt, dass dies möglich sei. Aktuelle Zahlen der europäischen Gasspeicher-Betreiber zeigen allerdings auch, dass seit Beginn der Nord-Stream-Unterbrechung tendenziell weniger eingespeichert und mehr entnommen wird als zuvor. Die Füllstände steigen trotzdem, nach den aktuellsten Daten auf 84,53 Prozent am 1. September.

Kommen wir mit den Speicher-Füllständen durch den Winter?

Eine Verordnung sieht vor, dass die deutschen Speicher am 1. Oktober zu mindestens 85 Prozent gefüllt sein müssen, am 1. November dann zu 95 Prozent. INES-Chef Bleschke geht davon aus, dass die 85-Prozent-Marke schon in wenigen Tagen erreicht wird. „Sollte der komplette Ausfall russischer Gastransporte sich bis in den November fortsetzen, wird ein Erreichen des 95-Prozent-Ziels allerdings große Anstrengungen erfordern.“

Droht jetzt ein Gasmangel?

Klar war immer: Die bei einem Füllstand von 95 Prozent gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch der beiden Monate Januar und Februar 2022. Sie reicht also nicht für eine komplette Heizperiode. Gleichzeitig läuft der Gasimport in Herbst und Winter aber weiter, das dann verbrauchte Gas wird also nicht oder nicht nur aus Speichern kommen. Und Ziel der Gasspeicher-Verordnung war und ist es ja gerade, Deutschland besser gegen einen Totalausfall russischer Lieferungen zu wappnen. Trotzdem betont die Bundesnetzagentur in ihrem aktuellen Lagebericht noch einmal die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs.

Wird Gas nun noch teurer?

Das ist schwer vorherzusagen. Der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas, der als richtungsweisend für Gaspreise in Europa angesehen wird, war Ende August zunächst deutlich in die Höhe gegangen. Danach ging es allerdings ebenso steil bergab auf wieder etwas über 200 Euro. Die letzte Preiserhebung vor dem Wochenende datiert allerdings auf 15.59 Uhr am Freitag, also noch vor der Gazprom-Mitteilung zur weiteren Unterbrechung der Gasversorgung.

© dpa-infocom, dpa:220903-99-618244/4

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