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Eklat bei documenta: Konsequenzen und Aufklärung gefordert

Am Tag nach dem Abhängen des umstrittenen Großbanners «People's Justice» des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sind auf dem Friedrichsplatz nur noch das Gerüst sowie die Ständer für die ebenfalls entfernten Pappfiguren zurückgeblieben. Foto: Uwe Zucchi/dpa
Am Tag nach dem Abhängen des umstrittenen Großbanners «People's Justice» des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sind auf dem Friedrichsplatz nur noch das Gerüst sowie die Ständer für die ebenfalls entfernten Pappfiguren zurückgeblieben. Foto: Uwe Zucchi/dpa

Der Skandal um ein als antisemitisch kritisiertes Werk bei der documenta zieht größere Kreise – nun äußert sich auch Olaf Scholz. Nicht nur er lässt Forderungen nach personellen Konsequenzen anklingen.

Kassel/Wiesbaden (dpa) – Nach dem Antisemitismus-Eklat um ein großformatiges Banner bei der documenta fifteen werden die Rufe nach Konsequenzen lauter.

Entsprechende Überlegungen äußerte nicht nur der Zentralrat der Juden – auch Bundeskanzler Olaf Scholz meldete sich über eine Regierungssprecherin zu Wort. Unterdessen gibt es erste Erklärungsversuche, welche Fehlplanungen dazu geführt haben könnten, dass das als antisemitisch kritisierte Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi installiert wurde.

Scholz bleibt documenta fern

Die Antisemitismus-Vorwürfe haben Scholz veranlasst, auf einen Besuch der Kunstausstellung zu verzichten, wie zunächst die „Jüdische Allgemeine“ berichtete. Eine Regierungssprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur, der SPD-Politiker habe „in den vergangenen 30 Jahren wohl keine documenta versäumt“, werde dieses Mal aber nicht nach Kassel reisen.

Zur Erinnerung: Die mittlerweile abgehängte Installation des Künstlerkollektivs zeigte unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes.

Der Bundeskanzler bezeichnete diese Darstellung nach den Worten der Sprecherin als „abscheulich“. Es sei „völlig richtig und angemessen“ gewesen, das Wandbild zu entfernen. Seiner Meinung nach sei „in Deutschland kein Platz für antisemitische Darstellungen, auch nicht auf einer Kunstausstellung“.

„Die documenta-Leitung sollte sich nach Überzeugung des Bundeskanzlers ihrer Verantwortung für diesen Vorgang stellen und sich prüfen“, erklärte die Regierungssprecherin. „Im Vorfeld dieser renommierten Ausstellung gab es eine ganze Reihe von Warnungen – umso irritierender ist es, dass es nun dennoch zu diesem Skandal gekommen ist.“

Zentralrats-Chef spricht von „Schaden“ für Deutschlands Image

„Es ist richtig, dass das antisemitische Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi von der documenta entfernt wurde“, sagte auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in Berlin. Damit sei jedoch das Thema Antisemitismus sowie die Debatte über eine Nähe der diesjährigen documenta zu BDS nicht abgehakt. BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“. Die Bewegung will Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren.

„Es muss jetzt über personelle Konsequenzen nachgedacht werden“, sagte Schuster. Nähere Angaben machte er dazu nicht. Deutschlands Image in der Welt habe durch diesen Vorfall bereits Schaden genommen.

Auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) fordert Konsequenzen. „Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, muss unverzüglich zurücktreten oder vom Aufsichtsrat abberufen werden“, sagte DIG-Präsident Volker Beck dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag). Auch die Mitglieder des vom Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) geleiteten Aufsichtsrats sollten ihre Posten zur Verfügung stellen, forderte der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete.

„Nach den Antisemitismus-Vorwürfen schon im Vorfeld hätte der Aufsichtsrat tätig werden und sicherstellen müssen, dass Antisemitismus auf der documenta keinen Platz hat“, sagte Beck. „Stattdessen hat gerade Geselle immer alles gesundgebetet.“

In einer E-Mail an Roth warf Beck nach Informationen des „Kölner Stadtanzeigers“ der Leitung wie dem Aufsichtsrat vollständiges Versagen vor. Neben dem inzwischen abgehängten Wandbild der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi verwies er auf das Werk „Guernica Gaza“ der Künstlergruppe Eltiqa aus dem Gazastreifen und auf eine „terrorismusaffine, antiisraelische Filmserie“ des Kollektivs Subversive Films aus Brüssel und Ramallah. Beck forderte, die Förderung der documenta sofort einzustellen.

Kritik an den Verantwortlichen

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, jetzt gelte es, „schonungslos aufzuklären, wie es zu diesem beschämenden Vorfall kommen konnte und wer wann für welche Entscheidungen konkret Verantwortung getragen hat“. Das Wichtigste sei, dass daraus auch Konsequenzen gezogen würden. „Wer diese menschenverachtenden Ausfälle gutheißt, darf in Deutschland nicht die Verantwortung für ein international bekanntes Kulturevent tragen“, forderte der FDP-Politiker.

Das Problem des fehlenden Kurators

Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht das Problem teils in einem fehlenden verantwortlichen Kurator begründet. „Die Verantwortung für die gezeigte Kunst liegt in erster Linie bei der künstlerischen Leitung. Dass diese von der Findungskommission diesmal einem Kollektiv übertragen wurde, nicht einem einzelnen Kurator oder einer einzelnen Kuratorin, hat offenbar dazu geführt, dass die Sorgfalt und die Verantwortung des Kuratierens gelitten haben“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Dorn betonte, ihr sei auf mehrfache Nachfrage bei der documenta gGmbH immer versichert worden, es gebe keine Hinweise auf antisemitische Bildsprache auf der Ausstellung. „Warum nicht alle Werke gerade im Licht der Debatte im Vorfeld der Eröffnung eingehend betrachtet wurden und welchen Beitrag eine bessere Kommunikation durch die Gesellschaft hätte leisten können, wird zu klären sein.“ Die Gesellschafter hätten der documenta den klaren Auftrag erteilt, alle gezeigten Werke „im Sinne eines verantwortungsvollen Kuratierens“ zu überprüfen.

Blick nach vorn: Treffen mit der Bildungsstätte Anne Frank

Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, plädierte unterdessen für einen Blick nach vorn: „Noch ist nicht alles verloren, jetzt muss diese Krise als Chance genutzt werden, um wirklich ins Gespräch zu kommen“, sagte Mendel der dpa. Ohne Dialog werde die Debatte weiter eskalieren. Die Bildungsstätte Anne Frank wolle in Kassel mit Bildungsangeboten zur Aufklärung über Antisemitismus und Rassismus unterstützen. Darüber sei die Bildungsstätte in Kontakt mit der documenta. Für kommende Woche Mittwoch ist demnach eine Veranstaltung zusammen mit Ministerin Dorn geplant. Die documenta äußerte sich am Mittwoch zunächst nicht zu dem weiteren Verlauf der Debatte.

© dpa-infocom, dpa:220622-99-750866/10


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