Brest (dpa) – Neben den vielen blau-weiß-roten Fahnen zur Fußball-EM hat sich die Hafenstadt Brest ganz in Gelb rausgeputzt.
Tief im Westen unweit der bretonischen Heimat von Bernard Hinault ist alles bereit für den Startschuss der 108. Tour de France – allen Widrigkeiten zum Trotz. Im eigentlichen Startort Kopenhagen war wegen der EM kein Platz mehr für die Tour, in der Heimat stellte sich manch ein Umweltschützer quer – und coronakonform musste das Konzept schließlich auch sein.
Wenn sich am Samstag die Karawane auf die 3414,4 Kilometer lange Reise nach Paris begibt, hofft der Radsport auf eine langsame Rückkehr zur Normalität. Dank der sinkenden Inzidenzwerte und Lockerungen könnte es beim Nationalheiligtum wieder stimmungsvoller als im Vorjahr zugehen, auch wenn das bewährte Corona-Protokoll wieder gilt. Sportlich läuft alles auf ein erneutes slowenisches Duell zwischen Vorjahressieger Tadej Pogacar und dem unglücklichen Zweiten Primoz Roglic hinaus. Die weniger berglastige Streckenführung ist aber auch für den französischen Weltmeister Julian Alaphilippe „ein Geschenk“ und lässt die Grande Nation auf das Ende der Durststrecke seit Hinaults Triumph vor 36 Jahren hoffen.
Buchmann als Joker am Start
Für die deutschen Asse ist wohl nur eine Nebenrolle im Drehbuch der diesjährigen Tour-Story vorgesehen. Emanuel Buchmann – immerhin Vierter von 2019 – steht als Joker am Start, schließlich war der Kletterspezialist beim Bora-hansgrohe-Rennstall gar nicht für das Rennen eingeplant. Erst sein Sturz-Aus beim Giro d’Italia ließ die Verantwortlichen umdenken. Er werde sich „nicht absichtlich abhängen lassen“, kündigte Buchmann an. Zwei lange Einzelzeitfahren und weniger Bergankünfte sind aber im Gegensatz zu Teamkapitän Wilco Kelderman (Niederlande) nicht nach seinem Geschmack.
Und sonst? André Greipel geht im stolzen Alter von 38 Jahren noch einmal auf die Reise, nachdem er im vergangenen Jahr eigentlich schon Abschied von der Tour genommen hatte. Passenderweise trifft er in Frankreich seinen alten und ebenfalls schon abgeschriebenen Rivalen Mark Cavendish (Großbritannien) wieder. Für Etappensiege kommen die Altstars aber weniger in Frage. Da auch der formschwache Pascal Ackermann nicht zu seinem Tour-Debüt kommt, ist mit deutschen Erfolgen bei den Sprints kaum zu rechnen.
Schachmann und Kämna fehlen
Vermissen werden die deutschen Rad-Fans auch Maximilian Schachmann, der sich auf Olympia in Tokio konzentriert, und den letztjährigen Etappengewinner Lennard Kämna, der eine mentale Pause einlegt. Immerhin gehört der zwölfköpfigen deutschen Delegation Dauerbrenner Tony Martin an, der zum 13. Mal dabei ist und seinem Kapitän Roglic zum Triumph im zweiten Anlauf verhelfen soll.
Die Bilder der Tour 2020 sind noch in bester Erinnerung, als Roglic in La Planche des Belles Filles enttäuscht und mit leerem Blick auf dem Asphalt saß. In einem denkwürdigen Bergzeitfahren hatte Pogacar seinem Landsmann am vorletzten Tag das Gelbe Trikot entrissen und sich mit 21 Jahren und 365 Tagen zum jüngsten Toursieger seit 1904 gekrönt. „Wenn du so ein großes Rennen gewinnst wie die Tour de France, macht es dir Lust auf mehr“, sagt Pogacar. Acht Siege im Jahr 2021, darunter der Triumph beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich, scheinen dies zu unterstreichen.
Roglic: „Nicht in der Favoritenrolle“
So sieht sich Roglic auch „nicht in der Favoritenrolle“. Es gebe auch noch 20 andere gute Fahrer. Im Kopf hat der frühere Skispringer dabei sicher das Ineos-Team mit Ex-Tour-Champion Geraint Thomas, dem Vorjahresdritten Richie Porte und den beiden Ex-Girosiegern Tao Geoghegan Hart und Richard Carapaz. Die Zeiten, als der britische Super-Rennstall die Tour über fast ein Jahrzehnt mit Vierfach-Champion Chris Froome dominierte, sind aber offenbar vorbei.
Apropos Froome. Nach drei Jahren gibt der Superstar bei der Tour sein Comeback. Seit seinem schlimmen Sturz im Rahmen der Dauphiné-Rundfahrt 2019 kommt der 36-Jährige aber an seine Bestform nicht mehr heran. So sieht sich Froome beim Team Israel Start-Up Nation eher in der Rolle des Wasserträgers für Kapitän Michael Woods: „Ihr könnt definitiv erwarten, dass ihr mich seht, wie ich in den nächsten Wochen einige Flaschen hole.“
Womöglich auch am Mont Ventoux, wo Froome 2016 zu Fuß sein Gelbes Trikot verteidigt hatte. Der 1910 Meter hohe berühmt-berüchtige Riese der Provence gehört wieder zum Programm und muss auf der elften Etappe zweimal überquert werden. Das Ziel liegt aber im Tal. Bergankünfte warten dagegen in Tignes, am Col du Portet und in Luz-Ardiden. Die Entscheidung dürfte aber im Zeitfahren am vorletzten Tag in Saint-Emilion fallen, wo der junge Jan Ullrich 1996 seinen ersten Tour-Etappensieg holte.
Corona fährt mit
Bis der Tour-Sieger 2021 gekrönt wird, gilt es aber auch die Corona-Hürden zu überwinden. Im Klartext heißt das: Alle Fahrer werden jeweils zweimal vor dem Tour-Start, nach der fünften Etappe sowie am ersten und zweiten Ruhetag getestet. Werden zwei Fahrer eines Teams innerhalb von sieben Tagen positiv getestet, soll der jeweilige Rennstall ausgeschlossen werden. Im vergangenen Jahr wurde dies ähnlich gehandhabt und hatte weitgehend funktioniert. Kein Fahrer wurde positiv getestet.
Durch die Corona-Pandemie waren die Organisatoren gezwungen, sich einen neuen Startort zu suchen, da Kopenhagen wegen der auf 2021 verlegten Fußball-EM passen musste und nun im nächsten Jahr dran ist. Danach sollte eigentlich Rennes den Grand Depart ausrichten, doch der von den Grünen mitregierte Stadtrat stimmte dagegen. Ohnehin sieht sich die Tour wegen der Umweltverschmutzung zunehmender Kritik ausgesetzt.
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