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„Kein Weiter so“ – Werder Bremen nach dem Klassenverbleib

Bremens Trainer Florian Kohfeldt jubelt über den Treffer zum 1:2. Foto: Tom Weller/dpa
Bremens Trainer Florian Kohfeldt jubelt über den Treffer zum 1:2. Foto: Tom Weller/dpa

Der Klassenverbleib ist geschafft, aber die sportlichen Probleme sind noch nicht gelöst. Werder Bremen steht vor wegweisenden Tagen. Die wichtigste Frage ist: Bleibt Trainer Florian Kohfeldt?

Die wohl nervenaufreibendste Saison der eigenen Bundesliga-Geschichte ist für Werder Bremen auch mit dem Klassenverbleib in der Relegation noch nicht vorbei.

Denn in den nächsten Tagen kommen in den Konferenzräumen des Weser-Stadions die großen Fragen auf den Tisch: Wie konnte es passieren, dass einem Europa-League-Kandidaten bis in die Nachspielzeit des zweiten Relegationsspiels beim 1. FC Heidenheim der Zweitliga-Abstieg drohte?

Bleibt Florian Kohfeldt der Trainer seines Herzensclubs oder zieht er die Konsequenzen aus der von ihm so bezeichneten „Scheiß-Saison“? Und auch: Wie können die Bremer einen stark renovierungsbedürftigen Kader umbauen, obwohl ihnen dazu wegen der Corona-Krise und ihrer bisherigen Transferpolitik das Geld fehlt?

„Wunder wäre vielleicht noch etwas zu hoch gegriffen“, hatte Kohfeldt nach dem 6:1 (3:0) des SV Werder Bremen gegen die lust- und leidenschaftslosen Kölner, das wegen der parallelen 0:3-Niederlage von Fortuna Düsseldorf bei Union Berlin zum Last-Minute-Sprung auf Platz 16 und somit in die Relegation reichte, erklärt und angefügt: „Wenn wir es am Ende noch schaffen, dann würde ich es in der Kategorie einordnen.“ Nun ist das Wunder geschehen.

Kohfeldt selbst richtete den Blick schon kurz nach dem erlösenden 2:2 (1:0) in Heidenheim und dem damit verbundenen Klassenverbleib auf die nun folgende Aufarbeitung bei Werder Bremen. „Es kann kein Weiter so geben und es wird kein Weiter so geben“, sagte der 37-Jährige. Gefragt seien jetzt alle, „die am Profibereich beteiligt sind: die Analyseabteilung, der medizinische Bereich, Trainerteam, Geschäftsführung, auch Öffentlichkeitsarbeit. Das sind alles Themen, die wir besprechen müssen.“

Bleibt Kohlfeld?

Die drängendste Frage ist allerdings: Wie geht es mit ihm selbst weiter? Kohfeldt unterschrieb erst vor einem Jahr einen bis 2023 gültigen Vertrag in Bremen. Und obwohl vieles, was in dieser Saison schief lief, auch in seinen Verantwortungsbereich fällt, hat sich die Geschäftsführung schon einmal klar positioniert.

„Florian hat in dieser Saison gezeigt, dass er auch schwierige Situationen meistern kann. Deshalb gibt es für mich da keine Frage. Ich bin weiter absolut von ihm überzeugt“, sagte Sportchef Frank Baumann noch auf der Tribüne der Voith-Arena. „Ich gehe davon aus, dass er auch die Lust hat, den Weg weiterzugehen. Florian hat genug Kraft und Power, um die neue Saison mit aller Überzeugung anzugehen.“

An dieser Überzeugung gibt es allerdings auch Zweifel in Bremen. Der Weser-Kurier schrieb von einer „Jaaaa, aber…“-Stimmung bei Kohfeldt, die auch davon beeinflusst sei, dass der Trainer sehr genau um die besseren Arbeitsbedingungen bei anderen Clubs weiß und bei Werder Bremen nach dem Klassenverbleib massiv auf Veränderungen drängt.

Dabei geht es zum Beispiel um den medizinischen Bereich. „Wir hatten viele Verletzte, sogar unglaublich viele Verletzte. Das war einer der Hauptgründe für diese Saison“, sagte Kohfeldt.

Kaderplanung mit Fragezeichen

Den längsten Teil der Analyse dürfte allerdings die Kaderplanung einnehmen. Schon die gesamte Saison über zahlten die Bremer den Preis für eine leichtgläubige und auch in diesem Sommer weiter nachwirkende Transferpolitik. Sie ließen ihren einzigen Ausnahmespieler Max Kruse ziehen, ohne ihn auch nur annähernd zu ersetzen. Und sie holten für einen überalterten, verletzungsanfälligen Abwehrverbund mit Ömer Toprak einen älteren, verletzungsanfälligen Verteidiger.

Nach dem sichergestellten Klassenverbleib in der Bundesliga muss Werder Bremen nun teure Kaufverpflichtungen für die bislang nur ausgeliehenen Toprak, Leonardo Bittencourt und im Falle des erneuten Nicht-Abstiegs 2021 auch Davie Selke eingehen. Das bindet allein in diesem Sommer einen zweistelligen Millionenbetrag, ohne dass der Kader dadurch nur einen Deut jünger, schneller und auch widerstandsfähiger geworden wäre.

In der Konsequenz steht der viermalige deutsche Meister nun vor der Herausforderung, Geld zu sparen und sich gleichzeitig in allen Mannschaftsteilen neu aufstellen zu müssen. Werthaltige Transfereinnahmen sind umgekehrt wohl nur für Milot Rashica und vielleicht auch Ludwig Augustinsson oder Davy Klaassen zu erwarten. An namhaften Spielern wie Claudio Pizarro oder Nuri Sahin wird Werder dagegen nichts mehr verdienen können. Sie haben nach dem Klassenerhalt ihr Karriere- beziehungsweise Vertragsende erreicht.

Entscheidend für den früheren Werder-Manager und -Aufsichtsrats-Chef Willi Lemke ist, dass sich eine solche Saison im Abstiegskampf nicht noch einmal wiederholt. Seine Sorge ist jedoch: „Wir werden bei den Fernseheinnahmen Schwierigkeiten haben. Wir werden sicherlich durch Corona weitere finanzielle Einbußen haben. Und wir sind vorbelastet durch die Ausleihen von Spielern, die jetzt zumindest in zwei Fällen zu Käufen werden.“ Diese „Löcher im Etat“ seien „für die Geschäftsführung eine schwierige Situation und macht auch die Aufgabe für den Trainer eher schwerer als leichter“.

Bis zum Ende dieser Woche sollen die Gespräche zwischen dem Trainer, der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat abgeschlossen sein. Dann wird sich zeigen, ob es in Bremen vielleicht doch noch eine Ära Baumann/Kohfeldt gibt, oder ob diese Saison dafür zu viel Kraft gekostet hat. Ob der Trainer einige Forderungen durchsetzt oder aus dem Aufsichtsrat auch einige kritische Gegenfragen bekommt. „Diese Saison war auf jeden Fall eine gute Schule für ihn“, sagte Werder-Legende Ailton in einem Sky-Interview.

Klassenverbleib für Werder Bremen mit zwei Remis

Im Relegations-Rückspiel am Montagabend gingen die Bremer durch ein Eigentor des Heidenheimers Norman Theuerkauf (3. Minute) früh in Führung. Tim Kleindienst (85.) sorgte mit dem 1:1 noch einmal für Spannung und eine packende Schlussphase. Ein Sieg der Gastgeber hätte nach dem 0:0 im Hinspiel Werders ersten Abstieg seit 40 Jahren besiegelt. Ludwig Augustinsson (90.+4) schoss die Bremer erneut in Führung. Das 2:2 durch einen Foulelfmeter durch Kleindienst (90.+6) konnten die Gäste dank der Auswärtstorregel verschmerzen.

„Mit dem 2:1 war es dann eigentlich entschieden. Wir sind mega-enttäuscht heute“, sagte Frank Schmidt, der die vorläufige Krönung seiner bald 13 Jahre als FCH-Trainer verpasste und mit seiner Mannschaft in der 2. Liga bleibt, bei DAZN. „Wir haben kein Spiel verloren und es trotzdem nicht geschafft, das ist brutal“, sagte Kapitän Marc Schnatterer. „Heute hat man die Erleichterung gesehen. Das war eine schwere Saison für alle“, erklärte Bremens Davy Klaassen.

Die Heidenheimer machten mehr Lärm auf der Tribüne als auf dem Platz. Die Delegation des schwäbischen Clubs hatte Kuhglocke, Trommel und sogar eine Sirene mitgebracht, was die Gäste jedoch nicht verunsicherte. In einem der höchstgelegenen Stadien Deutschlands trat Werder über weite Strecken souverän auf.

Nach nicht einmal einer Minute landete eine Flanke von Ludwig Augustinsson vor den Füßen von Joshua Sargent, der es vor lauter Überraschung nicht fertig brachte, den Ball aus einem Meter über die Linie zu drücken. Wenige Sekunden später brachte stattdessen ein Heidenheimer die Bremer in Führung. Nach einem technischen Fehler von Sargent an der Strafraumgrenze beförderte Theuerkauf den Ball unglücklich ins eigene Tor.

Kohfeldt hatte vor der Partie vom „Vertrauen“ in die eigenen Fähigkeiten gesprochen. Mit dem frühen Führungstor kehrte dieses Vertrauen zurück. Es machte sich nicht bemerkbar, dass der Coach seinen Stürmer Niclas Füllkrug etwas überraschend auf der Bank gelassen hatte. Werder spielte seine technische Überlegenheit aus und ließ Heidenheim dem Ball hinterherlaufen. Was die Gastgeber entgegenzusetzen hatten, war ihre Athletik und Kampfkraft. Chancen erspielte sich die Mannschaft von Trainer Schmidt im ersten Durchgang nicht.

Trotzdem blieb die Partie eng, weil sich auch in Heidenheim eines der größten Werder-Probleme in dieser Spielzeit offenbarte: die mangelnde Fitness. Je länger das Spiel dauerte, desto schlapper wurde Kohfeldts Mannschaft. Der FCH wirkte deutlich austrainierter und kam kurz nach der Pause zu ersten Gelegenheiten durch Stefan Schimmer (46.) und David Otto (48.). Und weil Heidenheim nun im Kampf um den Klassenverbleib kommen musste, bekam Werder Bremen Räume.

Innerhalb von drei Minuten ließen Milos Veljkovic (57.), Augustinsson (58.) und Sargent (59.) teils hochkarätige Chancen aus. Aufregung herrschte dann aber plötzlich aus einem anderen Grund. Mitte des zweiten Durchgangs kamen auf einmal etwa 50 Heidenheimer Fans auf die Tribüne und machten sich lautstark bemerkbar. Bremens Geschäftsführer Klaus Filbry regte sich genauso lautstark darüber auf. Wenige Minuten später waren sie wieder verschwunden. Kleindienst sorgte mit seinem Ausgleichstreffer für Spannung – die Sensation aber blieb aus.

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