Seine erste Trophäe als Coach von Tottenham Hotspur konnte Jose Mourinho schon vor dem Spitzenspiel beim englischen Fußballmeister Liverpool entgegennehmen.
Die Premier League kürte ihn zum Trainer des Monats November – was er ungewohnt zurückhaltend kommentierte. „Es steht Trainer des Monats drauf, aber für mich steht es für das Team des Monats oder die Mitarbeiter des Monats“, sagte Mourinho. Doch der 57-jährige hat mit dem Traditionsclub noch andere Titel im Visier.
Das Spiel am Mittwochabend bei Jürgen Klopps Mannschaft könnte richtungsweisend sein. Mit einem Auswärtssieg in Anfield könnte Mourinhos Elf den derzeit punktgleichen Konkurrenten zumindest etwas distanzieren und ihre Ambitionen auf den Titel unterstreichen.
Auch wenn es im Norden Londons bislang kaum einer aussprechen mag – unter Jose Mourinho wächst bei den Anhängern der Tottenham Hotspurs die heimliche Hoffnung auf die erste Meisterschaft seit 60 Jahren.
Schwieriger Start vor zwölf Monaten
Als der Portugiese im November 2019 bei den Spurs anheuerte, war das anders. Sein Ruf war angeknackst. Beim zweiten Chelsea-Engagement und bei Man United war er geschasst worden: Die Verpflichtung von Jose Mourinho war in Tottenham durchaus umstritten.
Viele hielten Mourinhos Zeit für abgelaufen, wenige begrüßten den Titelsammler mit offenen Armen. Immerhin hatte er mit Chelsea und Man United jeweils nur ein halbes Jahr vor seiner Entlassung noch Trophäen gewonnen – mit den Blues sogar die Meisterschaft, mit den Red Devils die Europa League.
„To dare is to do“ lautet das Vereinsmotto der Spurs, frei übersetzt: Wer wagt, gewinnt. Zunächst schien das Wagnis für Clubboss Daniel Levy, der die treibende Kraft hinter der Starverpflichtung war, nicht aufzugehen. In Mourinhos erster Saison landeten die Spurs nur auf dem sechsten Platz, der Champions-League-Finalist von 2019 verpasste die Qualifikation für die Königsklasse. Für manche galt „The Special One“ bei den Londonern schon als gescheitert.
Kein halbes Jahr später ist Tottenham unter Jose Mourinho seit elf Spielen ungeschlagen und steht in der Tabelle der Premier League auf Platz eins. Manchester United wurde mit 6:1 abgefertigt, Man City und Erzrivale Arsenal jeweils mit 2:0 besiegt. Und nach dem 0:0 bei Chelsea verkündete Mourinho: „Ein Unentschieden an der Stamford Bridge ist eigentlich eine gute Sache (…). Aber in meiner Kabine war niemand zufrieden damit, und das ist fantastisch.“
All or nothing
Der Trainer arbeitet an einer neuen Siegermentalität. „Die Geschichte des Fußballs ist, dass die Mannschaften mit den guten Jungs nie gewinnen“, schimpft Jose Mourinho in einer Szene der Amazon-Doku-Serie „All Or Nothing: Tottenham Hotspur“.
Tatsächlich wirkt das Team verändert. Anders als unter Mauricio Pochettino gewinnt es auch mal hässlich, wenn es sein muss. „Wer das nicht gern sieht, soll sich das nicht anschauen“, sagte Mourinho bei Sky Sports.
Sein Verhältnis zu den Spielern gilt als hervorragend. Das Sturmduo mit Harry Kane und dem ehemaligen Bundesliga-Angreifer Heung-Min Son, das zusammen 19 von 24 Liga-Toren erzielt hat, ist in Topform. Der früher bei den Bayern spielende Neuzugang Pierre-Emile Hojbjerg erwies sich als echte Verstärkung.
Sogar Rekordeinkauf Tanguy Ndombele, den Jose Mourinho noch im Sommer scharf kritisiert hatte, blüht inzwischen bei den Tottenham Hotspurs auf. Ein echter Gradmesser dafür, was in dieser Saison möglich ist, wird die Partie in Anfield.
Enttäuschungen sind die Fans lange gewöhnt. Die seit Jahrzehnten fast chronisch trophäenlosen Spurs gelten in England – ähnlich wie Bayer Leverkusen in der Bundesliga – als Team, das zwar oft nah dran ist, aber den großen Erfolg auf den letzten Metern immer verpasst. Mourinho ist eher das Gegenteil und vielleicht der Mann, der Tottenham Hotspur zum Titel gefehlt hat.
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Jose Mourinho über Auszeichnung: