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„Ethische Diskussion“: Impfdebatte um Joshua Kimmich

Fußballspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern München. Foto: Sven Hoppe/dpa
Fußballspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern München. Foto: Sven Hoppe/dpa

Joshua Kimmich löst mit seiner Positionierung zu einer Corona-Impfung breite Diskussionen aus. Gerade Kimmich soll besonders Vorbild sein. Thomas Müller sieht trotz Verständnis Konfliktpotenzial.

Joshua Kimmich hat in der emotionalen Impfdebatte Kritik und Erstaunen hervorgerufen: Das vorläufige Nein des Fußball-Nationalspielers zu einer Corona-Impfung stößt wegen der erwarteten Vorbildrolle des Vorzeigeprofis auf Unverständnis.

Der Mittelfeldstar des FC Bayern machte in einem TV-Interview am Wochenende seine Gedanken in der öffentlich aufgeladenen Impffrage publik. Angesichts der erstmals seit Mai wieder klar dreistelligen Inzidenz-Zahlen und der Quarantäne für seinen Club-Trainer Julian Nagelsmann sind die Aussagen noch brisanter als ohnehin.

Er habe „persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was fehlende Langzeitstudien angeht“, sagte Joshua Kimmich nach dem 4:0-Sieg gegen Hoffenheim. Im TV-Sender Sky erklärte der 26-Jährige auch, dass es „sehr gut möglich“ sei, dass er sich in Zukunft impfen lasse.

Joshua Kimmich distanzierte sich im Interview von Gruppen der „Corona-Leugner oder Impfgegner“. Aber es gebe eben auch Menschen, die aus verschiedenen Gründen Bedenken hätten, sagte Kimmich. „Auch das sollte man respektieren, vor allem, so lange man sich an die Maßnahmen hält.“

Emotional geführte Debatte

Trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse wird die Impfdebatte in Deutschland sehr emotional geführt, die Aussagen eines derart prominenten und wichtigen Nationalspielers befeuern diese weiter.

Joshua Kimmich ist Vater zweier Kinder und der erste namhafte Bundesliga-Profi, der seinen Status als Ungeimpfter öffentlich macht und dies begründet. Er ist aber auch der Fußball-Star, der im Rahmen seiner Corona-Hilfsaktion „Solidarität im Kleinen wie im Großen“ wünscht – wenngleich das Projekt „We Kick Corona“ von ihm und Kollege Leon Goretzka weit vor den ersten Impfungen gegründet wurde und unstrittig schon vielen Menschen geholfen hat.

„Als Vorbild, aber auch als Fakt wäre es besser, er wäre geimpft“, sagte der langjährige Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge dem TV-Sender Bild. Ein „Ja“ oder „Nein“ von Kimmich zum Piks hat eine große Symbolwirkung. Bisher haben sich laut offiziellen Meldedaten knapp 70 Prozent der Deutschen mindestens eine Dosis gegen Covid-19 spritzen lassen. Gut 66 Prozent gelten als vollständig geimpft.

Konsequenzen auch für die Mannschaft

Die Zielimpfquoten liegen bei mindestens 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und mindestens 90 Prozent bei Menschen über 60. Auch ungeimpfte Menschen profitieren von der Lockerung der Restriktionen im Zuge steigender Impfquoten.

In der Bundesliga soll die Impfquote höher als in der Gesamtbevölkerung sein. Die Bild berichtete von fünf ungeimpften Bayern-Profis, das würde eine Impfquote von über 80 Prozent bedeuten. Sie machte auch den Impfstatus von Kimmich öffentlich. Danach empfand der Mittelfeldstar sein TV-Statement als notwendig, in dem er auch auf seine gelebte Solidarität und die Einhaltung aller vorgegebenen Corona-Maßnahmen hinwies.

Nicht geimpfte Profis müssen sich zwei wöchentlichen PCR-Tests oder Fremd-Antigentests an allen Trainings-, Spiel- und Reisetagen unterziehen. Im Falle einer Infektion müssten sie grundsätzlich länger in Quarantäne, was den Mannschaftserfolg beeinflussen kann.

Solch ein Szenario wäre für alle Beteiligten bitter, sagte Mannschaftskollege Thomas Müller. Der Vizekapitän sieht in der persönlichen Beziehung zu Joshua Kimmich verschiedene Facetten. Aus Sicht als „Freund“ sei es eine „absolut akzeptable Entscheidung“, sagte Müller. Als „Teamkollege“ und mit dem Blick auf die Pandemie-Lage wäre ein Impfung besser.

„Aber genauso muss man irgendwie auch versuchen, das zu respektieren. Das ist ein schmaler Grad, das ist eine ethische, moralische Diskussion“, sagte der 32-Jährige.

Aufklärungsarbeit notwendig

Möglicherweise bringt der Auftritt von Kimmich nun neuen Schwung für die Aufklärungsarbeit. Von einem „Missverständnis, das sich bei vielen Menschen hartnäckig hält“, sprach Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Nebenwirkungen einer Impfung träten immer innerhalb von wenigen Wochen nach der Impfung auf. „Danach ist die Immunreaktion abgeschlossen und der Impfstoff ist aus dem Körper verschwunden. Was offensichtlich viele Menschen unter Langzeitfolgen verstehen, nämlich dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird auch bei der Covid-19 Impfung nicht auftreten“, sagte Watzl am Sonntag.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat unterdessen die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche mit 106,3 angegeben. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei exakt 100 gelegen, vor einer Woche bei 72,7. Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI binnen eines Tages 13.732 Corona-Neuinfektionen – rund 5000 mehr als eine Woche zuvor.

FC Bayern empfiehlt Impfung

Joshua Kimmich folgt mit seiner Entscheidung nicht der Empfehlung seines Arbeitgebers, der sich am Samstag zum sechsten Mal über den Impfbus der Stadt München vor dem Stadion freute.

„Der FC Bayern empfiehlt, sich impfen zu lassen, genauso wie ich persönlich, um unter anderem vielleicht allen ein normaleres Leben zu ermöglichen“, sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Praktisch jeder Bundesliga-Trainer dürfte sich einen durchgeimpften Kader wünschen.

Dass die Bayern und andere Clubs aber in dieser Frage den Verzicht von Leistungsträgern hinnehmen müssen, ist nicht nur mit Verständnis und Respekt für die persönliche Entscheidung zu erklären.

Zwingen kann ein Club seine Stars nicht, denn Spieler der Güteklasse Kimmich würden schnell einen anderen Verein finden. Ob die Impf-Causa auch im Zuge der im August finalisierten Vertragsverlängerung bis 2025 thematisiert wurde, bei der Kimmich selbst und ohne Berater verhandelte, ist nicht bekannt.

Nachteile beim FC Bayern oder bei der Nationalmannschaft hat Joshua Kimmich keine zu befürchten. Eine Nominierung auch für die Novemberspiele gegen Liechtenstein (11.11.) und in Armenien (14.11.) durch Bundestrainer Hansi Flick ist nicht gefährdet, auch bei FIFA und UEFA gibt es keinen Impfzwang. Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündogan warnte nach seiner Covid-19-Erkrankung wiederholt mit eindringlichen Worten davor, das Virus zu unterschätzen.

DFB-Teamarzt Tim Meyer, auch für die Hygienekonzepte bei DFL und UEFA mitverantwortlich, gilt als Impfbefürworter. „Nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand ist die Schutzwirkung von Impfungen gegenüber schweren Verläufen exzellent“, sagte Meyer kürzlich.

Darauf dürften auch die Ärzte in München Joshua Kimmich hingewiesen haben. Kimmich habe sich in der Impffrage entschieden, das „erstmal nicht zu machen“ und das respektiere er, sagte Nagelsmann-Vertreter Dino Toppmöller.

Teams und Trainer können sich mit der Entscheidung arrangieren, durch spezielle Hygienekonzepte ist die Infektionsgefahr in der täglichen Zusammenarbeit und auf Reisen bei Beachtung der Vorgaben sehr gering. Die Öffentlichkeit muss Kimmichs Entscheidung auch akzeptieren.

„Enorme Symbolwirkung“

Doch spätestens bei Spielen, in denen Fans nur unter Einhaltung der 2G-Regel, also genesen oder geimpft, in die Stadien dürfen, wird eine neue Debatte über Privilegien für Stars, die in der Pandemie trotz Lockdowns weitgehend weiterspielen durften, entbrennen.

Das ist zwar mit der Ausübung des Berufs als Fußball-Profi zu erklären und unabhängig von Zuschauern, die in ihrer Freizeit ins Stadion gehen. Doch dies zu vermitteln, dürfte schwer fallen.

Auch das soziale Engagement von Joshua Kimmich wurde im Zuge der Impfaussagen kritisch beäugt. Auf Twitter gab es neben Diskussionen über „We Kick Corona“ viel Kritik daran, dass der 26-Jährige vor ein paar Tagen schwer kranke Kinder besucht hatte.

Einige User warfen ihm vor, dadurch die kleinen Patienten gefährdet zu haben. Andere wiesen darauf hin, dass er als Fußball-Profi zweimal pro Woche per PCR getestet werde. Joshua Kimmich trug bei dem Termin auch eine FFP-Maske.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Joshua Kimmich sich in naher Zukunft impfen lässt. „Am besten wäre es, wenn die Impfung noch käme und dass man jetzt keinen großen Druck aufbaut“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Sonntag bei Sport1.

„Es ist Joshua Kimmichs eigene Entscheidung. Wir dürfen keinen Druck aufbauen, aber es wäre sehr wertvoll – davon geht eine enorme Symbolwirkung aus“, so Karl Lauterbach. Es würde die fatale Botschaft aus der Aussage von Joshua Kimmich an Wirkung verlieren lassen.

© dpa-infocom, dpa:211024-99-716358/4



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