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Nationalmannschaft: DFB gibt Jogi Löw „zeitliche und emotionale Distanz“

Bundestrainer Joachim Löw steht nach der 0:6-Pleite gegen Spanien in der Kritik. Foto: Federico Gambarini/dpa
Bundestrainer Joachim Löw steht nach der 0:6-Pleite gegen Spanien in der Kritik. Foto: Federico Gambarini/dpa

Das DFB-Präsidium sieht seine wichtigste Mannschaft in arger Gefahr. Der Verband bestätigte den 4. Dezember als Aufarbeitungstermin des 0:6 in Spanien und der Arbeit von Joachim Löw. Was verwundert: Der Bundestrainer als entscheidender Mitarbeiter soll nicht dabei sein.

Die veränderte Tonlage bei seinem Arbeitgeber gibt Anlass für verstärkte Diskussionen um die Personalie Jogi Löw: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bestätigte den Rapport-Termin der Führung der Nationalmannschaft – allerdings soll anders als nach dem WM-Debakel von 2018 Bundestrainer Löw diesmal persönlich nicht dabei sein.

„In der DFB-Präsidiumssitzung am 4. Dezember wird Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften und Akademie, die aktuelle Situation der Nationalmannschaft darstellen und einschätzen“, heißt es in der schmucklosen Verbandsmitteilung auf der eigenen Homepage – Jogi Löw wird somit nicht vor Ort sein.

Zur Aufarbeitung würden nicht nur „die Erfahrungen“ aus dem jüngsten 0:6-Untergang in Spanien gehören, sondern auch „die Gesamtentwicklung der Mannschaft in den vergangenen zwei Jahren“.

Löws langjähriger Weggefährte Bierhoff hatte schon unmittelbar nach dem Tiefschlag in Sevilla, der zweithöchsten Niederlage in der DFB-Historie, dem sichtbar gezeichneten Bundestrainer das Vertrauen ausgesprochen.

Vertrag von Löw läuft bis 2022

Dem DFB-Präsidium scheint diesmal mit dem Blick auf die im kommenden Sommer anstehende EM mit drei Gruppen-Heimspielen in München ein einfaches „Weiter so“ aber nicht genug. Der Vertrag mit dem 60 Jahre alten Löw läuft noch bis zur WM 2022. Der DFB spricht jetzt von einem „Fahrplan“, um in Sachen Jogi Löw und der Perspektive für die Nationalmannschaft „Erkenntnisse zu sammeln, auszuwerten und darüber zu beraten“.

Die öffentliche Diskussion läuft längst. Die Standpunkte der Fußball-Prominenz von Jürgen Klinsmann über Lothar Matthäus, Olaf Thon, Jürgen Kohler, Rudi Völler bis hin zu Benedikt Höwedes (unter Löw 2014 Weltmeister) werden permanent ausgetauscht. Eine große Zahl von Fans sieht mit Löw keine Chance mehr zur positiven Wende, um die Europameisterschaft zu einer deutschen Erfolgsgeschichte zu machen.

Der Fahrplan des DFB-Präsidiums, zu dem auch Bierhoff gehört, sieht nun erstmal vor, „dem Bundestrainer die zeitliche und emotionale Distanz zu geben, die aktuelle Situation der Nationalmannschaft grundlegend aufzuarbeiten“. Das aus sportlichen Gründen, „um die Ursachen der deutlichen Niederlage von Sevilla zu analysieren“. Und auch persönlich, „um die eigene große Enttäuschung zu verarbeiten“.

Und der Verband fügte hinzu: „Das gehört sich so.“ Unbestritten hat sich Löw in 16 Jahren beim DFB große Verdienste erworben. Und die Situation für sein Team war in diesem Jahr durch die Auswirkungen der Corona-Krise auf Profis und Spielplan keinesfalls leicht.

Wo, wann und wie intensiv Löw mit seinem Trainerstab den Rapport vor dem Verbandspräsidium vorbereitet, ist bisher unbekannt. Nach dem historischen WM-Vorrunden-Aus im Sommer 2018 hatte der Bundestrainer selbst von Arroganz und Selbstgefälligkeit bei seinen Einschätzungen gesprochen und brauchte zwei Monate zur Analyse des Absturzes.

Neubeginn gescheitert

Der Neubeginn ging zunächst in der Nations League schief, in der EM-Qualifikation gelang mit einem spät eingeleiteten Personal-Umbruch ein zwischenzeitlicher Aufschwung. Doch immer wieder gab es auch Rückschläge, Kritiker bemängelten die fehlende Kontinuität.

„In dem Moment ein Fazit zu ziehen, ist schwierig“, sagte Löw wenige Minuten nach dem 0:6 in Spanien zu seiner Sicht auf das Jahr 2020: „Jetzt haben wir eine herbe Niederlage einstecken müssen, die es so schon lange nicht mehr gab. Es war ein Spiel, in dem überhaupt nichts funktioniert hat. Das ist für uns alle erstmal bitter.“

Er habe aber zuvor auch „gute Ansätze“ und „gute Spiele“ gesehen. Und der EM-Erfolgsanspruch 2021 bleibt: „Wir können nicht zu einem Turnier gehen und sagen, das ist ein Vorbereitungsturnier für die weiteren Turniere“, sagte Jogi Löw. Seitdem war von ihm nichts mehr zu hören.

Das Dilemma für den DFB: Bei einer überraschenden Entscheidung gegen Jogi Löw wären die Bundestrainer-Alternativen für die deutsche Nationalmannschaft beschränkt, auch wenn Ex-Weltmeister Höwedes als bisher Letzter der Promi-Runde den bisherigen U21-Nationalcoach Stefan Kuntz als ideale Besetzung pries.

Die Topleute wie Jürgen Klopp (Liverpool) oder Hansi Flick (Bayern), der mit Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann für gleich drei deutsche Trainer im Halbfinale der letzten Champions League sorgte, sind derzeit nicht verfügbar. Eine Verpflichtung des ehemaligen Leipziger Cheftrainers und Sportdirektors Ralf Rangnick könnte wohl größere Veränderungen in der Führungshierarchie beim DFB nach sich ziehen.

Der Verband erklärte zu den nächsten Schritten: Nach der Sitzung am 4. Dezember werde man „zum gegebenen Zeitpunkt über Ergebnisse der Beratungen und nächste Schritte informieren“.

© dpa-infocom, dpa:201123-99-430092/3

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