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Anti-Doping: ARD-Whistleblower Witali Stepanow im Interview

Whistleblower Stepanow hat mit seinem Insiderwissen maßgeblich dazu beigetragen, das von Moskau gestützte Dopingsystem zu enthüllen. Foto: Privat/Witali Stepanow/dpa/dpa
Whistleblower Stepanow hat mit seinem Insiderwissen maßgeblich dazu beigetragen, das von Moskau gestützte Dopingsystem zu enthüllen. Foto: Privat/Witali Stepanow/dpa/dpa

Bei den Mächtigen in Russland gilt er als Staatsfeind und Verräter, von anderen wird er für seinen Mut bewundert. Whistleblower Witali Stepanow hat mit seinem Insiderwissen maßgeblich dazu beigetragen, das von Moskau gestützte Dopingsystem zu enthüllen.

Witali Stepanow, einer der bekanntesten Whistleblower der Sportgeschichte, musste Ende 2014 überstürzt aus Russland fliehen. Als Kronzeuge in einer ARD-Dokumentation hatte er Einzelheiten des staatlich gestützten Dopingsystems enthüllt.

Nach einem Aufenthalt in Deutschland ließ er sich mit Frau Julia und seinem Sohn in den USA nieder. Ort: unbekannt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 38-Jährige über Doping, die Rolle des IOC, sein neues Leben in Amerika – und sagt, dass er Russland nicht mehr als seine Heimat betrachtet.

Vor vier Jahren haben Sie einen Antrag auf Asyl, auf eine Aufenthaltsgenehmigung in den USA gestellt. Eine lange Zeit. Gab es inzwischen eine Antwort von den Behörden?

Witali Stepanow:
Wir warten immer noch darauf, interviewt zu werden. Bis jetzt gibt es in diesem Prozess keine Bewegung. Der nächste Schritt wäre, eine Aufforderung zum Gespräch mit einem Immigration Officer zu erhalten, um unseren Fall zu präsentieren. Darauf warten wir noch.

Verlässt einen da nicht langsam der Mut?

Witali Stepanow:
Nein. Wir hoffen immer noch, dass wir hierbleiben können. Und das ist alles, was wir derzeit machen können: warten und auf ein Interview hoffen.

Träumen Sie davon, eines Tages wieder nach Russland, in Ihre Heimat, zurückzukehren?

Witali Stepanow:
Wir betrachten Russland nicht mehr als unser Heimatland. Wir sehen es als einen Platz, wo wir geboren wurden. Wir haben keine Pläne, nach Russland zurückzukommen.

Jetzt müssen wir mal sehen, ob wir für immer in den USA bleiben dürfen. Wenn nicht, dann müssen wir einen anderen Ort finden, wo wir leben können.

Die ‚New York Times‘ beschrieb Sie vor einem Jahr als ‚Die Whistleblower von nebenan‘. Führen Sie in Amerika, Ihrer Wahlheimat, ein ganz normales Leben?

Witali Stepanow:
Ja, so leben wir jetzt unser Leben. Keiner weiß wirklich, wer wir sind. Viele Freunde haben wir nicht, aber ja, wir haben Freunde, die wir schätzen, und wir sind stolz darauf, dass sie ein Teil unseres Lebens sind.

Einige haben auch Kinder, mit denen unser Sohn spielen kann. Aber wir gehen auch nicht rum und fragen: Was macht ihr und wie verbringt ihr eure Zeit.

In Russland gelten Sie als Verräter, Sie sollen als Judas beschimpft worden sein. Nur ganz wenige wissen, wo Sie heute leben. Stichwort Nawalny – der Giftmordversuch. Fürchten Sie den langen Arm Moskaus?

Witali Stepanow:
Wir haben keine Angst vor Rache, denn wir sind nicht in Russland. Es gibt wirklich keinen Grund, etwas zu fürchten, von dem du nichts weißt. Deshalb leben wir einfach unser ganz normales Leben, wie ganz normale Menschen.

Russland wird von den Sommerspielen 2021 in Tokio und von den Winterspielen 2022 in Peking ausgeschlossen. Der Internationale Sportgerichtshof hat die ursprüngliche Vierjahressperre halbiert. Diese Entscheidung ist auch in Deutschland heftig kritisiert worden. War es aus Ihrer Sicht ein Rückschlag oder ein Erfolg?

Witali Stepanow:
Ich hätte mir gewünscht, dass diese Sanktion, die Vierjahressperre, Bestand gehabt hätte. Aber alle Seiten wurden gehört und haben ihre Fälle präsentiert. Deshalb hoffe ich, dass die Richter schließlich alles bewertet und ein angemessenes Urteil gesprochen haben.

Mit dieser Entscheidung müssen nun alle leben, auch die Athleten aus Russland. Und es ist doch gut, dass jetzt sogar Länder für Sportbetrug verantwortlich gemacht werden können und dafür, dass sie ihre Athleten dopen und das vertuschen. Ich glaube daher, das es ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Doping und für Ethik im Sport ist.

Früher haben Sie das Internationale Olympische Komitee hart kritisiert, ihrer Frau Julia verwehrte es 2016 einen Olympia-Start in Rio. Inzwischen beraten Sie das IOC in Dopingfragen, aus Lausanne wird Ihre Familie auch finanziell unterstützt.

Witali Stepanow:
Ich kann ihnen dafür, dass ihnen meine Meinung wichtig ist, nur danken. Ich stehe jederzeit zur Verfügung.

Und wir können dem IOC noch dankbarer dafür sein, dass sie uns für unseren Rat in puncto Whistleblower und Doping auch noch bezahlen. Das kam wirklich unerwartet.

Wir freuen uns darüber, dass sich die Führung des IOC um Whistleblower kümmert. Ich habe einen Beratervertrag, außerdem hilft das IOC Julia bei ihrer Ausbildung.

Offenbar haben Sport und Politik in Russland wenig aus dem Skandal und den Sanktionen gelernt. Oder sehen Sie da irgendwelche echten Reformen, Veränderungen im System, in den Köpfen?

Witali Stepanow:
Die russische Regierung ist da nicht hilfreich, weil sie mit der Vertuschung weitermacht und die olympische Bewegung betrügt. Sie ist der Hauptschuldige – nicht die anderen.

Die anderen versuchen nur, sich damit auseinanderzusetzen und sich dafür einzusetzen, dass nicht alles in die Binsen geht. Denn sie haben es mit dem größten Land der Welt zu tun, einem der mächtigsten innerhalb der olympischen Bewegung.

Also ist da keine Entwicklung zum Besseren in Sicht?

Witali Stepanow:
Ich habe da null Vertrauen, dass es in Russland wirkliche Veränderungen geben wird. Und genau das war ja unsere Hoffnung von Anfang an.

Leider will die russische Regierung diesen Wandel gar nicht, sie vertuscht Doping weiterhin. Und da ist niemand, der ihnen Vorwürfe macht oder ihnen dafür die Schuld gibt. Stattdessen lügt und vertuscht sie weiter.

In den USA ist kürzlich der sogenannte Rodschenkow Act in Kraft getreten. Er erlaubt es US-Behörden, künftig Doping und die Drahtzieher überall in der Welt zu verfolgen. Benannt ist das Gesetz ausgerechnet nach einem anderen Whistleblower, Ihrem Landsmann Grigori Rodschenkow, dem früheren Chef des Moskauer Dopinglabors.

Witali Stepanow:
Ich glaube, dass dieses Gesetz den Kampf gegen Doping stärken wird. Es ermöglicht die Bestrafung von Personen, die in internationale Doping-Verschwörungen verwickelt sind.

Das ist eine positive Entwicklung im Kampf gegen Doping – wenn jemand, der Doping vertuscht, die olympischen Werte zerstört und die Gesundheit von Athleten über Jahrzehnte gefährdet hat, wenn dieser dann entscheidet, sauber zu werden und auf der Seite der Wahrheit zu stehen. Wenn ich alles in Betracht ziehe, würde ich sagen: Es ist positiv.

Rodschenkow, ein Drahtzieher des gesamten Dopingskandals 2014 in Sotschi, ist also jetzt der Gute, ein Symbol? Fühlen Sie sich da nicht frustriert und verhöhnt?

Witali Stepanow:
Wenn man alles zusammennimmt – dann ist es hauptsächlich positiv, dass er entschieden hat, die Wahrheit zu sagen. Dass es besser ist, auf der Seite der Wahrheit zu stehen und dabei zu helfen, dass die olympische Bewegung besser wird, als sie zu zerstören! Ich hoffe nur, dass er sich am Ende schuldig fühlt für das, was er getan hat.

Wird die Wissenschaft den Krebs eher besiegen als der internationale Sport die Geißel Doping?

Witali Stepanow:
Es wird immer Menschen geben, die das System betrügen. Aber auf der anderen Seite stehen jene, die diese Betrüger bekämpfen. Und wir Whistleblower hoffen, auf der Seite jener zu stehen, die für einen fairen Wettbewerb streiten. Es wird ein endloser Kampf sein!

Ein Blick sechs Jahre zurück: Bereuen Sie etwas von dem, was Sie getan und bewirkt haben? War es das alles wert?

Witali Stepanow:
Ja, natürlich! Die Wahrheit ist ans Licht gekommen, und die maßgeblichen Sportorganisatoren waren gezwungen, sich damit zu beschäftigen.

Und ja: Wir sind froh darüber, denn ich glaube, die Anti-Doping-Bewegung ist heute viel stärker. Und ich sehe bessere Chancen für die sauberen Athleten, bei internationalen Wettbewerben erfolgreich zu sein.

Zehntausend Meilen fern der Heimat, in einer neuen Welt, was empfinden Sie, Julia und Ihr Sohn heute als Glück?

Witali Stepanow:
Wir können uns in diesem Jahr alle glücklich schätzen, dass wir gesund geblieben und nicht krank geworden sind, dass wir nicht vom Virus betroffen sind.

Die ganz normalen Dinge sollten uns glücklich machen – und das versuchen wir jeden Tag. Ja, wir sind glückliche Menschen, zufriedene Menschen. Amerika können wir noch nicht unsere Heimat nennen, aber eines Tages, hoffentlich.

Zur Person:
Witali Stepanow ist eine Schlüsselfigur bei der Aufdeckung des Dopingskandals im russischen Sport.
Als erster Kronzeuge (‚Whistleblower‘) enthüllte er am 3. Dezember 2014 in der weltweit beachteten ARD-Dokumentation ‚Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht‚ Details der jahrelangen Betrugspraxis auf allen Ebenen und in vielen Sportarten.
Er war Mitarbeiter der nationalen Anti-Doping-Agentur Rusada. Mit seiner Frau Julia, einer ehemaligen Weltklasse-Mittelstreckenläuferin, und seinem siebenjährigen Sohn lebt Stepanow seit 2015 an einem unbekannten Ort in den USA. Der 38-Jährige ist Berater des IOC.

© dpa-infocom, dpa:201227-99-825916/3

➡️ „Geheimsache Doping“ in der Mediathek der ARD

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