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Trotz Protesten: Lukaschenko hält an 80-Prozent-Erfolg in Belarus fest

Demonstranten versammeln sich nach der Präsidentenwahl auf den Straßen von Minsk. Foto: Sergei Grits/AP/dpa
Demonstranten versammeln sich nach der Präsidentenwahl auf den Straßen von Minsk. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Trotz heftiger Proteste hält der autoritäre Staatschef Lukaschenko in Belarus weiter an seinem Wahlerfolg und den 80 Prozent fest. Bundesaußenminister Heiko Maas denkt über die Reaktivierung von EU-Sanktionen gegen das Land nach.

Nach der Präsidentenwahl in Belarus – wie der seit einigen Jahren vom Außenministerium offiziell verwendete Name für Weißrussland lautet – ist es nach dem Ergebnis von 80 Prozent für Amtsinhaber Alexander Lukaschenko neben den blutigen Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten in einzelnen Orten zu Siegesfeiern für die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja gekommen.

Doch nach der von blutigen Protesten überschatteten Präsidentenwahl klammert sich Lukaschenko an die Macht. „Wir werden unser Land nicht zerreißen lassen“, sagte er Staatsmedien zufolge. Zuvor hatte die Wahlkommission dem 65-Jährigen den Sieg zugesprochen, er soll auf 80,08 Prozent der Stimmen gekommen sein. Die Opposition sprach dagegen von beispielloser Wahlfälschung. Sie erkennt das Ergebnis nicht an und bereitet eine neue Protestwelle vor.

Die Proteste begannen landesweit nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend. Sie waren die schwersten, die das Land je gesehen hat. Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer, Tränengas und Blendgranaten ein: Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen.

In einzelnen Ortschaften habe die Polizei kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Internetportale. In der Großstadt Baranowitsch im Westen von Belarus flohen Beamte zunächst vor den Demonstranten. Teils waren in den Städten – etwa in Witebsk und in Kobrin – kaum Sicherheitskräfte unterwegs, weil sie in der Hauptstadt im Einsatz waren.

Dagegen ging die Polizei in der Hauptstadt Minsk, wo bereits tagsüber Militärfahrzeuge Stellung bezogen hatten, mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Blendgranaten gegen die Bürger vor. Maskierte Sicherheitskräfte schleppten Menschen in Busse und schlugen auf Demonstranten ein.

Auf Videos aus Minsk war zu sehen, wie Menschen aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. Zu Zehntausenden waren Menschen auf den Straßen in der Hauptstadt. Tausende Menschen zogen in einzelnen Orten des Landes zwischen EU-Mitglied Polen und Russland feiernd durch die Straßen und riefen „Es lebe Belarus!“.

Das Innenministerium sprach von mehr als 3.000 Festnahmen und fast 100 Verletzten auf beiden Seiten – bei den Sicherheitsorganen und bei den Bürgern. Es soll auch einen Toten unter den Demonstranten geben. Die Behörden weisen dies aber zurück.

Die Proteste richteten sich gegen Wahlfälschungen und einen von den Behörden angekündigten Sieg von Präsident Alexander Lukaschenko. Von ihm oder der Wahlleitung gab es am Abend zunächst keine Reaktionen. Dagegen feierten die Anhänger der Präsidentenkandidatin Tichanowskaja an einzelnen Wahllokalen im Land den Sieg der 37-Jährigen gegen Lukaschenko. Allein in Minsk soll sie in 20 Lokalen gewonnen haben.

Chaos nach Wahlende: Von der Wahlkommission gab es auch Stunden nach Ende der Abstimmung zunächst keine ersten offiziellen Ergebnisse. Die Internetseite der zentralen Wahlleitung war nicht mehr abrufbar. Einzelne örtliche Wahlkommissionen traten vor die Menschenmengen und verkündeten Ergebnisse, nach denen Staatschef Lukaschenko eine schwere Niederlage erlitten habe. Teils kam Tichanowskaja demnach auf zwischen 80 bis 90 Prozent der Stimmen.

Wahlkommission vermeldet 80 Prozent für Lukaschenko

Die Wahlkommission in Belarus hat Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Foto: Sergei Grits/AP/dpa
Die Wahlkommission in Belarus hat Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Am späten Abend verkündete die Wahlkommission dann, dass Staatschef Alexander Lukaschenko die Präsidentenwahl in Belarus mit rund 80 Prozent der Stimmen klar gewonnen.

Die Wahlbeteiligung in der zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland gelegenen Ex-Sowjetrepublik betrug nach Angaben der Behörden 84 Prozent. Etwa 6,8 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Insgesamt traten fünf Kandidaten an.

Lukaschenkos Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, warf dem Langzeitpräsidenten vor, sich nach mehr als 26 Jahren an der Macht mit Gewalt eine sechste Amtszeit sichern zu wollen. Ihr Wahlkampfstab geht davon aus, dass sie zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen errungen hat.

Der Stab veröffentlichte dazu einzelne Protokolle aus Wahllokalen, in denen ehrlich ausgezählt worden sein soll. Der staatlichen Wahlkommission zufolge soll Tichanowskaja gerade einmal zehn Prozent erhalten haben. Das Ergebnis will sie nicht anerkennen.

In sozialen Medien gab es immer wieder Berichte von vorausgefüllten Stimmzetteln. Außerdem seien Protokolle falsch ausgestellt worden. Unabhängige Beobachter aus Belarus zählten demnach weniger oder mehr Wähler in einem Wahllokal, als offiziell angegeben worden sei. Der Menschenrechtsorganisation Wesna zufolge sollen Wehrpflichtige oder Angestellte von Staatsfirmen zur Abstimmung gezwungen worden sein.

Lukaschenko will nach mehr als einem Vierteljahrhundert an der Macht in eine sechste Amtszeit gehen. Bereits in den vergangenen Wochen kündigte sich jedoch eine Protestwelle an. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa waren bei der Abstimmung diesmal nicht dabei.

Lukaschenko, der als „letzter Diktator Europas“ gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. Er hat die Einflußnahme aus dem Ausland als Grund für die Proteste ausgemacht.

Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, meinte er. Hinter den Drahtziehern müssten aber nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. Er drohte mit dem Einsatz der Armee. „Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will.“ Der Präsident hatte mehrfach vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem „Maidan“ gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine.

© dpa-infocom, dpa:200809-99-96721/9
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Maas: Reaktivierung von EU-Sanktionen prüfen

Außenminister Heiko Maas (SPD) äußert sich bei einer Pressekonferenz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Außenminister Heiko Maas (SPD) äußert sich bei einer Pressekonferenz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Belarus hat sich Bundesaußenminister Heiko Maas, der bereits zuvor mit Frankreich und Polen seine Sorge ausgedrückt hatte, dafür ausgesprochen, eine Reaktivierung von EU-Sanktionen gegen das autoritär regierte Land zu prüfen.

Die Hoffnungen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in Belarus hätten mit der Wahl „mehr als nur einen herben Rückschlag erlitten“, sagte Maas am Montag in Berlin – auch angesichts des Ergebnisses von 80 Prozent für Lukaschenko. Von freien Wahlen sei „wirklich überhaupt nichts“ zu erkennen gewesen. „Stattdessen haben wir Gewalt, Einschüchterung und Verhaftung mit bezeugen müssen.“

Maas forderte, von der Polizei festgenommene friedliche Demonstranten umgehend freizulassen. Bei denen wegen erster Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit aufgehobenen EU-Sanktionen gegen Belarus müsse man prüfen, „ob das im Lichte der vergangenen Wochen und der vergangen Tage noch Gültigkeit besitzen kann“.

Nach Einschätzung der Bundesregierung in Berlin wurden die Mindeststandards für demokratische Wahlen nicht eingehalten. Verurteilt werde auch Gewalt gegen friedlich demonstrierende Bürger und die Festnahme von Journalisten, hieß es. SPD-Außenexperte Nils Schmid betonte, dass die Regierung in Minsk nun auf die Bevölkerung zugehen müsse und freie und demokratische Wahlen vorbereiten solle.

Grünen-Chef Robert Habeck forderte neue Sanktionen gegen Verantwortliche und Härte gegen Lukaschenko: „Er ist ein Diktator, und er unterdrückt seine Bevölkerung, und entsprechend hart sollte auch agiert werden ihm gegenüber.“ Zu freien und fairen Wahlen komme man nicht, indem man ihm die Hand noch halb hinhalte. Die FDP im Bundestag verlangte von der internationalen Gemeinschaft ein Zeichen.

EU-Sanktionen 2016 ausgelaufen

Kremlchef Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping waren unterdessen die ersten, die Lukaschenko zum Wahlsieg gratulierten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden benachbarten „Brudervölkern“ solle gestärkt werden, sagte Putin nach Kreml-Angaben. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren zuletzt angespannt, weil Lukaschenko mehrere Russen wegen eines angeblichen Umsturzversuches festnehmen ließ.

Kritik kam von der EU. Ratspräsident Charles Michel verurteilte das Einschreiten von Sicherheitskräften scharf. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte: „Wir werden die Entwicklungen weiterhin sehr genau verfolgen, um dann zu beurteilen, wie eine Antwort und die Beziehungen der EU zu Belarus auszugestalten sind.“ Die Nachbarländer von Belarus, Polen und Litauen, forderten Minsk zum Gewaltverzicht auf.

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten.

Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben.

Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015. Es lohne sich in einer solchen Situation zu testen, wie viel Bereitschaft zum Entgegenkommen von weißrussischer Seite da sei, kommentierte damals der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

© dpa-infocom, dpa:200810-99-105425/13

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