Die SPD will Vizekanzler Olaf Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten küren: „Olaf hat den Kanzler-Wumms“, schrieben die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Montag auf Twitter.
Vorstand und Präsidium der Partei hatten Scholz kurz zuvor einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Eine Bestätigung auf einem Parteitag ist danach nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkandidaten für die Wahl im Herbst 2021. Scholz sagte: „Ich freue mich über die Nominierung und ich will gewinnen.“
Scholz hatte zuvor via Twitter erklärt, er freue sich auf einen „tollen, fairen und erfolgreichen Wahlkampf in einem starken Team“. Präsidium und Vorstand hätten ihn einstimmig nominiert. Vor der Twitter-Bestätigung der Parteiführung hatten die Funke-Mediengruppe und die Bild-Zeitung darüber berichtet.
Scholz will mehr als 20 Prozent
Die Personalie war lange vermutet worden – war in der Partei aber zugleich extrem umstritten. „Wir wissen, dass diese Entscheidung für einige eine unerwartete Wendung darstellt“, erklärten die Parteichefs daher. „Wir bitten um Vertrauen in unseren Weg. Wir sind entschieden, diesen Weg gemeinsam zu gehen.“
Esken und Walter-Borjans galten lange als Gegner von Scholz, setzten sich im vergangenen Jahr bei der Wahl des Parteivorsitzenden auch gegen ihn durch. Seitdem habe es einen „engen Schulterschluss“ und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Parteispitze, Fraktionsführung und den sozialdemokratischen Ministern gegeben, erklärten die Parteichefs.
In dieser engen Zusammenarbeit haben wir Olaf Scholz als einen verlässlichen und am Team orientierten Partner erlebt, der für sozialdemokratische Politik für dieses Land kämpfen kann und will und der mit uns die Vision einer gerechten Gesellschaft teilt“, heißt es von Esken und Walter-Borjans.
Olaf Scholz bekräftigte, dass die SPD die Zusammenarbeit mit der Union zur Bewältigung der Corona-Krise zunächst verantwortungsvoll fortsetzt. „Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun. Der Wahlkampf beginnt nicht heute“, sagte der Finanzminister.
Der Vizekanzler machte deutlich, dass er für die Zeit nach der Wahl keine Fortsetzung der großen Koalition wolle, sondern eine Koalition unter Führung seiner Partei das Ziel sei. Die große Koalition sei kein „Normalmodell“. Es könne der Eindruck entstehen, das Lösungen im Hinterzimmer ausgehandelt würden.
Scholz mit guten Umfragewerten
Scholz ist bei der Bevölkerung Umfragen zufolge der beliebteste SPD-Politiker und hatte sich in der Corona-Krise mit beherztem Handeln und dem Schnüren milliardenschwerer Hilfspakete profiliert.
In der SPD selbst ist er allerdings umstritten – vor allem beim linken Flügel. Deren Vertreterin, die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, sagte der Augsburger Allgemeinen: „Das Rezept der vergangenen Jahre, im Milieu der konservativen und liberalen Wähler zu fischen, wird auch dieses Mal nicht aufgehen.“
Zuletzt hatten sich vor allem Mitglieder der Bundestagsfraktion und andere SPD-Minister für ihn als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte nach dem Vorstandsbeschluss: „Olaf Scholz hat mit seinen großen politischen Erfahrungen in Regierung und Parlament sowie als Länderregierungschef bewiesen, dass er unser Land auch in schwierigen Zeiten führen kann.“
Mit großer Konzentration und Reformwillen setze er laut Mützenich die richtigen Schwerpunkte, damit Deutschland sozial gerecht und wirtschaftlich stark bleibe. „Er ist deshalb unser Kanzlerkandidat.“ Die Fraktion werde ihn mit aller Kraft und Überzeugung unterstützen. „Darauf ist Verlass.“
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von einem engen Team aus Partei, Fraktion, Regierung und Kandidat und betonte: „Wir sind bereit und ich hab richtig Bock auf Wahlkampf.“ Die Parteichefs erklärten aber zugleich, die SPD werde sich angesichts der Corona-Pandemie weiter auf das Wichtige konzentrieren und noch nicht in den Wahlkampf starten. Man wolle kein „Schaulaufen von Eitelkeiten“ in dieser Situation.
Scholz benennt drei zentrale Punkte
Nach 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 lag die SPD zuletzt bei Umfragen zumeist bei um die 15 Prozent, die Hoffnung auf Olaf Scholz und dessen „Kanzler-Wumms“ müssten die Partei zunächst einmal an den Grünen vorbeiführen, um bei einer entsprechenden Mehrheit an der CDU/CSU vorbei dann als stärkste Fraktion auch den Kanzler vorschlagen zu können. Den „Wumms“ hatte Olaf Scholz bei der Vorstellung des Corona-Konjunkturpakets verwendet.
Die SPD-Parteichefs lobten Scholz als Krisenmanager der Bundesregierung in der Corona-Krise. „Olaf Scholz genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, aber auch in der Partei“, sagte Walter-Borjans. Olaf Scholz könne und wolle für eine sozialdemokratische Politik kämpfen, sagte Esken, die den Begriff „Kanzler-Wumms“ eingeführt hatte.
In einem Brief an die Parteimitglieder, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, schrieben sie: „Deutschland braucht einen Kanzler, der entschlossen ist und erfahren. Mutig auch in Krisen, sie kraftvoll überwinden kann. Mit Respekt vor jeder und jedem Einzelnen. Und mit einem klaren Bild von einer guten und gerechten Zukunft für alle.“ Scholz verkörpere all das.
Scholz selbst nannte drei Punkte, die er als wesentliche Aufgaben der künftigen Regierung bezeichnete. „Erstens geht es um Respekt“, sagte er mit Blick auf die Rolle von Arbeitnehmern. Heldinnen und Helden der Corona-Krise befürchteten, dass ihre Rolle bald wieder vergessen sei. „Respekt und Anerkennung drückt sich auch in ordentlichem Gehalt aus“, sagte Scholz. Und: „Wir sind nicht bei den Leuten, die sich für etwas Besseres halten.“
Zudem gehe es im kommenden Jahrzehnt darum, die Zukunft für dieses Jahrhundert zu entwickeln. Es müsse mehr Tempo beim Kampf gegen den Klimawandel geben. Scholz forderte einen technologischen Aufbruch mit erneuerbaren Energien und einer Wasserstoffwirtschaft. Dritte große Aufgabe sei es, Europa nach der Corona-Krise weiter zu entwickeln. „Europa, das ist die Zukunft für unser Land“, sagte Scholz.
Rot-Rot-Grün als Option?
SPD und Linke haben sich bereits offen für ein rot-rot-grünes oder auch grün-rot-rotes Bündnis gezeigt, die Grünen äußern sich dazu derzeit aber nicht – und halten sich somit auch die Option Schwarz-Grün offen. SPD, Linke und Grüne hätten nach aktuellen Umfragen bei einer Bundestagswahl keine Mehrheit, Union und Grüne dagegen sehr wohl. Die SPD hofft, mit Hilfe des „Kanzler-Wumms“ von Olaf Scholz über die 20 Prozent zu kommen.
Man werde sich auf keinen Fall durch einen „nicht ganz glücklichen Zeitpunkt“, den andere setzten, unter Zugzwang setzen lassen, sagte Grünen-Parteichef Robert Habeck in Berlin. Auch die Debatte über eine Koalition von SPD, Linken und Grünen nach der Bundestagswahl will die Grünen-Spitze nicht vorantreiben.
Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger zeigte sich mit Blick auf die Kanzlerkandidatur von Scholz vorerst zurückhaltend. „Der Name selbst ist jetzt nicht so überraschend“, sagte Riexinger am Montag in Berlin. Die Linke mache die Frage von zukünftigen Koalitionen nicht von den Personen abhängig, die andere Parteien nominierten.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch betonte, Ziel müsse eine Mehrheit jenseits der Union sein – mit entsprechendem Programm „gern auch mit Olaf Scholz“. Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte betonte, Scholz müsse klar sein, dass es bei einer Zusammenarbeit auf die Inhalte ankomme. „Ein Politikwechsel ist dringend notwendig. Es ist bedauerlich, dass die Grünen bei dieser Diskussion bremsen.“
Vorsichtige Reaktionen der anderen Parteien:
Andere Parteien äußerten sich zunächst vorsichtig zu der Personalie. „Die SPD macht es spannend. Gestern Koalitionsangebot an die Linke und grünes Licht für Kanzler Habeck – heute wird mit Olaf Scholz ein Kanzlerkandidat aus dem eher rechten Spektrum der Partei benannt“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner am Montag auf Twitter. „Respektabel ist er, aber die Strategie erscheint noch rätselhaft“.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki erklärte, die Personalie werde der Sozialdemokratie „auf Dauer eher schaden. Denn die Führung der SPD muss erklären, warum Scholz von den Menschen im Land gewählt werden soll, wenn er es selbst nicht einmal schafft, von den eigenen Genossen zum Vorsitzenden gewählt zu werden“, sagte Kubicki der Deutschen-Presse-Agentur.
Der Bewerber um den CDU-Vorsitz und frühere Unionsfraktionschef, Friedrich Merz, sagte Scholz ein Scheitern vorher. „Olaf Scholz wird es so ergehen wie Peer Steinbrück 2013: Der Kandidat passt nicht zur Partei“, sagte Merz der Rheinischen Post.
Ähnlich äußerte sich sein Mitbewerber, der Außenpolitiker Norbert Röttgen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schrieb dem Vernehmen nach an Funktionsträger der Partei, die Nominierung „nehmen wir mal gelassen zur Kenntnis“.
Aus Sicht von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die SPD ihren Kanzlerkandidaten zu früh bekannt gegeben. Der CSU-Chef warnte davor, angesichts der schwelenden Corona-Pandemie zu früh in den Bundestagswahlkampf zu starten.
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