Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Verstöße gegen Corona-Auflagen bei Kundgebungen in Berlin kritisiert und mit einer Warnung an den Gemeinschaftssinn appelliert. „Die Verantwortungslosigkeit einiger Weniger ist ein Risiko für uns alle“, sagte Steinmeier am Montag in einer Videobotschaft und rief auf „Bleiben wir vorsichtig“.
„In diesem Sommer können wir wieder reisen, noch eingeschränkt, nicht alle Reiseziele waren erreichbar, aber immerhin. Wir können Ausflüge ins Grüne machen, Restaurants und Cafés sind wieder geöffnet. Noch im März oder April hätte das kaum jemand für möglich gehalten“, so der Bundespräsident.
Steinmeier betonte: „Wir alle zusammen haben es möglich gemacht, und wir machen es Tag für Tag möglich – indem wir Abstand halten; indem wir die Hygieneregeln beachten, Mund- und Nasenschutz dort tragen, wo es empfohlen wird; auch, indem wir auf diejenigen achtgeben, die besonders gefährdet sind. ortung, einen zweiten Lockdown zu verhindern.“
Der Bundespräsident fügte mit Blick auf den bisherigen Verlauf an: „Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem sich so viele Menschen von Vernunft, Verantwortungsgefühl und Solidarität leiten lassen.“ Der Zwischenerfolg dürfe aber nicht leichtsinnig machen. „Die Sommerlaune tut uns allen gut. Doch sie darf nicht dazu führen, dass wir nachlässig werden im Kampf gegen die Pandemie“, so die Corona-Warnung von Steinmeier.
„Wenn wir jetzt nicht besonders vorsichtig sind, dann gefährden wir die Gesundheit vieler. Und wir gefährden darüber hinaus die Erholung unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft, unseres Kulturlebens. Jede und jeder von uns steht jetzt in der Verantwortung, einen zweiten Lockdown zu verhindern. Denn es ist doch ganz klar: Eine weitere Phase des Stillstands würde uns alle noch viel härter treffen“, führte der Bundespräsident aus.
„Der Weg zur Normalität, die wir uns doch alle wünschen, geht nicht über Leichtsinn, Sorglosigkeit und Ignoranz. Normalität, ein Leben ohne Maske und Abstand, werden wir nur erreichen, wenn wir die Zeit bis zur Verfügbarkeit wirksamer Medikamente überbrücken mit Disziplin und Vernunft“, so Steinmeier in seiner Corona-Warnung.
Polizei löst Demonstration auf
Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, sprach mit Blick auf die Missachtung von Hygieneregeln wie dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz und Abstandhalten von inakzeptablen Bildern.
„Das Verhalten von vielen Demonstrierenden ist in keinster Weise gerechtfertigt und nutzt das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit aus.“ Demonstrierende hätten „Gesundheit und Leben“ anderer riskiert. Friedliche Kundgebungen seien aber wichtig. „Kritik muss in der Demokratie immer möglich sein.“
Aus Protest gegen die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren am Samstag in Berlin Tausende für ein Ende der Auflagen zur Eindämmung der Pandemie auf die Straße gegangen. An einem Demonstrationszug beteiligten sich nach Schätzungen der Polizei bis zu 17.000 Menschen. Etwa 20.000 waren es danach bei einer Kundgebung. Weil viele Demonstranten weder Abstandsregeln einhielten noch Masken trugen, löste die Polizei die Kundgebung auf.
Zu den Protesten unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ hatte die Initiative „Querdenken 711“ aufgerufen.Auch die von Rechtsextremen häufig verwendete schwarz-weiß-rote Reichsflagge war zu sehen. Daneben wehten Deutschland- und Friedensfahnen mit Taube oder Regenbogen über den Köpfen der Teilnehmer. Von deren Seite wurden „Wir sind das Volk“, „Reiht euch ein“, „Wir kämpfen für eure Freiheit“ oder „Widerstand“ skandiert.
Sicherheitsbehörden und Kritiker befürchten seit Längerem eine Vereinnahmung der Proteste durch Rechtsextremisten. Manche Wortführer propagieren Verschwörungstheorien. Immer wieder kam es bei ähnlichen Demonstrationen auch zu antisemitischen Vorfällen.
Berliner Verwaltung lobt Polizei
SPD-Chefin Saskia Esken krititisierte die Demonstranten, stellte aber auch die Strategie der Berliner Polizei infrage. „Die Demonstration hätte schon früher aufgelöst werden können“, sagte sie der ARD-Tagesschau.
Die Berliner Innenverwaltung verwahrte sich gegen Kritik. „Die Polizei Berlin hat am Wochenende professionell und angemessen agiert. Sie hat nicht zu spät eingegriffen“, sagte Sprecher Martin Pallgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Polizei habe von Anfang an bei den Versammlungsleitungen auf die Auflagen hingewiesen und sowohl den Aufzug als auch die Kundgebung beendet.
Wenn eine Ansammlung von 20.000 Menschen, die sich teilweise verbal aggressiv und ablehnend verhielten, ohne Polizeigewalt aufgelöst werden solle, dauere das etwas länger, so der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Auch hier ist der Polizei kein Vorwurf zu machen.“ Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut. „Per se im Vorfeld Demonstrationen zu verbieten, ist nicht möglich, wenn es keine Hinweise auf strafbare Aktionen gibt, die von der Versammlung ausgehen könnten.“
Auch Vertreter von Polizeigewerkschaften verteidigten das Vorgehen. „Da haben die Berliner Kollegen eine gute Arbeit geleistet, da sie zunächst das Recht auf Versammlungsfreiheit durchgesetzt haben, denn die Polizei will sich hinterher auch nicht von einem Gericht vorwerfen lassen, dass man zu früh eingeschritten ist“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek.
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, äußerte sich ähnlich: „Die Polizei darf auch bei festgestellten Rechtsverstößen eine Versammlung nicht sofort abbrechen, sondern muss dem Veranstalter immer ausreichend Gelegenheit geben, auf die Teilnehmenden einzuwirken“, erklärte er.
Journalisten in ihrer Arbeit beeinträchtigt
Der Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union bei Verdi Berlin-Brandenburg, Jörg Reichel, beklagte hingegen, die Zahl der Beamten habe in keinem Verhältnis zur Zahl der Demonstranten gestanden.
Er erklärte: „Die Pressefreiheit bei der gesamten Kundgebung war ausgesetzt.“ Die Veranstalter und Demonstranten hätten der Polizei „auf der Nase herumgetanzt“. Trotz mehrfacher Aufforderungen der Polizei-Einsatzleitung hätten die Veranstalter der Presse keinen freien Zugang in den Pressebereich der Kundgebung ermöglicht.
Zudem sei ein Pressefotograf von einem Sicherheitsmitarbeiter angegriffen und beleidigt worden. Weiter hieß es von Verdi, im hinteren Bereich der Kundgebung seien Pressefotografen und zwei Fernsehteams während der Arbeit von Demonstranten „permanent beleidigt und bedroht“ worden.
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Video-Ansprache Frank-Walter Steinmeier:
➡️ Transkript und Video der Ansprache auf der Seite des Bundespräsidenten