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Droht Streik? Corona belastet Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst

«Danke» hören Beschäftigte etwa in der Pflege vielfach für ihren Einsatz in der Corona-Krise. Jetzt geht es um ihren Lohn. Doch da steuern Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Tarifrunde für den öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen auf heftigen Streit zu. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa
«Danke» hören Beschäftigte etwa in der Pflege vielfach für ihren Einsatz in der Corona-Krise. Jetzt geht es um ihren Lohn. Doch da steuern Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Tarifrunde für den öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen auf heftigen Streit zu. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Still stehende Busse und Bahnen, gestörter Flugverkehr – 2018 bekamen Millionen Bürger die Ausandersetzungen im öffentlichen Dienst zu spüren: Bei den neuen Tarifverhandlung droht aufgrund der Corona-Auswirkungen eine ungemütliche Runde.

Es geht bei der bevorstehenden Tarifverhandlung um das Geld von 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst: Die Vorzeichen sind aufgrund der Corona-Pandemie dabei alles andere als günstig, wenn die Arbeitgeber von Bund und Kommunen und die Gewerkschaften an diesem Dienstag in Potsdam aufeinandertreffen.

Kommt es zu Streiks oder einer Schlichtung? Auf jeden Fall droht eine ungemütliche Tarifauseinandersetzung. Fragen und Antworten:

Für wen wird verhandelt?

Unter anderem für Kita-Erzieherinnen, Müllwerker, Busfahrer oder Flughafen-Mitarbeiter. 2,3 Millionen Tarifbeschäftigte sind direkt betroffen. Auf mehr als 200 000 Beamte soll das Ergebnis übertragen werden, so die Gewerkschaften. Gegenüber stehen sich Verdi und der Beamtenbund dbb sowie die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der Bund.

Was fordern die Gewerkschaften?

4,8 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Kleine Einkommen sollen um mindestens 150 Euro steigen. Steigen sollen auch Ausbildungs- und Praktikantenentgelte – um 100 Euro monatlich. Gefordert wird die Senkung der Arbeitszeit im Osten um eine Stunde auf 39 Stunden wie im Westen. Für das Gesundheitswesen und die Pflege sollen besondere Verbesserungen erreicht werden.

Was sagen die Arbeitgeber?

„Völlig überzogen“ – so bewertet die VKA die Forderungen für die Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie – beispielsweise mit Blick auf rückläufige Steuereinnahmen.

„Dies zeigt, dass die Gewerkschaften den Ernst der Lage offensichtlich nicht erkannt haben – und das in der schlimmsten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik“, sagte der VKA-Präsident und Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD). „Die Kassen sind leer.“ Es gebe nichts zu verteilen. Die Umsetzung der Forderungen würde laut übereinstimmender Angaben rund sechs Milliarden Euro kosten.

Warum dient auch den Gewerkschaften Corona auch als Argument in der Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst?

Viele Beschäftigte erwarten laut Verdi und dbb, dass ihr Einsatz honoriert wird. In der Pandemie Besonderes geleistet hätten etwa Pflegekräfte und Ärzte, Kita-Erzieherinnen oder auch Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, bei denen massenhaft Überstunden zur Bearbeitung von Kurzarbeitergeld-Anträge anfielen.

Verdi-Chef Frank Werneke: „Auch wir sind einer Erwartungshaltung ausgesetzt.“ dbb-Chef Ulrich Silberbach räumt ein, dass die Gewerbesteuereinnahmen eingebrochen seien. Doch: „Für die Einnahmeausfälle durch den Corona-Lockdown gibt es umfangreiche Ausgleichszahlungen des Bundes.“

Was ist dieses Mal mit Streiks?

Warnstreiks mit öffentlich sichtbaren Protesten als Druckmittel werden wegen der Abstands- und Hygieneregeln erschwert. Auf Großkundgebungen unter Pandemiebedingungen will Werneke verzichten.

Aber auch mit 1,5 Meter Abstand könne protestiert werden. Und Arbeitsniederlegungen könne es ohnehin geben, denn: „Das Wesen des Streiks ist, dass man nicht arbeitet. Dass kann in verschiedenen Formationen stattfinden.“

Werneke: „Wir wollen keine Eskalation, das setzt aber voraus, dass die Arbeitgeber zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein konstruktives Angebot vorlegen.“

Unter welchen atmosphärischen Vorzeichen starten die Verhandlungen?

Unter ungünstigen. Vorbereitungen fanden meist per Videoschalte statt. Die Bundestarifkommission von Verdi tagte halb in Anwesenheit der Mitglieder, andere waren zugeschaltet.

Die Gewerkschaften baten die Arbeitgeber nach eigenen Angaben um Verschiebung der Verhandlungen. Der Bund wäre dazu bereit gewesen, sagt Werneke, die VKA nicht. „Es wäre ein Zeichen der Fairness gewesen, dem Wunsch der Verschiebung nachzukommen.“

2018 saßen sich zudem noch zwei alte Bekannte gegenüber, die langjährigen und über die Zeit befreundeten Chefs von Verdi und VKA, Frank Bsirske und Thomas Böhle. Damals war Innenminister Horst Seehofer (CSU) als Spitzenvertreter des Bundes dagegen Tarifneuling. Werneke und Mädge stehen nun erstmals vorne.

Liegt ein besonderes Augenmerk auf Krisenbranchen?

Ja – im Fall des Flughafenpersonals. Hier ist laut Verdi-Vize Christine Behle ein Sanierungs- oder Notlagentarifvertrag geplant. 80 Prozent der Betroffenen seien in Kurzarbeit – ohne Tariflösung drohten Kündigungen in großem Umfang. Behle: „Wir wissen nicht, ob sich der Luftverkehr überhaupt wieder auf dem alten Stand konsolidiert.“

Gibt es auch etwas, was die Tarifrunde erleichtert?

Ja. Anders als in früheren Runden liegt diesmal außer das Einkommen vergleichsweise wenig auf dem Tisch, bei dem sich die Verhandler verhaken können. An der Einstufung der schier unzähligen Berufe und Erfahrungsstufen in die einzelnen Gehaltsgruppen soll sich nur wenig ändern.

Trotzdem: Die Interessen sind enorm unterschiedlich. Dass beide Seiten nach dem für 22. und 23. Oktober angesetzten dritten Verhandlungstermin ein Scheitern eingestehen müssen und unabhängige Schlichter brauchen, gilt als recht wahrscheinlich.

© dpa-infocom, dpa:200901-99-382891/2

News vom 30. Juli 2020:

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