Berlin (dpa) – In der Energiekrise sollen Steinkohlekraftwerke, die aus der Reserve zurückgeholt werden, länger am Netz bleiben dürfen. Darauf verständigte sich die Bundesregierung. Zum 1. Oktober können außerdem Braunkohlekraftwerke in den Strommarkt zurückkehren.
Ziel ist eine weitere Stärkung der Vorsorge für den kommenden Winter, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte. Mit mehr Kohlekraftwerken in der Stromerzeugung soll die Stromerzeugung aus Gas verringert und so Gas eingespart werden.
Neue Frist bis Ende März 2024
Bisher können Steinkohlekraftwerke, die aus der sogenannten Netzreserve zurückkommen, bis zum 30. April 2023 befristet am Strommarkt teilnehmen. Bleibt die Alarmstufe Gas bestehen oder wird die Notfallstufe ausgerufen, können die Kraftwerke aus der Netzreserve laut Wirtschaftsministerium nun bis zum 31. März 2024 am Markt bleiben. Damit solle die Rückkehr an den Markt planbarer und damit attraktiver ausgestaltet werden.
Bislang sind erst zwei Steinkohlekraftwerke aus der Reserve an den Markt zurückgekehrt: Mehrum in Niedersachsen und Heyden in Nordrhein-Westfalen.
Der Energiekonzern Steag will auf der Grundlage des Gesetzes zwei Kraftwerke in Bergkamen (Nordrhein-Westfalen) und in Völklingen (Saarland) weiterlaufen lassen, die Ende Oktober eigentlich stillgelegt werden sollten. Außerdem will das Unternehmen im Saarland spätestens ab November zwei weitere Kraftwerke aus der Netzreserve (Bexbach und Weiher) wieder an den Markt bringen.
Der Energiekonzern Uniper prüft noch, ob er einen Steinkohleblock in Gelsenkirchen Ende Oktober in die Reserve versetzt oder weiterbetreibt. Eine mögliche Rückkehr von drei Uniper-Ölkraftwerken (Irsching 3/Ingolstadt 3 und 4) aus der Reserve ist aktuell nicht geplant. „Die Anlagen sind schon älter“, erklärte ein Firmensprecher.
Auch Braunkohlekraftwerke können befristet zurückkehren
Das Bundeskabinett beschloss außerdem, dass Braunkohlekraftwerke aus der sogenannten Sicherheitsbereitschaft zum 1. Oktober an den Markt zurückkehren können. Betroffen sind laut Ministerium die LEAG-Kraftwerksblöcke Jänschwalde E & F im Lausitzer Revier sowie die RWE-Kraftwerksblöcke Niederaußem E & F und Neurath C im Rheinischen Revier. Sie sollen zunächst befristet bis zum 30. Juni 2023 an den Markt zurückkehren können.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Rückkehr klimaschädlicher Kohlekraftwerke mit Blick auf den Klimaschutz wiederholt als bittere Nachricht bezeichnet. Die Rückkehr sei aber wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf die Gasversorgung unvermeidlich.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist gut, dass wir uns jetzt einig sind, dass die Stromkapazitäten deutlich ausgeweitet werden müssen. Die Laufzeitverlängerung der Kohlekraftwerke bis zum 31. März 2024 gibt den Betreibern Planungssicherheit beim Wiederhochfahren der Anlagen, die in der Reserve sind.“ Die Kohlekraftwerke würden in den nächsten beiden Wintern einen wichtigen Beitrag zur Entspannung auf dem Strommarkt leisten, sagte Dürr. „Alles, was Strom produzieren kann, sollte jetzt ans Netz, denn die Preise müssen runter.“
FDP-Fraktionschef will Laufzeitverlängerung bei AKW
Dürr forderte erneut, „dringend“ den Weg für eine Laufzeitverlängerung der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke freizumachen. „Was für die Kohlekraftwerke gilt, gilt erst recht für die klimaneutralen Kernkraftwerke. Auch die drei Atommeiler sollten bis 2024 am Netz bleiben, denn wir benötigen in den nächsten zwei Wintern jede Kilowattstunde. Ein Streckbetrieb wird keinesfalls ausreichen. Wir brauchen neue Brennstäbe.“
Habeck hatte am Dienstag gesagt, Stand heute gehe sein Ministerium davon aus, dass die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim im ersten Quartal 2023 weiter am Netz sein werden. Er habe sich mit den Betreibern der Atomkraftwerke auf Eckpunkte zur Umsetzung der geplanten Einsatzreserve bis spätestens Mitte April 2023 verständigt.
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