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EU-Forderungen befeuern Atomdebatte weiter

Die Bundesregierung will am Atomausstieg festhalten. Foto: Friso Gentsch/dpa
Die Bundesregierung will am Atomausstieg festhalten. Foto: Friso Gentsch/dpa

Der Dauerstreit um die deutsche Kernenergie zieht immer größere Kreise. Sogar einige EU-Länder fordern nun die Laufzeitverlängerung. Unterdessen gibt es Kritik an der Sicherheitsbewertung für Isar 2.

Brüssel/München/Berlin (dpa) – In die seit Wochen festgefahrene Debatte um eine Verschiebung des Atomausstiegs kommt neue Bewegung. Mehrere EU-Staaten drängen nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur auf eine Nutzung der Kernkraft in Deutschland auch über das bislang gesetzlich festgeschriebene Enddatum 31. Dezember hinaus.

Angesichts der Gaskrise wird zudem gefordert, das Wiederhochfahren der zuletzt vom Netz genommenen Meiler zu prüfen.

Während damit Befürworter längerer Laufzeiten etwa in CDU, CSU und FDP Rückendeckung erhalten, wirft ein neues Rechtsgutachten Zweifel an der Sicherheitsbewertung des Meilers Isar 2 in Bayern auf.

Aus Sicht von Ländern wie Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Frankreich könnte ein Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke erheblich dazu beitragen, Gas zu sparen, da in der Bundesrepublik zuletzt noch immer etwa 15 Prozent des Stroms von Gaskraftwerken erzeugt wurde. Sollte Russland seine Gaslieferungen in die EU komplett einstellen, wären dann mehr Reserven für das Heizen von Haushalten und für die Industrie verfügbar. Hintergrund der Forderungen ist der EU-Notfallplan für die Gaskrise. Er sieht vor, den nationalen Konsum von August bis März um 15 Prozent zu senken.

Warnung vor erneuter Verschiebung des Atomausstiegs

Umweltverbände wie der Bund Naturschutz (BUND) und Greenpeace warnen dagegen vor einer erneuten Verschiebung des Atomausstiegs und verweisen dabei auf nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken. Nachdem sich ein Mitte Juni bekannt gewordenes Gutachten des TÜV Süd im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums keine Bedenken für einen Weiterbetrieb erklärte, wirft nun ein neues Rechtsgutachten dem TÜV Süd Befangenheit vor.

Konkret wirft die Hamburger Kanzlei Michael Günther in ihrer 21-seitigen Stellungnahme, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt wurde, dem TÜV Süd eine „schlampig argumentierende Auftragsarbeit“ vor, die „nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann“. Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht.

Die TÜV-Bewertung sei „offenbar für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt“ gewesen, heißt es weiter. Der TÜV Süd bescheinige, was der Auftraggeber wünsche. „Unabhängig vom Zustand und ohne Überprüfung der AKW steht für den TÜV das Ergebnis bereits fest“, sagte Heinz Smital, Atomphysiker und Greenpeace-Atomexperte. Es bestehe der Verdacht, „dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist“, so die Anwälte.

Das bayerische Umweltministerium wies den Vorwurf umgehend zurück: „Der TÜV Süd ist einer der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten“, sagte ein Sprecher. Das TÜV-Gutachten befasse sich mit zentralen Sicherheitsfragen einer befristeten Laufzeitverlängerung und komme zu einem eindeutigen Ergebnis. Es ist nicht ersichtlich, woher sich eine höhere Expertise einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei in der Kerntechnik ableite.

Mit Blick auf die laufende Debatte um drohende Energieengpässe betonte Smital: „Die AKW sind ein Sicherheitsrisiko und keine Hilfe bei einem möglichen Gasmangel im kommenden Winter.“ Atomkraft sei zu schwerfällig, um Stromspitzen abzufedern. Statt auf mehr Kernkraft zu setzen, müsse es um einen sparsamen Umgang mit Energien gehen.

Längere Laufzeiten: Untersuchungen zu Sinn und möglichen Risiken

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt hatten sich im März 2022 bereits gegen einen Weiterbetrieb der letzten deutschen Meiler ausgesprochen. Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium weitere Untersuchungen zum Sinn und zu möglichen Risiken einer längeren Laufzeit von Atommeilern angekündigt. Die Ergebnisse sollen in den kommenden Wochen vorgelegt werden.

Am Donnerstag hatte auch der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) eine Studie vorgelegt, die einen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken kategorisch ablehnt. Der Nutzen stehe in keinem Verhältnis zu den Risiken und Kosten. So basierten die zuletzt 2009 vorgenommenen Sicherheitsüberprüfungen auf einem Regelwerk aus den frühen 80er-Jahren, in denen die Atom-Unfälle von Tschernobyl und Fukushima noch gar nicht berücksichtigt seien.

In Deutschland sind derzeit noch drei Atomkraftwerke am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Nach geltendem Recht müssen sie spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. In der Bundesregierung sind die Grünen gegen eine weitreichende Laufzeitverlängerung. Als Option wird lediglich gesehen, die noch laufenden Atomkraftwerke mit den noch vorhandenen Brennelementen länger zu betreiben. So könnte das Atomkraftwerk Isar 2 noch bis zum Sommer 2023 laufen.

© dpa-infocom, dpa:220729-99-196392/7

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