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EM-Finale: Krönung für Italien, Elfmeter-Drama für England

Italiens Spieler feiern nach dem Spiel mit dem Pokal die Europameisterschaft. Foto: Christian Charisius/dpa
Italiens Spieler feiern nach dem Spiel mit dem Pokal die Europameisterschaft. Foto: Christian Charisius/dpa

England wollte 55 Jahre ohne Titel beenden, Italien ein begeisterndes Turnier krönen. Die Erwartungen an das Finale dieser außergewöhnlichen Fußball-EM waren gigantisch. Die Entscheidung im Wembley-Stadion fiel im Elfmeterschießen.

Italien hat seine mitreißende Europameisterschaft mit dem Sieg im Finale zweiten EM-Triumph nach 1968 gekrönt und die Hoffnungen von Gastgeber England, der ein weiteres Elfmeter-Drama erlebte, auf den ersten Titel seit 55 Jahren zerstört.

Italiens Kapitän Giorgio Chiellini küsste den silbernen EM-Pokal und lächelte ihn verliebt an. Dann stemmte der Abwehr-Oldie die Trophäe mit weit aufgerissenem Mund in den Londoner Nachthimmel.

Vor der spektakulären Wembley-Atmosphäre von 67.173 Zuschauern setzte sich die Mannschaft von Trainer Roberto Mancini am Sonntag in einem intensiven und hochspannenden Endspiel mit 3:2 im Elfmeterschießen durch. Nach 120 Minuten hatte es 1:1 gestanden. Im Elfmeterschießen vergaben die Engländer Marcus Rashford, der Noch-Dortmunder Jadon Sancho und Bukayo Saka.

„Wir haben gespürt, dass etwas Magisches in der Luft lag. Wir haben es verdient, ganz Italien hat es verdient“, sagte Chiellini. „Wir haben Geschichte geschrieben, genießen wir es.“ Italiens Trainer Roberto Mancini vergoss Freudentränen in den Armen von Delegations-Chef Gianluca Vialli. Elfmeter-Held Gianluigi Donnarumma wurde von seinen Mitspielern zu Boden gedrückt und gefeiert.

Wieder ein englisches Elfmeter-Drama

Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnen Elfmeterschießen mit ihrem Torhüter Gianluigi Donnarumma. Hinten sitzt Englands Keeper Jordan Pickford. Foto: Christian Charisius/dpa
Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnen Elfmeterschießen mit ihrem Torhüter Gianluigi Donnarumma. Hinten sitzt Englands Keeper Jordan Pickford. Foto: Christian Charisius/dpa

Die Azzurri steckten den Schock des frühen Rückstandes durch Luke Shaw (2. Minute) weg und glichen zunächst durch Leonardo Bonucci aus (67.). Italien blieb damit auch im 34. Spiel in Serie ungeschlagen und belohnte sich drei Jahre nach der verpassten WM 2018 für ein starkes Turnier.

Während Italien in London tanzte und lachte, waren die Three Lions nach dem nächsten Elfmeter-K.o. untröstlich. „Es ist das schlimmste Gefühl, wenn man verliert. Es war ein fantastisches Turnier von uns. Wir müssen den Kopf oben behalten. Aber natürlich tut es weh, es tut sehr weh“, sagte Englands Kapitän Harry Kane bei der BBC.

Der Noch-Dortmunder Jadon Sancho weinte nach seinem verschossenen Elfmeter in den Armen von Trainer Gareth Southgate, auf der Bühne drückte Prinz William seinen traurigen Sohn George. Nach dem nächsten Titel-Trauma müssen die Engländer 55 Jahre nach ihrem einzigen großen Erfolg bei der WM 1966 weiter auf die Erlösung warten.

Donnarumma wurde nach seinen Glanztaten zum Spieler des Turniers gekürt. Rashford scheiterte am Pfosten, Sancho und Saka am künftigen Schlussmann von Paris Saint-Germain. „Wir sind unglaublich enttäuscht. Die Spieler haben alles gegeben, was sie hatten“, sagte Southgate. „Aber im Moment tut es einfach sehr weh.“

England findet keine Erlösung

Englands Luke Shaw (r) erzielt das Tor zum 1:0 gegen Italien per Dropkick. Foto: Andy Rain/POOL EPA/dpa
Englands Luke Shaw (r) erzielt das Tor zum 1:0 gegen Italien per Dropkick. Foto: Andy Rain/POOL EPA/dpa

Auch die frühe Führung und eine starke Leistung reichten dem Team von Trainer Gareth Southgate nicht zur Erlösung.

Auch die frühe Führung und eine lange Zeit sehr starke Leistung reichten dem Team von Trainer Gareth Southgate nicht zur Erlösung. Für den Coach war es nach der erfolglosen Heim-EM 1996 zugleich der nächste persönliche Wembley-Rückschlag:

Vor 25 Jahren hatte Southgate im alten Londoner Stadion im EM-Halbfinale als Einziger seinen Elfmeter gegen Deutschland verschossen und den Titel-Traum der Engländer beendet. Diesmal vergaben die beiden von ihm erst in der 120. Minute direkt vor dem Elfmeterschießen eingewechselten Schützen Rashford und Sancho.

Wie emotional aufgeladen die Stimmung war, demonstrierten schon die Szenen Stunden vor dem ersten Pfiff des niederländischen Schiedsrichters Björn Kuipers. Die meisten Fans feierten friedlich, aber nicht wenige benahmen sich auch daneben und versuchten, ohne Tickets in das Stadion zu gelangen.

In der Innenstadt herrschte teilweise Ausnahmezustand, es kam auch zu Schlägereien und Gewalt. Die Lage im Stadion schien aber weitgehend unter Kontrolle, pünktlich um 21.00 Uhr begann der finale Akt der EM. Dass kurz vor Ende der regulären Spielzeit ein Flitzer auf den Platz gelangte, geht nur als Fußnote in die Geschichte dieses denkwürdigen Fußball-Abends ein.

Frühe Führung für England

Southgate begann wie erwartet ohne BVB-Profi Jadon Sancho und etwas überraschend mit einer Dreierkette – wie bis dato nur beim 2:0-Erfolg im Achtelfinale gegen Deutschland.

Und seine Elf begann furios. Keine zwei Minuten waren gespielt, ein kleiner nervöser Wackler von Harry Maguire vergessen, als Shaw den bislang besten Konter der Three Lions im ganzen Turnier veredelte. Über Kapitän Harry Kane landete der Ball beim einen Außenverteidiger Kieran Trippier, dessen Flanke der andere Außenverteidiger Shaw per sehenswertem Dropkick verwertete.

Italiens Giorgio Chiellini (r) kämpft mit Englands Harry Kane um den Ballbesitz. Foto: Carl Recine/Pool Reuters/AP/dpa
Italiens Giorgio Chiellini (r) kämpft mit Englands Harry Kane um den Ballbesitz. Foto: Carl Recine/Pool Reuters/AP/dpa

Gareth Southgate ballte kurz die Finger zur Faust und klatschte anerkennend, vergrub dann aber wieder sofort beide Hände mit stoischem Gesichtsausdruck in den Hosentaschen.

Sein Kollege Mancini, der der gleichen Startelf wie beim 4:2-Sieg im Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Spanien vertraute, versuchte mit Lorenzo Insigne zu diskutieren. Doch der Angreifer signalisierte, dass er gar nichts hören könne. Überhaupt schienen die Italiener anfangs beeindruckt und eingeschüchtert von der imposanten Kulisse im Fußball-Tempel.

Vor allem Southgates Systemumstellung erwies sich zunächst als genialer Kniff. Die Vorstöße von Shaw und Trippier über außen bekamen die Azzurri nicht unterbunden, weil deren Offensivkräfte Insigne und Federico Chiesa meistens vorne blieben. Allzu viel gelang ihnen dort nicht – bis zur 35. Minute. Chiesa probierte es aus der Distanz, sein Schuss auf dem regennassen Rasen ging aber knapp am Pfosten vorbei.

Am früheren Dortmunder Ciro Immobile hingegen lief das Geschehen bis zu seiner Auswechslung in der 55. Minute weitgehend vorbei. Marco Verrattis Schuss in der Nachspielzeit der ersten Hälfte stellte Englands Torwart Jordan Pickford vor keinerlei Probleme.

Italien tat sich zunächst schwer

Leonardo Bonucci (M/19) erzielt mit einem Nachschuss das 1:1 für Italien gegen England. Foto: Christian Charisius/dpa
Leonardo Bonucci (M/19) erzielt mit einem Nachschuss das 1:1 für Italien gegen England. Foto: Christian Charisius/dpa

„God save the Queen“ sangen die englischen Fans nach dem Wiederanpfiff. Raheem Sterling suchte einen Elfmeter, der ihm aber – im Gegensatz zum heftig diskutierten Strafstoß im Halbfinale gegen Dänemark – korrekterweise verwehrt blieb (48.).

Die Stimmung auf den Rängen konnte diese Szene nicht trüben. Sie kippte erst nach dem tränenreichen Ende des Elfmeterschießens. Dabei hatte die von Prinz William (39) über Queen Elizabeth (95) bis zu Premierminister Boris Johnson (57) die ganze Insel den Three Lions Glück gewünscht.

„Macht sie blau“, hatte die „Gazzetta dello Sport“ gefordert. Der verletzte Leonardo Spinazzola war auf Krücken nach London gereist und hatte einen von „La Stampa“ veröffentlichten emotionalen Brief an seine Teamkollegen geschrieben.

Viel Pathos und Leidenschaft

Englands Kieran Trippier (r) hat etwas mit dem Italiener Emerson Palmieri zu klären. Foto: Carl Recine/Pool Reuters/AP/dpa
Englands Kieran Trippier (r) hat etwas mit dem Italiener Emerson Palmieri zu klären. Foto: Carl Recine/Pool Reuters/AP/dpa

„Sie sind bereit. Wir freuen uns auf die Herausforderung“, hatte Southgate vor der Partie der BBC gesagt. Und bereit waren seine Spieler auch sofort nach Wiederanpfiff. „God save the Queen“ sangen die völlig euphorisierten Fans.

Raheem Sterling suchte einen Elfmeter, der ihm aber – im Gegensatz zum heftig diskutierten Strafstoß im Halbfinale gegen Dänemark – korrekterweise verwehrt blieb (48.). Die Stimmung auf den Rängen konnte diese Szene nicht trüben. Voller Pathos und Leidenschaft trieben die Fans ihre Elf an, die sich auch über Unterstützung aus Königshaus und Politik freute.

Von Prinz William (39) über Queen Elizabeth (95) bis zu Premierminister Boris Johnson (57) – die ganze Insel wünschte den Three Lions Glück. Der Daily Star Sunday stellte auf seiner Titelseite Kane mit aufgerissenem Mund als römischen Kaiser Cäsar dar. „CAESAR MOMENT“, schrieb das Blatt dazu. Der Sunday Mirror bezog sich ebenfalls auf Top-Stürmer Kane und druckte die Schlagzeile: „WE KANE BE HEROES“.

Der Italiener Giorgio Chiellini (r) und Englands Harry Kane prallen beim Kopfballduell aufeinander. Foto: Christian Charisius/dpa
Der Italiener Giorgio Chiellini (r) und Englands Harry Kane prallen beim Kopfballduell aufeinander. Foto: Christian Charisius/dpa

Mit jeder Minute dieses stimmungsvollen Abends rückte die Heldentat näher, ehe sich die Italiener ihr entgegenstemmten. Nach dem Wiederanpfiff stellte Mancini die Offensive um und wurde dafür belohnt. Die Partie blieb temporeich, rasant und voller packender Szenen.

Insignes Freistoß ging drüber (51.), Chiesa scheiterte an Pickford (62.). Dann aber schlug der große Moment von Abwehr-Routinier Bonucci. Verrattis Kopfball parierte Pickford noch reaktionsschnell, ehe der 34-Jährige zum verdienten 1:1 abstaubte.

Er ist damit der älteste Spieler, der je in einem EM-Finale getroffen hat. Im Alter von 34 Jahre und 71 Tagen löste er den früheren deutschen Nationalspieler Bernd Hölzenbein ab, der im EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei im Alter von 30 Jahren und 103 Tagen erfolgreich war – die DFB-Auswahl verlor im Elfmeterschießen. Ins Elfmeterschießen ging es diesmal auch – mit dem Happy Ende für Italien.

Berardi brachte Italien im Elfmeterschießen in Vorlage, doch Kane glich umgehend aus. Nach der Parade von Pickford gegen Belotti brachte Maguire die Gastgeber mit einem Schuss in den Winkel in Vorlage – es sollte aber der letzte Treffer der Engländer bleiben: Während Bonucci und Bernardeschi trafen, scheiterten bei England die beiden in der 120. Minute eingewechselten Rashford und Sancho. Eine Glanztat von Pickford gegen Jorginho hielt England im Rennen – doch dann scheiterte Saka.

© dpa-infocom, dpa:210711-99-345390/3

Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnen Elfmeterschießen mit ihrem Torhüter Gianluigi Donnarumma. Hinten sitzt Englands Keeper Jordan Pickford. Foto: Christian Charisius/dpa
Italiens Spieler jubeln nach dem gewonnen Elfmeterschießen mit ihrem Torhüter Gianluigi Donnarumma. Hinten sitzt Englands Keeper Jordan Pickford. Foto: Christian Charisius/dpa

Zu den Krawallen rund ums Wembley-Stadion bei #ITAENG



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