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„Erklärung von Washington“: Merkel und Biden beschwören Neuanfang

Während US-Präsident Joe Biden im Oval Office redet, schaut die Bundeskanzlerin Angela Merkel skeptisch. Foto: Evan Vucci/AP/dpa
Während US-Präsident Joe Biden im Oval Office redet, schaut die Bundeskanzlerin Angela Merkel skeptisch. Foto: Evan Vucci/AP/dpa

US-Präsident Biden überhäuft die Kanzlerin bei ihrem Abschiedsbesuch mit Anerkennung. Bei aller demonstrativen Harmonie räumt Biden aber ein, dass auch gute Freunde Differenzen haben können.

Nach den deutsch-amerikanischen Verwerfungen in den vergangenen Jahren haben US-Präsident Joe Biden und Kanzlerin Angela Merkel einen Neuanfang in den Beziehungen beschworen.

„Wir sind nicht nur Verbündete und Partner, sondern eng befreundete Nationen“, sagte Merkel am Donnerstag in Washington nach einem ausführlichen Gespräch mit Biden. Der US-Präsident stellte die Zusammenarbeit als alternativlos dar und dankte Merkel für ihre „starke Führungsrolle“ in ihrer bald endenden Amtszeit.

„Ich weiß, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten auf dem Fundament, das Sie mit aufgebaut haben, noch stärker werden wird“, sagte Biden. Er bezeichnete Merkel als „meine liebe Freundin“. Unter Bidens Vorgänger Donald Trump war das deutsch-amerikanische Verhältnis an einem Tiefpunkt angelangt.

Manche Differenzen bleiben

Biden und Merkel machten allerdings deutlich, dass sie bei der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 weiter unterschiedlicher Auffassung sind.

Auch gute Freunde könnten Meinungsverschiedenheiten haben, sagte Biden. Er warnte Russland davor, seine Energievorkommen als „Waffe“ oder Druckmittel gegen seine Nachbarn wie die Ukraine einzusetzen.

Er habe Merkel nochmals seine Bedenken bezüglich Nord Stream 2 ausgedrückt, sagte Biden bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus. Die USA und Deutschland seien sich einig, die Ukraine bei Reformen und im Blick auf deren Souveränität und territoriale Integrität zu unterstützen.

Die fast fertiggestellte Pipeline soll Erdgas von Russland an der Ukraine vorbei direkt nach Deutschland bringen. Merkel betonte, Nord Stream 2 sei ein zusätzliches Projekt und keine Alternative zum Gastransit durch die Ukraine.

„Unser Verständnis war und ist und bleibt, dass die Ukraine Transitland für Erdgas bleibt“, so Angela Merkel. Alles andere würde „sehr große Spannungen hervorrufen“. Sie versicherte, „dass wir aktiv handeln werden, wenn Russland dieses Recht der Ukraine auf Transitland nicht einlösen wird“.

Die Ostsee-Pipeline ist aktuell das größte Konfliktthema zwischen den USA und Deutschland. Die USA und einige osteuropäische Nato-Partner befürchten eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen und lehnen das Projekt deswegen ab. Washington und Berlin bemühen sich seit Wochen um einen Kompromiss. Sie haben sich laut Außenminister Heiko Maas (SPD) bei vielen Punkten angenähert.

Die Europa-Direktorin in Bidens Nationalem Sicherheitsrat, Amanda Sloat, sagte am Freitag, die Gespräche mit Deutschland zu Nord Stream 2 auf Arbeitsebene würden weitergeführt. Dabei gehe es unter anderem darum, Mechanismen für die Unterstützung der Ukraine zu finden. Sloat – die Teil der US-Delegation bei den erweiterten Gesprächen zwischen Biden und Merkel war – nannte den Besuch der Kanzlerin „einen großen Erfolg“.

Nachrichten aus Deutschland überschatten Zusammentreffen

Merkels Besuch wurde von der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands überschattet. Die Kanzlerin sagte den Betroffenen Hilfen zu.

„Wir werden sie in dieser schwierigen, schrecklichen Stunde nicht alleine lassen und werden auch helfen, wenn es um den Wiederaufbau geht“, erklärte Angela Merkel. Hunderttausende hätten erleben müssen, dass Wohnhäuser zu „Todesfallen“ geworden seien. Joe Biden sprach sein Beileid angesichts der vielen Todesopfer bei der Hochwasserkatastrophe aus.

In einer „Erklärung von Washington“ bekräftigten Merkel und Biden ihr Bekenntnis zu „enger bilateraler Zusammenarbeit bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand auf der ganzen Welt“.

In dem Papier heißt es unter anderem: „Das gemeinsame Bekenntnis zu demokratischen Grundsätzen, Werten und Institutionen bildet die Grundlage unserer Beziehungen.“ Die USA und Deutschland verpflichten sich in der Erklärung dazu, „offene Gesellschaften zu verteidigen“.

Angela Merkel absolvierte in Washington ihren Abschiedsbesuch als Kanzlerin. Biden bemüht sich darum, die unter Trump schwer belasteten Beziehungen zu Deutschland und zu anderen Verbündeten der USA wieder zu reparieren.

Merkel war die erste Regierungschefin aus Europa, die Biden seit seiner Amtsübernahme am 20. Januar im Weißen Haus empfing. Die CDU-Politikerin wird bei der Bundestagswahl im September nicht wieder kandidieren und sich danach aus der Politik zurückziehen.

Joe Biden kündigte an, sich voraussichtlich in den kommenden Tagen zu den coronabedingten Einreisebeschränkungen für Menschen aus Deutschland und anderen europäischen Schengen-Staaten zu äußern.

Angela Merkel habe das Thema zu Sprache gebracht. Derzeit werde darüber beraten, wie die Reisebeschränkungen bald aufgehoben werden könnten. Er werde die Frage in den kommenden Tagen beantworten können, so Joe Biden. „Ich warte darauf, von unseren Leuten in unserem Covid-Team zu hören, wann das geschehen soll.“

Vor Merkels Rückreise nach Berlin stand ein Abendessen auf dem Programm, das der US-Präsident und First Lady Jill Biden zu Ehren der Kanzlerin gaben. Daran sollte auch Merkels Ehemann Joachim Sauer teilnehmen. Joe Biden schrieb am Donnerstagabend auf Twitter: „Es war mir eine Ehre, meine liebe Freundin, Bundeskanzlerin Merkel, im Weißen Haus zu begrüßen.“

Biden-Vorgänger Trump hatte Deutschland mehr als Konkurrenten und weniger als Verbündeten gesehen. Der Republikaner hatte immer wieder die deutschen Verteidigungsausgaben, den deutschen Handelsüberschuss und auch Nord Stream 2 scharf kritisiert.

© dpa-infocom, dpa:210716-99-401806/8

Übersicht Differenzen:

Die Vergangenheit scheint begraben: Weder Angela Merkel noch Joe Biden nehmen den Namen von Ex-Präsident Donald Trump in den Mund.

Die nun zur Schau gestellte Einigkeit soll dennoch das Signal aussenden, dass die schweren Störungen im bilateralen Verhältnis während Trumps Amtszeit jetzt der Vergangenheit angehören.

Allerdings sagt Joe Biden auch: „Gute Freunde können unterschiedlicher Meinung sein.“ Dass das im bilateralen Verhältnis durchaus noch der Fall ist, zeigt sich auch bei der Pressekonferenz:

Nord Stream 2

Die fast fertiggestellte Pipeline soll russisches Erdgas an der Ukraine vorbei nach Deutschland bringen, sie ist der größte Streitpunkt zwischen Berlin und Washington. Hoffnungen auf einen Durchbruch bei Merkels Besuch haben sich nicht erfüllt.

„Hier haben wir unterschiedliche Einschätzungen, was dieses Projekt mit sich bringt“, sagt Angela Merkel. Sie betont, der Gastransit durch die Ukraine müsse trotz Nord Stream 2 erhalten bleiben.

Joe Biden sagt, er habe erneut seine Sorge zum Ausdruck gebracht. Er fügt aber auch hinzu: „Kanzlerin Merkel und ich sind uns absolut einig in unserer Überzeugung, dass es Russland nicht erlaubt sein darf, Energie als Waffe zu nutzen, um seine Nachbarn zu nötigen oder zu bedrohen.“

Reisebeschränkungen

Die EU hat coronabedingte Einreisebeschränkungen für Menschen aus den USA gelockert.

Die Biden-Regierung hat den Schritt für Reisende aus dem Schengen-Raum nicht erwidert, was in Europa für wachsenden Unmut sorgt. Angela Merkel hat das Thema beim Treffen im Oval Office angesprochen.

Joe Biden kündigt nun zumindest an, sich in den nächsten Tagen konkret dazu zu äußern. Derzeit werde darüber beraten, wie die Reisebeschränkungen bald aufgehoben werden könnten, sagt er. „Ich warte darauf, von unseren Leuten in unserem Covid-Team zu hören, wann das geschehen soll.“

Impfkampagne

Auch die Bewältigung der Corona-Pandemie ist Thema bei den Gesprächen. „Wir sind uns einig, dass die Pandemie nur bekämpft werden kann, wenn jeder Mensch geimpft ist“, sagt die Kanzlerin. Sie verweist darauf, dass sowohl Deutschland als auch die USA das UN-Impfprogramm Covax unterstützen.

Weder Angela Merkel noch Joe Biden thematisieren bei der Pressekonferenz ihre gegensätzliche Haltung zur Forderung, den Patentschutz von Impfstoffen vorübergehend aufzuheben. Merkel ist dagegen, Biden hat sich dafür ausgesprochen.

Klimawandel

Die Flutkatastrophe in Deutschland, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden haben dem Thema bei Merkels Besuch eine besondere Dringlichkeit gegeben.

Die Kanzlerin sagt, sie sei „sehr, sehr froh“, dass Biden die USA in das Pariser Klimaschutzabkommen zurückgeführt hat – nach dem von Trump verfügten Rückzug.

Deutschland und die USA beschließen bei der Visite der Kanzlerin eine Energie- und Klimapartnerschaft, bei der es etwa um den Ausbau zukunftsfähiger Technologien wie Wasserstoff oder erneuerbare Energien gehen soll. Merkel sagt: „Das ist ein wichtiges Zeichen.“

Afghanistan

Der internationale Militäreinsatz steht vor dem Ende, weil Joe Biden den Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan bis Ende August beschlossen hat.

„Unsere Soldaten haben dort über viele Jahre gemeinsam gedient“, sagt Angela Merkel. „Sie haben terroristische Gefahren gebannt. Aber es ist uns auch nicht ausreichend gelungen natürlich, eine Nation zu bauen, so wie wir uns eine Nation vorstellen.“

Joe Biden sieht sich wegen des Vormarschs der Taliban inzwischen mit Vergleichen aus dem Vietnam-Krieg konfrontiert. Er hat in der vergangenen Woche behauptet, die USA seien nicht nach Afghanistan gegangen, um dort ein Staatswesen aufzubauen. In Wahrheit war das über Jahre hinweg ein erklärtes Ziel des internationalen Engagements.

China

Joe Biden wirbt bei den Verbündeten seit seiner Amtsübernahme für einen möglichst harten Kurs gegenüber China, Angela Merkel will eine Konfrontation vermeiden.

Die Kanzlerin spricht sich nun im Weißen Haus für eine verstärkte Koordination zwischen den USA und Europa im Umgang mit China aus. „Wir sind Länder, die für demokratische, freie Gesellschaften eintreten“, sagt Merkel. „Und das zieht natürlich auch nach sich, dass wir dort, wo Menschenrechte nicht garantiert sind, unser Nicht-Einverständnis deutlich machen.“

„Erklärung von Washington“

Angela Merkel und Joe Biden unterzeichnen eine „Erklärung von Washington“, in der sie „ihr Bekenntnis zu enger bilateraler Zusammenarbeit bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand auf der ganzen Welt“ bekräftigen.

Sie verpflichten sich darin unter anderem, „offene Gesellschaften zu verteidigen“. Beide Seiten rufen zudem ein deutsch-amerikanisches Zukunftsforum und einen Wirtschaftsdialog zwischen den USA und Deutschland ins Leben.

weiterführende Informationen:
➡️ Bundesregierung zur Erklärung von Washington
➡️ Mitteilung der Bundesregierung zum USA-Besuch
➡️ weitere News aus der Themenwelt USA



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