Politik

Angela Merkel spricht mit Kommunalpolitikern über Corona-Pandemie

Kanzlerin Angela Merkel sucht das Gespräch über die Corona-Pandemie mit Kommunalpolitikern in Bayern. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Kanzlerin Angela Merkel sucht das Gespräch über die Corona-Pandemie mit Kommunalpolitikern in Bayern. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Frühjahr naht, die Rufe nach einem Ende der Lockdown-Starre werden lauter. Die Fixierung auf Inzidenzwerte gerät zunehmend in die Kritik. Die Kanzlerin sucht den Kontakt zu Kommunalpolitikern.

In der Debatte um Lockerungen von Corona-Beschränkungen sucht Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kontakt zu Kommunalpolitikern.

Merkel will heute an einer Videokonferenz mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern teilnehmen. Aus der Wirtschaft wächst der Druck, das öffentliche Leben wieder hochzufahren.

In Berlin wollen sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, und Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) zur Pandemie-Lage äußern. Holetschek ist auch Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz.

Bei dem Treffen mit Merkel wollen die bayerischen Kommunalpolitiker nach Worten Söders aus erster Hand erfahren, wie die Kanzlerin die aktuelle Lage einschätzt, wie sie die Gefahr durch die Virusmutationen sieht und wie die weitere Entwicklung im Kampf gegen Corona aussehen könnte. Zum anderen soll es aber auch um ganz konkrete Bedürfnisse der Kommunen gehen.

Vor der Videoschalte hatten mehrere Landräte und Oberbürgermeister Kurskorrekturen in der Anti-Corona-Politik gefordert – unter anderem klarere Öffnungsperspektiven und eine Orientierung nicht mehr nur an Sieben-Tage-Inzidenzwerten. Vor allem Kommunen mit konstant niedrigen Corona-Infektionszahlen wollen raschere Lockdown-Lockerungen insbesondere für den Einzelhandel.

Verbände fordern mehr Kriterien

Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte erste Öffnungsschritte für den Einzelhandel auch bei Inzidenzwerten über 35 und 50. Die Branche habe gezeigt, dass sie kein Treiber der Pandemie sei. Deshalb gebe es „keinen sachlichen Grund, die Geschäfte weiterhin ohne verlässliche Öffnungsperspektive geschlossen zu halten“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Auch der Geschäftsführer des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV), Jens Michow, sagte dem RND: „Es reicht nicht aus, nur auf die Inzidenzwerte zu schauen.“ Es müssten weitere Kriterien wie die Art der Veranstaltung und Gegebenheiten der jeweiligen Spielstätte berücksichtigt werden.

Industriepräsident Siegfried Russwurm forderte die Politik ebenfalls auf, Maßnahmen nicht nur am Inzidenzwert festzumachen. „Ich glaube nicht, dass diese Pandemie so eine einfache Regel – auf eine Zahl projiziert – zulässt“, sagte Russwurm in der ZDF-Sendung Maybrit Illner.

„Wir müssen besser verstehen, wie dieses Virus funktioniert, wie sich Menschen anstecken, wo das passiert und dann sehr zielgerichtet Maßnahmen entscheiden – nach Regionen, aber wahrscheinlich nicht nur nach einer Zahl.“ Eine Zahl dürfe nicht über Wohl und Wehe ganzer Regionen entscheiden, betonte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

Der Virologe Hendrik Streeck schlug im Focus vor, Restaurants testweise zu öffnen und „diverse Hygienemaßnahmen, von der Distanz zwischen den Tischen über die Lüftung bis hin zur Kontaktnachverfolgung“, auf den Prüfstand zu stellen. Anstelle der Fixierung auf die Infektionsinzidenz regte Streeck ein Ampelkonzept an. Abhängig von der Belegung der Kliniken mit Covid-19-Patienten, der nach Altersklassen unterteilten Zahl von Neuansteckungen und dem Reproduktionsfaktor sollte sie jeweils auf Rot, Gelb oder Grün gestellt werden.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht rief die Bundesländer auf zu prüfen, „ob die jetzt geltenden Maßnahmen bei ihnen noch erforderlich sind oder nicht mildere Maßnahmen wie die Durchführung von Tests oder die Anwendung von Hygienekonzepten ausreichen“.

„Begründungspflichtig ist die Anordnung von Einschränkungen und nicht deren Lockerung“, sagte die SPD-Politikerin der Augsburger Allgemeinen. Die Gerichte würden das sehr genau beobachten, so Justizministerin Christine Lambrecht.

Inzidenzwert: 57 statt 35

Vom Ziel eines Inzidenzwertes von 35 ist Deutschland noch ein gutes Stück entfernt. In den vergangenen Tagen stagnierte der Wert bei 57. In einigen Bundesländern war er zuletzt sogar wieder gestiegen, vor allem im derzeit am stärksten betroffenen Bundesland Thüringen.

Hier tritt am heutigen Freitag eine neue Verordnung in Kraft, die eine Verlängerung des Lockdowns mit Kontaktbeschränkungen und Ladenschließungen bis 15. März vorsieht. Bund und Länder hatten eine Verlängerung bis zum 7. März beschlossen mit Ausnahme von Friseuren, die zum 1. März wieder öffnen dürfen.

Hoffnungen richten sich neben dem Fortschritt bei den Impfungen auf Schnelltests. Gesundheitsminister Spahn hatte angekündigt, ab dem 1. März sollten alle Bürger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden können. Näher rücken zudem Selbsttests für Laien.

Diese sieht der Vize-Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, aber skeptisch. Es sei zu befürchten, dass jemand einen positiven Test für sich behalte, weil er sonst Nachteile wie eine Quarantäne in Kauf nehmen müssten, sagte Hofmeister dem RND.

Hofmeister zufolge stellen sich die Arztpraxen zugleich flächendeckend darauf ein, spätestens Anfang April mit Impfungen zu beginnen, weil dann die Impfzentren an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. Der genaue Termin werde zusammen mit dem Gesundheitsministerium geklärt.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hofft unterdessen darauf, dass schneller als bisher geplant ein Impfstoff für Kinder bereitsteht. „Wir hoffen, dass so schnell wie möglich ein Impfangebot für Kinder kommt“, sagte Verbandspräsident Jörg Dötsch der Rheinischen Post.

„In den Zulassungsbescheinigungen der Europäische Zulassungsbehörde EMA ist jedoch festgeschrieben, dass erst bis 2024 entsprechende Studien bei Kinder vorliegen müssen – das hat uns sehr enttäuscht und besorgt gemacht“, klagte Dötsch.

© dpa-infocom, dpa:210219-99-503703/2


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