Der Aufwand ist immens: Tausende Wissenschaftler widmen sich derzeit der Forschung rund um die offenen Fragen zum Corona-Virus, um den Sars-CoV-2-Erreger und seine Folgen besser zu verstehen.
Man weiß schon recht gut, wie Sars-CoV-2 übertragen wird, welche Situationen für Ausbrüche sorgen können und sammelt täglich Erfahrungen bei der Behandlung von Erkrankten.
Angesichts steigender Fallzahlen auch in Deutschland sind solche Erkenntnisse extrem wichtig. Trotzdem liegt noch einiges im Dunklen. Was sind für Ärzte, Wissenschaftler und andere Experten die drängendsten Fragen, die geklärt werden sollten?
Vorbeugung:
Weltweit gibt es zahlreiche Impfstoff-Kandidaten. Russland verkündete mit Sputnik V kürzlich die weltweit erste staatliche Zulassung eines Impfstoffs zur breiten Verwendung.
Aber welche Impfung wird sich als der Königsweg erweisen? Diese zentrale Frage der Corona-Forschung wird sich laut dem Infektiologen Bernd Salzberger in den nächsten Wochen und Monaten klären.
„Wenn diese Frage gelöst ist, sind fast alle anderen Fragen zweitrangig“, so Salzberger. Sollte sich ein Impfstoff wider Erwarten verzögern, rechnet der Experte des Universitätsklinikums Regensburg damit, dass mögliche Zusatz-Schutzvorkehrungen in den Vordergrund rücken, etwa für die Belüftung zur Vermeidung von Übertragung mit Aerosolen.
Erkennung:
Immer weiter wurden die Testkapazitäten in Deutschland ausgebaut und Testangebote erweitert. Für den Epidemiologen Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig wird das allein aber kaum helfen: „Wir müssen daran arbeiten, Tests fokussierter einzusetzen.“
Es müsse zum Beispiel besser priorisiert werden, wer, zu welchem Zeitpunkt und wie oft getestet wird. Laborergebnisse müssten außerdem schneller zu den Gesundheitsämtern gelangen.
Krause sieht das Risiko, dass massenhaft anlasslose Tests dazu führen könnten, dass etwa Kranke, Menschen nach Risikokontakten und medizinisches Personal länger als früher auf ihre dringend benötigten Testergebnisse warten müssen, weil deren Bearbeitung in Konkurrenz zu den anderen weniger dringlichen Tests stehen.
Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, betonte, eine verbindliche Priorisierung bei der Testung auf das Virus sei unerlässlich: „Bei Menschen mit Symptomen und im Gesundheitswesen sind Tests zwingend notwendig.“ Brysch fordert zudem wöchentlich vorsorgliche Tests in allen Heil- und Pflegeberufen.
Behandlung:
„Wir verstehen noch nicht richtig, wann wir welchen Schalter umlegen müssen“, sagt Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg mit Blick auf die Therapie von Covid-19-Patienten.
Antivirale Medikamente brächten erst einen Vorteil, wenn es Patienten schlecht gehe – und nicht bereits im Frühstadium, wie zum Beispiel Antibiotika bei bakteriellen Lungenentzündungen. Wünschenswert sei vor diesem Hintergrund, individuelle Parameter zu kennen, mit denen sich ein bevorstehender schwerer Verlauf erkennen lässt, so Salzberger.
Noch ist keine Standardvorgehensweise für die Behandlung von Covid-19-Patienten festgelegt. Derzeit würden Leitlinien dafür je nach Krankheitsschwere entwickelt, sagte Klaus Rabe, Ärztlicher Direktor an der LungenClinic Grosshansdorf und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.
Wichtig sei zum Beispiel, Kriterien festzulegen, wie lange mit dem Beginn einer Beatmung abgewartet werden kann. Patienten, die nicht invasiv beatmet werden müssen, hätten eine bessere Prognose. Eine Studie zeigte: Die Sterblichkeit war bei Covid-19-Patienten in Deutschland, die beatmet wurden, mit 53 Prozent besonders hoch. Rabe betonte aber, dass die Beatmung naturgemäß nicht die Ursache für diesen Verlauf sein müsse.
Milde Verläufe:
Sars-CoV-2 scheine eine doppelte Natur zu haben: bei einigen Personen tragisch tödlich und bei anderen überraschend mild, schreiben US-Forscher im Journal Annals of Internal Medicine. Asymptomatische Menschen scheinen demnach ungefähr 40 bis 45 Prozent der Infektionen auszumachen. Das Fehlen von Symptomen müsse aber nicht unbedingt bedeuten, dass kein Schaden vorliege.
Warum sich die Verläufe so stark unterscheiden, ist eine weitere offene Frage in der Corona-Forschung. Studien geben Hinweise, dass die Blutgruppe ein Faktor sein könnte. Auch wird erforscht, ob frühere Erkältungen, ausgelöst von altbekannten Corona-Viren, die Schwere einer Infektion mit Sars-CoV-2 beeinflussen könnten. Corona-Viren verursachen in Deutschland laut Angaben der Berliner Charité bis zu 30 Prozent der saisonalen Erkältungen.
„Wir brauchen dringend Daten zu Patienten, die nicht an Maschinen beatmet werden müssen oder nicht krank erscheinen“, sagte Rabe. Es gelte Langzeitverläufe zu betrachten und auch zu beobachten, was außerhalb der Lunge geschehe. Zudem, so Rabe, brauche es auch für mild erkrankte Menschen Therapieoptionen.
Immunität:
Viele Menschen, darunter auch Wissenschaftler, hoffen, dass man nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 zumindest eine Zeit lang dagegen immun ist. Aber ob es so ist, steht nicht fest.
Viele Studien weisen vielmehr darauf hin, dass gerade bei Menschen, die nur wenige oder gar keine Symptome hatten, schon bald nach einer Infektion keine Antikörper im Blut mehr nachweisbar sind. Zwar ist noch unklar, was das für eine mögliche Immunität bedeutet. Doch die Beobachtungen wecken Zweifel an der Aussagekraft von Antikörper-Tests und an immer wieder einmal diskutierten Immunitätspässen.
Spätfolgen:
„Genesen“ steht in vielen Corona-Statistiken. Doch sind diese Menschen auch wirklich wieder fit? Verschiedene Fälle aus der Praxis alarmieren die Ärzte, insbesondere mit Blick auf einen Lungenschaden.
Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbildes ließen sich keine zuverlässigen Aussagen treffen zu Langzeitauswirkungen und Folgeschäden durch Covid-19 beziehungsweise durch deren Behandlung, etwa eine Langzeitbeatmung, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI) in einem Online-Steckbrief.
Es existieren aber Berichte über Patienten, die eher leichter erkrankt waren, aber noch über Wochen und Monate von Folgen betroffen sind, etwa Luftnot bei Anstrengung. Klar ist inzwischen: Covid-19 betrifft nicht nur die Lunge, sondern das Virus kann sich – ebenso wie zum Beispiel Grippeviren – auch auf andere Organe wie die Nieren auswirken.
Herkunft:
Studien legen einen Ursprung des Sars-CoV-2 Virus bei Fledermäusen nahe. Aber wie ist es auf den Menschen übergesprungen? Dies ist eine weitere der offenen Fragen in der Corona-Forschung.
Vermutet werden Zwischenwirte: Zwischenzeitlich war das Schuppentier im Gespräch – eine Theorie die der Virologe Christian Drosten ablehnte. Er lenkte vor einiger Zeit den Verdacht auf Marderhunde, in denen bereits der Sars-Erreger nach dem Sars-Ausbruch 2002/3 gefunden worden sei.
Geklärt ist die Frage bis heute nicht. Aus Sicht des Lungenspezialisten Rabe würde die Aufhellung solcher Graubereiche gegen Verschwörungstheorien helfen. Er bemerke in Gesprächen mit Patienten teils eine tiefe Verunsicherung wegen unklarer Sachstände und widersprüchlicher Informationen.
Psychologie:
Schon früh verglichen Experten die Pandemie mit einem Marathon. Wie man die Langstrecke laufe, müsse gelernt werden, meint Mediziner Rabe. Sich die Energie einteilen, wenn möglich pausieren, mit der eigenen Erschöpfung umgehen – solche Aspekte seien jetzt im übertragenen Sinne für die Bevölkerung wichtig, um die Pandemie und die erforderlichen Verhaltens-Einschränkungen durchzustehen.
Rabe stört sich an interessengeleiteten Lockerungsdebatten, etwa durch die Kreuzfahrtindustrie oder die Fußball-Lobby, und an Politiker-Alleingängen, die dem Vertrauen in Politik und Institutionen schadeten. „Das Grundprinzip müsste sein: Keep calm and keep working“, betont er. Also ruhig bleiben und weiterarbeiten.
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