Hiddingen (dpa/lni) – Beke Marquard steht in den Startlöchern für den Vertrieb von Kamelmilch – eine EU-Zulassungsnummer hat sie schon. „Wir sind die einzigen, die in Deutschland melken, und verkaufen bisher die Frischmilch ab Hof“, erzählt die 49-Jährige inmitten der 60 Trampeltiere und Dromedare.
Für eine europaweite Vermarktung muss die Milch pasteurisiert sein. Zusammen mit ihrem Mann Andreas Marquard wendet sie ein schonendes Verfahren bei 72 Grad für nur eine Minute an. Es gibt Anfragen für Kameleis aus Berlin und dem Ostharz sowie für die Käseherstellung aus Österreich.
Wertvolle Inhaltsstoffe und EU-Genehmigung
Der Liter kostet elf Euro, der Geschmack ist der Kuhmilch ähnlich, soll aber laut Studien einen höheren Vitamingehalt haben. Nachgesagt wird der besonderen Flüssigkeit – ursprünglich ein Beduinengetränk – wegen seiner Inhaltsstoffe sogar ein positiver Einfluss auf Krebszellen, Allergien und Diabetes-Erkrankungen. Sie enthält weniger Fett und ist für Menschen mit Laktoseintoleranz angeblich besser verträglich. In arabischen Ländern wird sie seit Ewigkeiten geschätzt und getrunken.
Aus diesen Staaten kommen auch die aktuellen Kunden des Hofes am Rande der Lüneburger Heide. „Wir haben oft Leute aus Berlin, die 50 Liter bestellen, sie direkt abholen und zuhause einfrieren“, sagt Beke Marquard. Für die unbegrenzte EU-Genehmigung hat sie fast alles erledigt, ein paar Formalitäten fehlen. „Aller Voraussicht nach wird es im November zur unbefristeten Zulassung kommen“, sagt Hiltrud Schrandt, Pressesprecherin des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Oldenburg.
Vom Jugendtraum zur Zucht
Wenn das Go der Behörde da ist, muss das Vermesser-Ehepaar, das noch in Teilzeit dem gelernten Beruf nachgeht, öfter früh aufstehen. Das Melken erledigt zwar eine Maschine, die Vorbereitung der Kamele dauert aber. Im Gegensatz zu Kühen muss immer das Fohlen in der Nähe sein, sonst klappt es nicht. Nur die Dromedare werden gemolken, bei den Trampeltieren mit zwei Höckern sind die Zitzen zu klein, erzählt Beke Marquard über die zutraulichen Tiere. Zwei bis fünf Liter gibt eine Stute pro Tag, derzeit können sie acht melken.
Auch im Herbst fühlen sich die Wüstenschiffe in der Heide wohl, sie tollen in getrennten Gruppen umher und beschnuppern Besucher ohne Scheu. „Die Kälte kennen sie aus den Nächten in der Wüste. Was sie nicht mögen, ist Regen“, berichtet die Chefin des Hofes. Dann geht es schnell in die Unterstände auf der 40 Hektar großen Farm. Aus dem Jugendtraum ihres Mannes, ein Kamel zu besitzen, ist die Zucht geworden. „Es sind sehr freundliche Tiere, das macht es leicht, sich in sie zu verlieben.“ Lediglich in der Brunft von November bis April sei Vorsicht angesagt.
Von der Wüste in die Heide
Das Paar ist ständig im Austausch mit Händlern auf der ganzen Welt, auf Reisen nach Kuwait, Saudi-Arabien und Marokko sammelte es sein Wissen. Besonders stolz sind die Marquards auf die geringe Sterblichkeit ihrer Jungfohlen. „Kamelfohlen sind sehr träge, bis sie Milch trinken. Aber die Biestmilch ist so wichtig für das Immunsystem“, sagt Beke Marquard, die deshalb von der ganz frühen Muttermilch stets etwas eingefroren hat und unterstützend eingreift. Auf den üppigen Weiden mummeln die Tiere später fast ununterbrochen.
Nach einer turbulenten touristischen Saison, in der coronabedingt viel mehr Urlauber zum Reiten in Karawanen kamen, wird es nun ruhiger in Hiddingen. Wobei: So richtig ruhig ist es nie, zur Begrüßung kleffen schon die vier jungen Australien Shepherds. Sie sind bereits vorbestellt und bringen – auch wegen der Pandemie – mit etwa 1500 Euro je Welpe das Doppelte als in normalen Zeiten ein.
Die Famile hilft sich und hat letztlich nur eine Sorge
Die Kinder der Marquards, Marten (19) und Fe (21), züchten bereits Pferde. Die gelernte Bauzeichnerin reitet inzwischen für ihre Eltern auch die Kamele ein – mit drei Jahren beginnt das Training.
Sorgen macht ihnen lediglich ein Wolfsrudel, das in der Region beheimatet sein soll. Andreas Marquard zieht mit Border Collie Fetz los und kontrolliert die Zäune des Hofes mitten in dem kleinen Dorf mit 500 Einwohnern. Vier Hunde halten nachts im Wechsel Wache.
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