Wirtschaft

Billigfleisch in Kritik: Kein Engpass nach Corona-Fall bei Tönnies

Außenansicht des Firmengeländes vom Fleischwerk Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Foto: David Inderlied/dpa
Außenansicht des Firmengeländes vom Fleischwerk Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Foto: David Inderlied/dpa

Nach einem Corona-Ausbruch bei Tönnies steht der größte deutsche Schlachtbetrieb für Schweine still. Für die Verbraucher hat das zunächst keine Folgen, sagt ein Experte. Billigfleisch und die Arbeitsbedingungen in der Branche geraten aber in den Fokus.

Die vorübergehende Schließung des größten deutschen Schlachtbetriebs von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück nach einem Corona-Ausbruch mit bereits gut 1.000 Infizierten sorgt für Kritik am „Billigfleisch“, wird nach Experten-Einschätzung aber nicht zu Versorgungsengpässen führen. „Fleisch wird in Deutschland nicht knapp, auch nicht Schweinefleisch“, sagte Tim Koch von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft in Bonn.

Die Fleischproduktion und ihre Arbeitsbedingungen geraten angesichts des aktuellen Corona-Fall bei Tönnies unter dem Begriff „Billigfleisch“ zunehmend kritisch in den Fokus.

„Es gibt haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich unter seinem Wert verkauft wird. Das müssen wir stoppen. Denn grundsätzlich ist der Verkauf unter Einstandspreis ja bereits untersagt“, sagte die NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) der Rheinischen Post. Dazu arbeite NRW an einer Bundesratsinitiative.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte die Nachrichten aus Rheda-Wiedenbrück am Donnerstag „schockierend“. Dort sei zu erleben, was passiere, „wenn mit Arbeitnehmern aus Mittel- und Osteuropa bei uns nicht fair umgegangen wird“. Er fühle sich bestätigt, den Kurs, in der Fleischindustrie aufzuräumen, konsequent umzusetzen, sagte Heil in Berlin. Im Sommer wolle er ein Gesetz vorlegen, das eine digitale Erfassung der Arbeitszeit in der Fleischindustrie vorschreibt. Zudem sollen Werkverträge in der Branche untersagt werden.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte an, die Branche wissenschaftlich untersuchen lassen. „Wir müssen untersuchen, wie die Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie entstehen“, erklärte Laumann am Freitag. „Mein Ministerium wird eine wissenschaftliche Expertise auf den Weg bringen, die den Ursachen des Ausbruchs in Gütersloh epidemiologisch auf den Grund geht.“

Die Fleischfabrik ist derzeit geschlossen – genau wie Kindergärten und Schulen im Kreis Gütersloh. Der Chef der SPD-Landtagsfraktion in NRW, Thomas Kutschaty, forderte in der Rheinischen Post kostenlose Corona-Tests im Kreis. „Ich erwarte jetzt, dass im Kreis umfangreich und engmaschig getestet wird – und zwar kostenlos für jeden, der auch nur im entferntesten Kontakt hatte. Da geht es um Stunden.“

Kutschaty forderte zudem weitere Maßnahmen für den Fall, dass die Zahl der Infizierten deutlich steige: „Sollte der Wert von 50 Neuinfizierten innerhalb von einer Woche pro 100.000 Einwohner überschritten werden, muss Herr Laschet mir erklären, warum es keinen Lockdown gibt.“

„Alles sehr streng getaktet“

In Rheda-Wiedenbrück werden nach Angaben von Tönnies pro Tag 20.000 Schweine geschlachtet und zerlegt. Die Branche habe eine Reihe von Stellschrauben, um die bei Tönnies ausfallenden Schlachtkapazitäten zumindest teilweise auszugleichen, sagte Agrarfachmann Koch. Tönnies wolle die Zahl der Schlachtungen an anderen Standorten erhöhen, auch andere Unternehmen hätten diese Möglichkeit.

Probleme kann der Stillstand bei den Schlachtungen in Rheda-Wiedenbrück den Schweinemästern bereiten. Wenn ein Mäster innerhalb von ein bis zwei Wochen seine Tiere nicht vermarkten könne, könnte es bereits Schwierigkeiten geben, sagte Miriam Goldschalt, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund.

„Das ist alles sehr streng getaktet“, sagte Goldschalt. Es drohten in den Stallungen Platzprobleme, weil neue Jungtiere angeliefert würden und nicht klar sei, wohin mit den älteren Tieren. „Das Schwein verliert ab einem gewissen Punkt mit zunehmendem Gewicht an Wert“, sagt Goldschalt. Ein Grund sei die Vorliebe der Deutschen für mageres Fleisch.

Auch ein Sprecher des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes meinte: „Ein, zwei Wochen können die Bauern die Situation vergleichsweise verlustarm überbrücken. Dauert die Schließung länger, kommen auf die Schweinemastbetriebe Probleme zu.» Würden die auf ein bestimmtes Zielgewicht hin gemästeten Schweine zu fett, drohten Verluste durch Preisabzüge.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden im vergangenen Jahr 55,1 Millionen Schweine in Deutschland geschlachtet, 3,0 Prozent weniger als 2018. Davon wurden rund 3,3 Millionen Schlachtschweine aus dem Ausland importiert.

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