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Olaf Scholz wirbt für „Politik des Respekts“

«Wir haben keine Zeit zu verlieren.»: Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Michael Kappeler/dpa
«Wir haben keine Zeit zu verlieren.»: Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Michael Kappeler/dpa

Einen mitreißenden Auftritt im Bundestag hat niemand vom neuen Kanzler erwartet. Seine erste Regierungserklärung ist trotzdem eine für seine Verhältnisse engagierte Rede. Ein Wort ist ihm besonders wichtig.

Berlin (dpa) – Gut möglich, dass die erste Regierungserklärung von Olaf Scholz auch seine längste bleiben wird.

Zu Beginn der Sitzung kündigt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) schon mal eine Verlängerung von 60 auf 75 Minuten an. Am Ende verfehlt der neue Bundeskanzler die Länge eines Fußballspiels mit 86 Minuten nur knapp.

Das ist rekordverdächtig, aber auch nicht überraschend bei einer Koalition dreier, sehr unterschiedlicher Partner und bei einem Koalitionsvertrag mit 177 Seiten. Die ersten Regierungserklärungen eines Kanzlers oder einer Kanzlerin sind immer zum großen Teil ein Referat der wichtigsten Punkte aus dem Koalitionsvertrag.

Wenig Spielraum also für eine mitreißende Rede. Die erwartet man von Scholz aber ohnehin nicht. Reden gehört nicht gerade zu den Paradedisziplinen des 63-jährigen Hanseaten mit der leisen Stimme, der immer etwas schüchtern wirkt. Als er am Mittwoch ans Rednerpult tritt, hat er eine gelbe, gut gefüllte Aktenmappe unter dem Arm. An den Sprechzetteln wird er sich in den folgenden eineinhalb Stunden festhalten, fast alles ablesen. Gestik als Ausdrucksform gibt es bei ihm so gut wie nicht.

Für Scholzsche Verhältnisse ist es trotzdem ein engagierter Auftritt mit ein paar klaren Ansagen und hier und da ein wenig persönlicher Betroffenheit. Der Kanzler fängt mit der Adventszeit im Zeichen von Corona an, es ist die stärkste Passage seiner Rede.

Corona: „Wir werden diesen Kampf gewinnen“

„Niemandem geht es richtig gut in diesen Zeiten: Mir nicht, Ihnen nicht, den Bürgerinnen und Bürgern nicht“, sagt er, um dann zu versprechen: „Ja, es wird wieder besser, ja, wir werden diesen Kampf gegen die Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen. Und ja, wir werden diesen Kampf gewinnen.“

Für die Eindämmung des Pandemie gebe es „keine rote Linien“, und es würden alle Hebel in Bewegung gesetzt, bis alle ihr früheres Leben zurück hätten. „Dass die notwendigen Maßnahmen eingeleitet werden, das ist meine Aufgabe, dafür trage ich die Verantwortung, und das hat meine oberste Priorität“, sagt Scholz.

Er macht den Kampf gegen Corona damit zur Chefsache, zu seinem persönlichen Projekt – kein Abschieben von Verantwortung auf Ministerpräsidenten oder Wissenschaftler. Scholz darf jetzt am Erfolg des Kampfes gegen Corona gemessen werden.

Insgesamt finden sich in der Regierungserklärung viele Begriffe, die man aus dem Wahlkampf, den Koalitionsverhandlungen und dem Vertrag mit Grünen und FDP kennt. „Aufbruch“ steht 10 Mal in seinem Manuskript, „Fortschritt“ und „Fortschrittsregierung“ sogar 30 Mal, in Anlehnung an den Titel der Koalitionsvereinbarung: „Mehr Fortschritt wagen“.

Respekt, Anerkennung, Achtung

Von den Top-Schlagwörtern der Rede ist Scholz aber eines besonders wichtig, das schon im SPD-Wahlkampf eine zentrale Rolle gespielt hat und auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt zielt: 24 Mal sagt der Kanzler „Respekt“. „Mein Leitbild, das Leitbild der neuen Bundesregierung in dieser Lage ist eine Gesellschaft des Respekts“, betont er. „Respekt, Anerkennung, Achtung – das bedeutet, dass wir uns bei aller Verschiedenheit gegenseitig als Gleiche unter Gleichen wahrnehmen.“

Es gehe um „harte, materielle, soziale und ökonomische Fragen“, sagt Scholz. Niedrige Löhne, prekäre Beschäftigung, Wohnungsmangel, explodierende Mieten oder fehlende Lebensperspektiven in manchen ländlichen Regionen – in solchen Missständen komme für die Betroffenen oft fehlender Respekt vor ihrer Leistung zum Ausdruck. „Missstände wie diese sind deshalb Gift für unseren Zusammenhalt. Darum werden wir sie beheben. Und wir fangen jetzt damit an.“

Keine Schonfrist für die Ampel-Regierung

So wie der Sozialdemokrat erstmals als Kanzler am Rednerpult steht, macht es nach ihm Ralph Brinkhaus als Oppositionsführer. Er wünscht Scholz zwar „alles Gute und Gottes Segen“ für seine Aufgabe – macht dann aber schnell deutlich, dass es für die neue Ampel-Regierung keine Schonfrist gibt.

In der Corona-Krise habe Scholz beherztes Handeln vermissen lassen, kritisiert der CDU/CSU-Fraktionschef. Er verurteilt die Ampel-Pläne für ein Bürgergeld („Vorstufe zum bedingungslosen Grundeinkommen“) ebenso wie die zur Migrationspolitik („Mir persönlich macht das Angst.“).

Es wirkt, als schwanke der CDU-Politiker noch zwischen der alten Rolle als Vorsitzender der größten Regierungsfraktion und der neuen als Oppositionsführer. Ganz offen sagt er an die Adresse von Scholz: „Wir würden da lieber jemanden von uns sitzen haben, das ist doch überhaupt keine Frage, weil wir auch glauben, wir könnten es besser.“

Kein Wunder also, dass Brinkhaus für die Union den Anspruch erhebt, eine „gestaltende Opposition“ zu sein. „Wir wollen eine Opposition machen, wo wir unser Bild vom Land durch unsere Anträge, Debattenbeiträge und durch unsere Diskussionen dieser Regierung aufzwingen werden.“

Das klingt zunächst vermessen. Doch Brinkhaus weiß, dass Rot-Grün-Gelb im Bundesrat keine Mehrheit hat. Die Ampel-Parteien werden daher in den kommenden Jahren in vielen Streitfragen zwangsläufig auf die Union zugehen müssen.

Opponieren und gleichzeitig mitgestalten – diese Frage stellt sich für AfD und Linke nicht. Vor allem die AfD verharrt in ihrer Fundamentalopposition. Zwar ist ihre Mission „Merkel muss weg“ erfüllt – wenn auch ohne das Zutun der Rechtspopulisten. Aber es gibt weiter genügend Aufregungspotenzial – etwa die geplante liberale Migrationspolitik der Ampel-Parteien. Deutschland bleibe nicht nur auf seinem „Sonderweg als Migrationsmagnet“, wettert Fraktionschefin Alice Weidel im Bundestag in Richtung Scholz. „Ihre Regierung gibt in dieser Sackgasse sogar noch Vollgas.“

© dpa-infocom, dpa:211215-99-385937/14


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