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Russland gibt Ukraine Schuld an Getreideblockade

«Sollten die Kiewer Behörden reifen, werden wir nur zu gerne kooperieren»: der russische Außenminister Sergej Lawrow in Ankara. Foto: Burhan Ozbilici/AP/dpa
«Sollten die Kiewer Behörden reifen, werden wir nur zu gerne kooperieren»: der russische Außenminister Sergej Lawrow in Ankara. Foto: Burhan Ozbilici/AP/dpa

Mit der Blockade der Schwarzmeerhäfen für Getreideexporte droht eine weltweite Nahrungskrise. Ein Treffen zwischen Russland und der Türkei endet mit Schuldzuweisung und Relativierung.

Ankara (dpa) – Im Streit um die Blockade von ukrainischem Getreide in Häfen am Schwarzen Meer hat Russland jegliche Schuld von sich gewiesen. Außenminister Sergej Lawrow machte bei einem Besuch in der Türkei die Ukraine selbst dafür verantwortlich.

Die Ukraine weigere sich bislang, ihre Häfen zu entminen oder anderweitig Durchfahrten von Frachtschiffen zu gewährleisten, sagte Lawrow nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara. Konkrete Ergebnisse wie etwa die Einrichtung eines Sicherheitskorridors brachte das Treffen nicht.

Faktisch blockiert die russische Marine seit Beginn des Angriffskriegs auf das Nachbarland vor mehr als drei Monaten die ukrainischen Schwarzmeer-Häfen. Die Ukraine, weltweit der viertgrößte Getreideexporteur, sitzt deshalb auf den eigenen Vorräten fest.

Nach ukrainischen Angaben können mehr als 23 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten nicht exportiert werden. Vor dem Krieg gingen 90 Prozent des Exports über die Häfen hinaus. Drei davon – Mariupol, Berdjansk und Cherson – sind unter russischer Kontrolle. Der Hafen in Mykolajiw ist schwer beschädigt, daher laufen nun die Verhandlungen in erster Linie über die Freigabe von Odessa.

Die Gespräche sind allerdings von Misstrauen und Vorwürfen geprägt. Kiew beschuldigt Moskau etwa des Getreidediebstahls. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben die russischen Truppen aus den Besatzungsgebieten bereits eine halbe Million Tonnen Getreide geraubt.

Moskau fordert Entschärfung von Seeminen

„Wir sind bereit, die Sicherheit von Schiffen zu gewährleisten, die die ukrainischen Häfen verlassen“, sagte Lawrow weiter. Mit Blick auf die Ukraine fügte er hinzu: „Wenn sie jetzt – wie uns unsere türkischen Freunde sagen – bereit ist, entweder Minen zu räumen oder den Durchgang durch Minenfelder zu gewährleisten, dann hoffen wir, dass dieses Problem gelöst wird.“ Cavusoglu sagte, die Türkei befürworte einen Plan der Vereinten Nationen, der alle drei Länder einbeziehe. Kiew und Moskau müssten dem aber noch zustimmen.

Russland fordert die Entschärfung von Seeminen in den Gewässern vor der Schwarzmeer-Küste, damit der Schiffsverkehr sicher sei. Dabei könnten türkische Experten helfen. Die Ukraine befürchtet im Falle der Einrichtung von Durchfahrtskorridore allerdings neue Angriffe von der russischen Kriegsmarine – was Lawrow in Ankara zurückwies. Russland wiederum will verhindern, dass Schiffe verdeckt Kriegsgerät in die Ukraine bringen. Das russische Verteidigungsministerium schlug vor, den Hafen der besetzten ukrainischen Stadt Mariuopol am Asowschen Meer für den Getreideexport zu nutzen.

Von der Leyen übt scharfe Kritik an Putin

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine für drohende Hungersnöte auf der Welt verantwortlich.
„Lebensmittel sind nun zu einem Teil des Terrorarsenals des Kremls geworden“, sagte die deutsche Politikerin im Straßburger Europaparlament. „Dies ist eine kalte, gefühllose und kalkulierte Belagerung durch Putin gegen einige der verletzlichsten Länder und Menschen der Welt.“

Der Sondergesandte des ukrainischen Präsidenten für die EU-Perspektive des Landes, Oleksij Tschernyschow, warnte, dass wegen der Blockade Russlands eine Hungerkrise etwa in den nordafrikanischen Ländern drohe. „Es könnte sogar zu Migrationsbewegungen kommen. Wir reden hier über Ägypten, Tunesien und andere nordafrikanische Länder“, sagte er RTL/ntv.

Lawrow: Keine „universelle Katastrophe“

Lawrow spielte jedoch die weltweite Sorge vor Hungerkrisen herunter. Das Problem beim Export von ukrainischem Getreide werde vom Westen als „universelle Katastrophe“ eingestuft, obwohl der ukrainische Anteil an der weltweiten Produktion von Weizen und anderen Getreidearten weniger als ein Prozent ausmache. Später fügte Lawrow hinzu: „Von unserer Seite gab es nie irgendwelche Hindernisse, um dieses Problem – in Wirklichkeit ein Problemchen, es ist klein – zu lösen. Sollten die Kiewer Behörden reifen, werden wir nur zu gerne kooperieren.“

Russlands Außenminister erklärte zudem, dass aus Moskauer Sicht in der Ukraine militärisch alles „nach Plan“ laufe. Die Ziele der „militärischen Spezial-Operation“ – wie der Krieg gegen das Nachbarland in Russland offiziell genannt wird – würden erreicht, meinte Lawrow.

Die Türkei sieht sich seit Kriegsbeginn Ende Februar in der Vermittlerrolle und unterhält sowohl zu Russland und zur Ukraine enge Beziehungen. Ankara hat sich nicht an Sanktionen gegen Moskau beteiligt – mit Ausnahme der Sperrung ihres Luftraums für militärische und zivile Flugzeuge, die Soldaten aus Russland nach Syrien bringen. Im März hatten sich ukrainische und russische Delegationen in Istanbul getroffen. Zuvor waren Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Dmytro Kuleba in der Mittelmeerstadt Antalya zusammengekommen.

© dpa-infocom, dpa:220608-99-587433/5

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