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Krieg in der Ukraine: So ist die Lage

Eine Frau schwenkt die ukrainische Flagge auf einem zerstörten russischen Panzer in Kiew. Die Sonne scheint, aber es herrschen Traurigkeit und grimmige Entschlossenheit. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa
Eine Frau schwenkt die ukrainische Flagge auf einem zerstörten russischen Panzer in Kiew. Die Sonne scheint, aber es herrschen Traurigkeit und grimmige Entschlossenheit. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa

Von der Ukraine gibt es eine Schätzung zur Zahl der getöteten Soldaten und Verstimmung wegen einer Biden-Aussage. Die Kämpfe in der Ostukraine gehen weiter. Die Entwicklungen im Überblick.

Kiew/Los Angeles (dpa) – Die ukrainische Führung hat mit Unverständnis auf Äußerungen von US-Präsident Joe Biden reagiert, wonach Präsident Wolodymyr Selenskyj vor Kriegsbeginn die von Russland ausgehende Gefahr nicht ernst genug genommen habe.

Präsidentensprecher Serhij Nykyforow sagte am Samstag, Selenskyj habe die internationalen Partner immer wieder dazu aufgerufen, präventiv Sanktionen zu verhängen, um Russland zu einem Abzug der damals bereits in der Grenzregion stationierten Truppen zu zwingen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen führte am Samstag in Kiew Gespräche über den EU-Beitrittsantrag der Ukraine. Bis Ende nächster Woche wolle die Kommission die Analyse des Antrags abschließen, kündigte sie am Rande von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten an. Dieser bezeichnete die Entscheidung als wegweisend für ganz Europa.

Selenskyj dankte der EU für das sechste Sanktionspaket gegen Russland und brachte ein siebtes ins Gespräch. Darin müssten ausnahmslos alle russischen Banken sanktioniert werden. Die EU solle außerdem vollständig auf russische Energieträger verzichten und ein Wiederaufbauprogramm für die Ukraine auflegen. Von der Leyen hatte jedoch bereits deutlich gemacht, dass zunächst keine größeren Sanktionspakete mehr anstehen.

Ukrainische Führung nach Biden-Äußerungen verstimmt

Der US-Präsident hatte bei einer Veranstaltung am Freitagabend (Ortszeit) in Los Angeles gesagt, es habe bereits vor dem 24. Februar Beweise dafür gegeben, dass Kremlchef Wladimir Putin die Ukraine überfallen wolle. Dann fügte er hinzu: „Es gab keinen Zweifel. Und Selenskyj wollte es nicht hören – viele Leute wollten es nicht.“

„Die Phrase „wollte nicht hören“ bedarf sicherlich einer Erläuterung“, sagte am Samstag der ukrainische Präsidentensprecher Serhij Nykyforow. Selenskyj habe dazu aufgerufen, präventiv Sanktionen gegen Russland zu verhängen. „Und hier kann man schon sagen, dass unsere Partner „uns nicht hören wollten““, sagte er.

Zwei Wochen vor Kriegsbeginn hatte Selenskyj gesagt, sein Land lebe schon seit 2014 mit einer Dauerbedrohung durch Russland. Er beklagte damals, der westliche „Alarmismus“ schade dem Land mehr als er nütze: „Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Lande.“ Sprich: Russland nütze es, wenn Angst zur Destabilisierung in der Ukraine führt. Vor dem Jahreswechsel hatte die Ukraine selbst vor einem möglichen Angriff Russlands gewarnt.

Kämpfe um Sjewjerodonezk

Ukrainer und Russen liefern sich nach Angaben der britischen Regierung heftige Straßenkämpfe um die ostukrainische Großstadt Sjewjerodonezk. Beide Seiten dürften wahrscheinlich eine hohe Zahl an Opfern erleiden. Sjewjerodonezk ist die letzte Großstadt im Gebiet Luhansk, die sich noch nicht vollständig unter russischer und prorussischer Kontrolle befindet. Gekämpft wird um sie seit Wochen.

Nach Angaben des ukrainischen Militärs beschoss die russische Armee die zivile Infrastruktur in der Stadt sowie im benachbarten Lyssytschansk und drei weiteren Orten.

Die ukrainischen Soldaten seien dabei, sich Angriffen der Russen in Sjewjerodonezk zu widersetzen. In dem Vorort Metelkino sei ein Angriff erfolgreich abgewehrt worden, die russische Armee habe sich zurückgezogen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. In einem weiteren Vorort hielten die Kämpfe an. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.

Seit Kriegsbeginn könnten bereits rund 10.000 ukrainische Kämpfer getötet worden sein. Die Zahl stammt vom Präsidenten-Berater Olexij Arestowytsch. Diese Woche hatte Verteidigungsminister Olexij Resnikow bereits gesagt, dass derzeit täglich bis zu 100 ukrainische Soldaten getötet würden.

Selenskyj warnte unterdessen, dass Russland „jede Stadt im Donbass zerstören“ wolle. „Jede“ sei keine Übertreibung, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache am Freitagabend: „All diese Ruinen in einst glücklichen Städten, schwarze Spuren von Bränden, Krater von Explosionen – das ist alles, was Russland seinen Nachbarn, Europa und der Welt geben kann.“

Warnung vor weltweiten Hungerrevolten

„Wenn wir unsere Lebensmittel nicht exportieren können, dann wird die Welt mit einer schweren Lebensmittelkrise und Hunger in vielen Ländern Asiens und Afrikas konfrontiert werden“, sagte Selenskyj vor Besuchern des Sicherheitsforums „Shangri La Dialogue“ in Singapur, dem er am Samstag per Video zugeschaltet war. Der Lebensmittelmangel könne zu politischem Chaos und dem Sturz von Regierungen vieler Länder führen. Russland blockiert seit Kriegsbeginn ukrainische Häfen oder hat sie wie im Fall von Mariupol oder Cherson besetzt.

US-Verteidigungsminister: internationale Ordnung stärken

Um einer künftigen „Welt des Chaos und der Unruhe“ zu entgehen, „in der keiner von uns würde leben wollen“, müsse die internationale Gemeinschaft zusammenkommen, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin auf der Sicherheitskonferenz in Singapur. „Lasst uns diesen Augenblick nutzen, um die regelbasierte internationale Ordnung zu stärken.“ Russlands Invasion in die Ukraine zeige, was passiere, „wenn Unterdrücker die Regeln, die uns alle schützen, mit Füßen treten“ und „wenn Großmächte entscheiden, dass ihre imperialen Begierden wichtiger sind als die Rechte ihrer friedlichen Nachbarn“.

Polen wirft Bundesregierung mangelndes Engagement vor

Die Kritik bezieht sich auf die versprochene Lieferung von Panzern. „Die Gespräche sind ins Stocken geraten. Man sieht keinen guten Willen, hoffen wir, dass sich das ändert“, sagte der Chef des Nationalen Sicherheitsbüros beim Präsidenten, Pawel Soloch, am Samstag dem Sender Radio Rmf.fm. Die Verteidigungsministerien seien dazu im Kontakt. „Die deutsche Militärhilfe – sei es für die Ukraine oder sei es die Unterstützung von Ländern, die diese Hilfe leisten – bleibt hinter den Erwartungen zurück.“

© dpa-infocom, dpa:220611-99-625203/11

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