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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) macht in Isjum ein Selfie mit einem Polizisten. Foto: Leo Correa/AP/dpa
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) macht in Isjum ein Selfie mit einem Polizisten. Foto: Leo Correa/AP/dpa

Der ukrainische Präsident Selenskyj verlässt aus Sicherheitsgründen nur selten seine Hauptstadt. Bei der Rückkehr von einer Reise in den Osten kommt es zu einem Zwischenfall. Die News im Überblick.

Kiew (dpa) – Bei einem massiven Raketenangriff auf die zentralukrainische Industriestadt Krywyj Rih hat die russische Armee nach ukrainischen Angaben einen Staudamm schwer beschädigt. Durch das zerstörte Pumpwerk strömten so große Wassermassen, dass der Fluss Inhulez über die Ufer zu treten drohte. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem Versuch, seine Heimatstadt unter Wasser zu setzen.

Die ukrainische Führung stellte den Angriff auf zivile Infrastruktur in eine Reihe mit dem Beschuss von Kraftwerken bei Charkiw wenige Tage zuvor. Dabei war in der Ostukraine großflächig der Strom ausgefallen. „Alles was die Besatzer können ist Panik zu säen, eine Notlage zu schaffen, Menschen ohne Licht, Wärme, Wasser oder Lebensmittel zu lassen“, schrieb Selenskyj auf Telegram. „Kann uns das brechen? Keineswegs.“ Er hatte am Mittwoch die zurückeroberte Stadt Isjum im Osten des Landes besucht. Abends wurde er mit seiner Autokolonne in Kiew nach Angaben seines Sprechers in einen Unfall verwickelt.

Bundeskanzler Olaf Scholz und UN-Generalsekretär António Guterres kamen nach Telefonaten mit Russlands Präsident Wladimir Putin jeweils zum Schluss, dass mit ihm derzeit nicht über ein Ende des Krieges zu reden sei.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist zu politischen Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. Dort berate sie mit Selenskyj und Ministerpräsident Denys Schmyhal darüber, wie sich die Volkswirtschaften der EU und der Ukraine weiter annähern können, so die deutsche Politikerin auf Twitter. Es ist bereits von der Leyens dritte Reise in die Ukraine, seit Russland das Land am 24. Februar angegriffen hatte.

Von der Leyen hatte den Besuch in Kiew am Vortag angekündigt. Man müsse darauf hinarbeiten, dass die Ukraine einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt habe und umgekehrt, sagte sie. „Unser Binnenmarkt ist eine der größten Erfolgsgeschichten Europas. Nun ist es an der Zeit, ihn auch für unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.“

Beschuss auf Staudamm löst Flutwelle aus

Auf Krywyj Rih wurden nach unterschiedlichen ukrainischen Angaben sieben oder acht Raketen abgefeuert. Der Verwaltungschef des Gebiets Dnipropetrowsk, Valentin Resnitschenko, sprach von Marschflugkörpern des Typs Ch-22, die aus der Entfernung von russischen Kampfflugzeugen abgefeuert worden seien. Auch die Transportinfrastruktur der Stadt sei angegriffen worden. Von Opfern war zunächst keine Rede. Die Angaben der Kriegsparteien ließen sich auch in diesem Fall nicht unabhängig überprüfen.

Der Stausee dient der Trinkwasserversorgung der Stadt mit 625.000 Einwohnern. Durch den Schaden an dem Pumpwerk sei in weiten Teilen der Stadt die Wasserversorgung ausgefallen, hieß es. Trotz des hohen Wasserstands auf dem Fluss sei die Lage unter Kontrolle, sagte Selenskyjs Vizestabschef Kyrylo Tymoschenko. Die Lage in den Stadtteilen, in denen Überschwemmungsgefahr drohe, werde ständig überwacht.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte den Angriff ein Kriegsverbrechen und einen Terrorakt. „Weil sie von der ukrainischen Armee auf dem Schlachtfeld geschlagen wurden, führen die russischen Feiglinge nun Krieg gegen unsere Infrastruktur und Zivilisten“, schrieb er auf Twitter. In seiner abendlichen Videoansprache nannte Selenskyj die Russen Schwächlinge: Solche Angriffe auf zivile Objekte seien ein Grund, „warum Russland verliert“.

Die Flutwelle auf dem Inhulez hat aber ukrainischen Medien zufolge auch mögliche militärische Auswirkungen. Weiter südlich bei Cherson bildet der Nebenfluss des Dnipro derzeit die Frontlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen. Der hohe Wasserstand könnte ein Passieren des Flusses erschweren.

Sprecher: Selenskyj in Autounfall verwickelt

Nach der Rückkehr aus dem Osten des Landes sei ein Auto in Kiew mit dem Wagen des Staatschefs und dessen Begleitfahrzeugen zusammengestoßen, schrieb Selenskyjs Sprecher Serhij Nykyforow am frühen Morgen auf Facebook. Der Präsident sei von einem Arzt untersucht worden. „Es wurden keine ernsthaften Verletzungen festgestellt.“ Nähere Details zu Selenskyjs Gesundheitszustand wurden zunächst nicht mitgeteilt. Sanitäter hätten den Fahrer des anderen Wagens versorgt und in ein Krankenhaus gebracht, hieß es. Die Polizei untersuche die Umstände des Vorfalls.

Zwei Telefonate mit Putin

UN-Generalsekretär António Guterres sieht nach einem Gespräch mit Russlands Präsident Putin momentan keine Hoffnung auf baldige Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew. „Es wäre naiv zu glauben, dass wir der Möglichkeit eines Friedensabkommens nahe sind“, sagte Guterres in New York. Zwar seien die Vereinten Nationen bereit, in jeglicher Hinsicht an einer diplomatischen Lösung zu arbeiten, die Chancen dafür seien gegenwärtig aber „minimal“.

Einen Tag vorher hatte auch Kanzler Scholz (SPD) nach längerer Pause wieder mit dem Kremlchef telefoniert. Er erkenne aber keine Änderung in dessen Haltung zum Krieg gegen die Ukraine, sagte Scholz. „Leider kann ich Ihnen nicht sagen, dass dort jetzt die Einsicht gewachsen ist, dass das ein Fehler war, diesen Krieg zu beginnen.“ Es sei trotzdem richtig, miteinander zu sprechen und Putin die eigene Sicht der Dinge darzulegen. Scholz sagte, er sei überzeugt, dass Russland sich aus der Ukraine zurückziehen müsse.

Ukrainischer Parlamentschef fordert deutsche Panzer

Zum Auftakt eines Deutschlandbesuchs forderte der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk von der Bundesregierung eine Führungsrolle bei der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. „Deutschland sollte seiner Führungsrolle gerecht werden und als erstes Land Kampfpanzer liefern“, sagte Stefantschuk der Deutschen Presse-Agentur am späten Mittwochabend in Berlin, wo er an einer Parlamentarier-Konferenz der G7 wirtschaftsstarker Demokratien teilnimmt. „Ein Land wie Deutschland wartet nicht darauf, was andere tun.“ Scholz hat immer wieder betont, dass er keine Alleingänge bei den Waffenlieferungen machen wolle.

Eine persönliche Teilnahme Selenskyjs bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung kommende Woche wird derweil unwahrscheinlicher. Wie mehrere Diplomaten in New York der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, ist eine Resolution in Arbeit, die dem ukrainischen Staatsoberhaupt eine Ansprache bei dem politischen Großereignis per Video erlauben würde. Eine persönliche Teilnahme Selenskyjs würde ein höheres Sicherheitsrisiko bei der Anreise bedeuten. Es wäre das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass er mit einer Auslandsreise Schlagzeilen macht. Putin will erklärtermaßen nicht an der Vollversammlung teilnehmen und stattdessen Außenminister Sergej Lawrow nach New York schicken.

© dpa-infocom, dpa:220915-99-767422/5

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