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Gas-Konflikt mit Russland: „Die Lage ist beherrschbar“

Die deutschen Gasspeicher sind zu 39 Prozent gefüllt mit steigender Tendenz, der größte Speicher in Rehden (Bild) allerdings zu weniger als einem Prozent. «Im Winter müssen die Speicher voll sein», betont Wirtschaftsminister Habeck. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa
Die deutschen Gasspeicher sind zu 39 Prozent gefüllt mit steigender Tendenz, der größte Speicher in Rehden (Bild) allerdings zu weniger als einem Prozent. «Im Winter müssen die Speicher voll sein», betont Wirtschaftsminister Habeck. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat weiterhin heftige Auswirkungen auf die Energiemärkte. Ein neues Dekret aus Moskau sorgt für Aufregung – und deutliche Worte des Bundeswirtschaftsministers.

Berlin/Essen (dpa) – „Russland setzt Energie als Waffe ein.“ Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sah sich erneut zu dieser Feststellung veranlasst.

Der Kreml hatte zuvor russischen Firmen verboten, mit ehemaligen Töchtern des Gasmultis Gazprom im Ausland Geschäfte zu machen. Mit anderen Worten: Moskau hat verfügt, dass diese Firmen ab sofort kein russisches Gas mehr erhalten. Betroffen sind vor allem Unternehmen, die zu Gazprom Germania gehören.

Gazprom Germania unter Kontrolle der Bundesnetzagentur

Zur Erinnerung: Das Unternehmen, zu dem etwa der deutsche Gashändler Wingas gehört, ist seit Anfang April unter Kontrolle der Bundesnetzagentur. Der Mutterkonzern Gazprom hatte sie zuvor an laut Ministerium „undurchsichtige Eigentümer“ verkauft. Als eine Liquidierung des Unternehmens angeordnet worden war, hatte Habeck die Treuhänderschaft durch die Netzagentur angeordnet.

Auf zehn Millionen Kubikmeter täglich beziffert die Bundesregierung die Menge, die jetzt nicht mehr an die Gazprom-Germania-Unternehmen geliefert wird. Hochgerechnet auf ein Jahr entspricht dies laut Ministerium rund drei Prozent des gesamten Jahresverbrauchs von Deutschland. Habeck ist sich jedoch sicher, dass dies nur „hypothetisch“ ist.

Vermutung: Gazprom will Gas über andere Händler liefern

Denn er vermutet, dass Gazprom das Gas jetzt über andere Händler in den europäischen Markt bringen will. „Vermutlich zu höheren Preisen, das kann auch der Sinn der ganzen Operation sein.“ Deswegen gebe es keine Sanktionierung der Netzbetreiber, stattdessen würden die bestehenden Verträge ins Visier genommen, um dann höhere Preise zu erzielen. „Darauf deutet es hin, dass das das Ziel der Operation ist. Wenn dem so wäre, hätten wir gar kein Mengenproblem, sondern es würde dann eben entsprechend teurer werden für Gazprom Germania, die zugesagten Verträge gegenüber anderen Lieferanten zu erfüllen.“ Der Minister geht davon aus, dass die Gasmenge über andere Verträge und neue Buchungen „mengengleich“ Europa und Deutschland erreichen kann.

Und die wegfallenden zehn Millionen Kubikmeter bei den Gazprom-Germania-Gesellschaften? „Diese Mengen können am Markt anderweitig beschafft werden, und es ist Aufgabe der Stunde, diese Kontingente neu zu besorgen.“ Habeck versprach: „Die Bundesregierung wird alles tun, um Gazprom Germania zu stabilisieren.“ Die Bundesregierung werde gegebenenfalls finanzielle Garantien geben.

Habeck hält Auswirkungen der Sanktionen für „überschaubar“

Alles in allem hält Habeck hält die Auswirkungen der Sanktionen für „überschaubar“. „Auf diese Situation und andere denkbare haben wir uns vorbereitet“, sagte er. „Die Lage ist beherrschbar, das Gas fließt nach Deutschland, aber wir beobachten die Situation sehr genau.“ Allerdings stieg am Donnerstag der Gas-Großhandelspreis. Am Mittag lag er für im Juni zu lieferndes Erdgas am niederländischen Handelsplatz TTF rund 14 Prozent über dem Vortageswert. „Das ist nicht schön, aber es entspricht den normalen Schwankungen seit Kriegsbeginn.“ Am Nachmittag notierte die Megawattstunde bei 105,80 Euro. Zum Vergleich: Anfang März hatte er kurz bei 211 Euro gelegen, vor einem Jahr bei 20 Euro.

In der jüngsten Verfügung aus Moskau geht es auch um die Speicherung von Gas in Deutschland. Nach Angaben der russischen Agentur Interfax ist das Anlegen von Vorräten mit russischem Gas in den Speichern Europas künftig verboten. Beim Gasspeicher-Branchenverband Ines löst dieses Verbot nur Kopfschütteln aus: „Wir halten ein Verbot, das russische Gasmengen zur Reservebildung nicht eingesetzt werden dürfen, für nicht praktikabel“, sagte Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke. Der Grund: Am Großhandelsmarkt gehandelte Gasmengen könnten keinem Herkunftsland mehr zugeordnet werden.

Größter Gasspeicher in Rehden könnte schneller befüllt werden

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, geht davon aus, dass die Befüllung des größten deutschen Gasspeichers im niedersächsischen Rehden aufgrund des Dekrets nun sogar schneller als bisher erfolgen kann. Wahrscheinlich werde Gazprom jetzt keine Speicherentgelte mehr für ihre Rechte an den Speichern bezahlen. „In dem Moment wären alle Verträge hinfällig.“ Dies würde es etwa für Wingas deutlich erleichtern, auch den Gasspeicher in Rehden „signifikant schneller zu befüllen, als das bisher der Fall war“. Woher das Gas komme, sei vollkommen zweitrangig. „Womöglich hat das (…) Dekret diesen Schritt erleichtert.“ Die deutschen Speicher waren am Dienstag zu 39 Prozent gefüllt mit steigender Tendenz. Der Speicher in Rehden ist allerdings weiterhin zu weniger als einem Prozent gefüllt.

Habeck ist nicht ohne Sorge: „Die Speicher müssen im Winter voll sein, sonst sind wir in einer sehr erpressbaren Situation“, sagte er. Die Bundesregierung arbeite unter Hochdruck daran, Importkapazitäten auszubauen, damit Deutschland auch bei Lieferunterbrechungen aus Russland über den Winter komme. Oberstes Gebot sei die Reduktion des Gasverbrauchs. „Sparen, sparen, sparen hilft uns in diesem Jahr extrem.“ Die Industrie, die Unternehmen, die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten ja noch mal schauen, wo sich noch mehr sparen lasse, „auch wenn ich weiß, dass viele das sicher schon wegen der hohen Preise tun“.

Keine Alarmstufe ausgerufen

Die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas, bei der es um eine stärkere Beobachtung des Markts geht, bleibt weiter in Kraft. Die Alarmstufe als zweite von drei Stufen wurde nicht ausgerufen. Dies sei erst angezeigt, falls erhebliche Mengen Gas Deutschland nicht mehr erreichten, sagte der Minister. „Das ist nicht der Fall.“

© dpa-infocom, dpa:220512-99-253059/13


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