Deutschland will nach der Brandkatastrophe von Moria mehr Hilfe leisten und 408 Familien mit Kindern – insgesamt 1553 zusätzliche Flüchtlinge – von fünf griechischen Inseln aufnehmen.
Darauf haben sich Union und SPD am Dienstag verständigt, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mitteilte. Es handelt sich dabei um 408 Familien mit Kindern, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden.
Dies soll der zweite Schritt sein, nachdem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Freitag mitgeteilt hatte, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen bis zu 150 Jugendliche aufnehmen. Die 400 Minderjährigen sollen auf europäische Länder verteilt werden.
In einem dritten Schritt sollen nach den unbegleiteten Jugendlichen und Familien laut Bundesregierung gegebenenfalls weitere Flüchtlinge aus Moria und anderen griechischen Lagern in Deutschland aufgenommen werden, wenn es dazu Vereinbarungen mit weiteren europäischen Staaten geben sollte.
Merkel: Hilfe nötig
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist die Aufnahme der Flüchtlinge und Familien in Deutschland aus Moria und den anderen Camps bereits mit der griechischen Regierung abgestimmt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem vernünftigen und humanitären Ansatz.
Sie werde weiter für einen europäischen Ansatz in der Migrationspolitik werben, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von Teilnehmern in der Sitzung der Unionsfraktion. Aber angesichts der Situation vor Ort sei Hilfe in großem Umfang nötig.
Mit Blick auf die Lage in Lesbos und im Lager Moria sagte Merkel, wenn Experten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagten, dass sie selten auf der Welt so ein Flüchtlingslager wie Moria gesehen hätten, „dann ist das kein Zeichen für Europas Werte und für Europas Handlungsfähigkeit“.
Söder: „Sehr guter Kompromiss“
CSU-Chef Markus Söder nannte den Vorschlag der Koalition einen „sehr guten Kompromiss“. Innenminister Seehofer machte am Rande der Fraktionssitzung klar, es werde ein geordnetes Verfahren geben, das einige Wochen in Anspruch nehmen werde. Da es sich um anerkannte Asylbewerber handele, könne in der Bundesrepublik sofort mit der Integration begonnen werden.
Die Menschen würden nicht zunächst in Unterkünfte für Asylbewerber kommen, sondern in Wohnungen. Er werde schwerpunktmäßig auf jene Länder und Kommunen zukommen, „die jetzt in Deutschland in den letzten Tagen pausenlos erklärt haben, dass sie die menschlichsten sind in Deutschland“, sagte der Minister.
Kritikern, die von einem erneuten deutschen Alleingang reden, hielt er entgegen: Wenn man feststelle, dass sich trotz vieler Bemühungen der Bundesregierung bei keinem anderen EU-Mitgliedsstaat etwas bewege, „können sie nur entscheiden: Sie machen gar nix. Oder sie machen eine verantwortbare Lösung, die sicherstellt, dass sich das Jahr 2015 nicht wiederholt.“
SPD-Chefin Saskia Esken ging am Dienstag davon aus, dass Deutschland nach der Aufnahme von 1553 zusätzlichen Flüchtlingen von den griechischen Inseln weitere Schutzsuchende von dort aufnehmen wird. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, mit der deutschen Zusage könne auf der Insel Moria Entspannung eintreten. Auch Scholz betonte, dass es damit aber nicht getan sei.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte von der Bundesregierung „eine schnelle Aufnahme von 5000 Menschen“. Die Aufnahme von 400 Familien, die schon positive Asylentscheidungen haben, sei „ein Alibi-Angebot“. Auch Linksparteichef Bernd Riexinger und die Hilfsorganisation Pro Asyl nannten die Pläne der Regierung unzureichend.
FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Wir verschließen uns nicht humanitären Verpflichtungen.“ Allerdings sei ein „kraftvoller Versuch“ für eine europäische Lösung geboten. AfD-Parteivize Stephan Brandner kritisierte, die Aufnahme von Migranten aus Moria schaffe „weitere Anreize, Flüchtlingslager weltweit in Brand zu stecken und so ein Ticket nach Deutschland zu erpressen“.
EU sieht Reform-Bedarf
EU-Ratspräsident Charles Michel betonte bei einem Besuch in Athen die Notwendigkeit einer Reform des europäischen Asylsystems. „Wir müssen eine gerechte und starke Antwort zur Bekämpfung der Schleuser und ein neues Asylsystem entwickeln“, erklärte er nach einem Treffen mit dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
Gastgeber Mitsotakis kündigte ein neues Lager auf der Insel Lesbos an, das unter gemeinsamer Führung der EU und Griechenlands entstehen solle. Entsprechende Pläne gibt es in Athen schon länger.
Allerdings wehrten sich die Bewohner der Insel bisher erfolgreich gegen solch eine Anlage. Sie fürchten, dadurch endgültig als Flüchtlingsinsel stigmatisiert zu werden und wollen, dass die Migranten die Insel verlassen.
Brandstifter festgenommen, neues Feuer
Die griechischen Behörden gehen davon aus, dass das seit Jahren überfüllte Flüchtlingslager Moria vergangene Woche von Migranten angezündet worden war. Zuvor war die Situation dort eskaliert, nachdem mehrere Asylbewerber positiv auf das Corona-Virus getestet worden waren.
Der griechische Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, teilte am Dienstag mit, fünf von sechs mutmaßlichen Brandstiftern seien ausfindig gemacht worden. Aus Polizeikreisen hieß es, die fünf Festgenommenen seien Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt worden waren. Mehr als 12 500 Migranten wurden durch den Brand in der Nacht zum vergangenen Mittwoch obdachlos.
Am Dienstagabend brach auf der griechischen Insel Samos nahe dortigen Flüchtlingslagers ein Feuer aus. „Es brennt am Rande des Registrierzentrums“, sagte der Bürgermeister der Ortschaft Vathy, Giorgos Stantzos, der dpa. In sozialen Medien wurden entsprechende Bilder und Videos eines großen Brandherds veröffentlicht.
Griechischen Medien zufolge ist das Feuer 200 bis 300 Meter oberhalb des Flüchtlingslagers ausgebrochen. Im Flüchtlingslager Vathy nahe des gleichnamigen Ortes auf der Insel Samos leben laut dem griechischen Migrationsministerium rund 4600 Migranten, das Lager hat nur eine Kapazität von rund 650 Plätzen. Am Dienstag waren im Camp zwei Menschen positiv auf das Corona-Virus getestet worden.
Neues Zeltlager mit Platz für 5000 Menschen
Die griechischen Behörden hatten – abgesehen von den 400 unbegleiteten Minderjährigen – offiziell bislang nicht um die Aufnahme der nun obdachlos gewordenen Menschen in anderen EU-Staaten nachgesucht.
Viele von ihnen zögern, in ein neues Zeltlager einzuziehen. Stand Dienstagmorgen waren rund 800 Migranten dort aufgenommen worden. Das neue Lager bietet mittlerweile Platz für rund 5000 Menschen, wie der griechische Staatssender ERT berichtete.
Deutschland hatte bereits vor dem Brand zugesagt, gemeinsam mit anderen europäischen Staaten besonders schutzbedürftige Migranten von den Inseln aufzunehmen – unbegleitete Kinder und Jugendliche sowie kranke Kinder mit ihren Eltern und Geschwistern. Laut Bundesregierung betrifft diese frühere Zusage insgesamt voraussichtlich mindestens 1000 Menschen, von denen mehr als 500 schon in Deutschland sind.
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