Mainz (dpa) – Wenn Margret Pohl mit ihrer Tochter Franziska einen Ausflug machen möchte, will das gut geplant sein – und misslingt doch oft wegen ebenso nebensächlicher wie natürlicher Bedürfnisse. Es mangelt nämlich an Toiletten.
Franzi ist 22 Jahre alt und schwer mehrfachbehindert aufgrund einer Infektion in der Schwangerschaft, wie Pohl berichtet. „Eine normale Behindertentoilette ist für uns keine Alternative“, erklärt Pohl, die Vorsitzende des Vereins für Körper- und Mehrfachbehinderte Mainz ist. „Wir brauchen eine Liege, im besten Fall auch einen Patientenlifter, um Franzi vom Rollstuhl auf die Liege legen zu können.“
Viel Planung – wenig Angebot
Ihre Tochter sei zwar schlank, aber mit ihren 1,70 Metern Größe könne weder Pohl noch die persönliche Assistentin, die Franziska oft begleite, sie eigenständig hochheben. „Franzi würde liebend gerne an Tagesausflügen teilnehmen, die wir vom Verein organisieren, aber das geht nicht, weil man sie nirgendwo frisch machen kann“, sagt Pohl. Eine Teilhabe am Leben, wie sie auch im Sinne der Inklusion gefordert sei, scheitere ganz banal an Toiletten. Touren in die Stadt hätten schon häufiger abgebrochen werden müssen, weil es keine Möglichkeit gegeben habe, Windeln zu wechseln.
„Bei Ausflügen mit dem Auto beginnt die Planung beim Thema Rastplatz“, sagt Torsten Gebhardt, Vorsitzender des Landesverbands für Körper- und Mehrfachbehinderte Rheinland-Pfalz. Nicht jeder sei mit einer behindertengerechten Toilette ausgestattet. In Theatern oder Kinos gebe es ebenfalls kaum Möglichkeiten, um Schwerstbehinderte zu versorgen. Gebhardt, der bei der Sozialen Dienstleistungsgesellschaft Mittelrhein in Kettig (Landkreis Mayen-Koblenz) arbeitet, muss seine ihm anvertrauten Schützlinge dann häufig vertrösten. Oder im Freizeitpark kurzerhand die Mutter-Kind-Wickelliegen nutzen.
Schlechte Ausstattung und mehr Platz benötigt
Noch schwieriger wird es Gebhardt zufolge, wenn jemand in einem Elektrorollstuhl unterwegs ist. „Hier kann es schon in der Behinderten-Toilette eng werden.“ Die sogenannten „Toiletten für alle“ sollen hier Abhilfe schaffen. Sie können vor allem wegen ihrer zusätzlichen Ausstattung schwer- und mehrfachbehinderten Personen helfen. Neben dem barrierefreien WC und einem Waschbecken gibt es mehr Platz, um sich zu bewegen, eine höhenverstellbare Pflegeliege mit abklappbarem Seitengitter, einen Personenlifter und einen luftdicht verschließbaren Abfallbehälter. So schildert es Nadine Held von der Stiftung Leben pur aus München, die sich bundesweit für die besonderen Toiletten einsetzt. Am 19. November ist Welttoilettentag.
„Wir empfehlen in der Regel zwölf Quadratmeter Fläche, also deutlich mehr als gewöhnliche barrierefreie Toiletten“, führt die Sprecherin aus. Mit Hilfe eines selbst mitgebrachten Liftertuchs und des Lifters ließen sich die betroffenen Personen rückenschonend auf die Pflegeliege umsetzen, wo dann von den Betreuenden die Inkontinenzeinlage gewechselt werden könne. Nur wenn all diese Kriterien erfüllt seien, erhalte der Sanitärraum das Qualitätssiegel der Stiftung Leben pur. In der Regel seien die Toiletten mit einem Euro-WC-Schlüssel, der auch zu den gängigen Behindertentoiletten passe, zugänglich.
Flächendeckende Struktur fehlt – Hilfe der EU
Bundesweit gibt es nach Angaben der Stiftung rund 100 „Toiletten für alle“ – die meisten davon im Süden und Südwesten sowie vereinzelte in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hessen. In Rheinland-Pfalz gibt es den Angaben zufolge bisher keine. Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen, empfiehlt zwar die „Toilette für alle“ als „sinnvolle Ergänzung zu den Vorgaben barrierefreier WC-Anlagen nach den DIN-Normen“. Ein eigenes Förderprogramm sei in Rheinland-Pfalz jedoch nicht vorgesehen. Eine Unterstützung entsprechender Vorhaben sei mit vorhandenen Förderprogrammen möglich, zum Beispiel durch eine LEADER-Förderung.
„Andere Länder und auch das Ausland sind da besser aufgestellt als Rheinland-Pfalz“, meint Gebhardt. Pro Stadt sollte es am besten zwei bis drei solcher Einrichtungen geben, findet Pohl. Der Mainzer Verein habe aus der Not heraus bereits eine Kooperation mit Seniorenheimen angedacht, da dort entsprechende Einrichtungen häufig vorhanden seien. „Es wäre wirklich wichtig, dass Wickelmöglichkeiten über das Land flächendeckend verteilt zur Verfügung stehen“, fordert Pohl.
Vielleicht kommt Pohl und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern bald die EU zur Hilfe. „Es gibt auf europäischer Ebene einen Entwurf für einen erweiterten Standard zur Toilette für alle“, berichtet Held. Sollte dieser die bisherige DIN-Norm für Barrierefreies Bauen ergänzen, würde es entsprechende Anforderungen zumindest an neu entstehende öffentliche Gebäude geben und somit ein weiterer wichtiger Meilenstein zu einer inklusiven Gesellschaft gelegt werden, erläutert Held. Aber bis dahin sei noch alle Hände voll zu tun.
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