Bad Neuenahr-Ahrweiler/Bodenheim (dpa/tmn) – Alexander Kohnen lässt den strohgelben Blanc de Noir mit Schwung im Weinglas kreisen und fordert in die Kamera auf: „Nehmt einen kleinen Schluck und stellt fest, ob ihr einen trockenen Wein habt oder einen halbtrockenen. Das merkt ihr an der Zungenspitze.“
Mehr Säure mache sich am Speichelfluss bemerkbar, der an den Zungenrändern herausfließt, erklärt der Inhaber des International Wine Institutes Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Was für eine coole Vorstellung, dass mit mir zeitgleich ein paar Hundert Leute gerade einen Blanc de Noir über die Zungenspitze strömen lassen und ergründen, was das im Mund so alles auslöst. All diese Menschen haben sich wie ich drei Flaschen von Winzern aus der Ahr-Region nach Hause kommen lassen.
Die Online-Weinproben liegen im Trend und werden pandemiebedingt täglich populärer. Das Deutsche Weininstitut (DWI) hat bereits 160 Winzer aus den 13 deutschen Weinanbaugebieten sowie Veranstalter virtueller Weinproben in einer Anbieterliste aufgeführt, die Online-Tastings veranstalten.
Winzer wurden überrascht von der Resonanz
„Viele Winzer wurden überrascht von der großen Resonanz. Ich denke sogar, die Online-Weinproben sind gekommen, um zu bleiben“, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher. Er hat beobachtet, wie sich Weingüter und Winzergenossenschaften raketenartig professionalisiert haben – sowohl bezüglich des Equipments als auch hinsichtlich der Präsentation.
Oftmals verbleiben die Weinverkostungen im Netz. „So kann man die Probe zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen, wenn man nicht alle Weine an einem Abend verkosten möchte oder wenn man sich mit Freunden erneut zu einem Wein-Tasting verabredet“, erklärt Büscher.
Ganz nebenbei gibt es bei den Online-Testings auch reichlich Tipps, sich einem Wein zu nähern. „Wenn man ungeschwenkt in das Glas hineinriecht, bekommt man erstmal das Reine, was als erstes abdampft“, sagt Alexander Kohnen zum Blanc de Noir. Das sei meist das Aroma, was aus dem Weinberg und der Traube kommt. „Wenn ich dann schwenke, trifft die warme Luft auf den Glasboden. Der Sauerstoff zieht nach oben und die Aromen können andocken“, erklärt Kohnen und lässt das Glas in seiner Hand kreisen.
Dabei tue auch die Form des Glases etwas für den Wein. Für einen Blanc de Noir empfiehlt der Ahr-Experte etwa Gläser mit einer kleinen Kuppe: „Die hat den Vorteil, dass die Kühle lange im Glas erhalten bleibt.“ Ein enger Rand des Glases wiederum bestimmt die Fließgeschwindigkeit, mit der der Wein auf die Zungenspitze trifft.“
Welche Speisen passen zu welchen Tropfen?
Praktisch sind auch Empfehlungen, welches Essen zu welchem Tropfen passt. Kohnen fällt zum Beispiel beim Blanc de Noir sofort zweierlei vom Perlhuhn ein. Also Brust und Keulchen, dazu Blattsalate mit einem Himbeer-Grapefruit-Dressing.
Auch über Geld sollte man reden: Die eigentlichen Verkostungs-Events sind kostenlos. Zahlen muss man allerdings für den Wein. Je nach Anzahl der zu besprechenden Flaschen muss in der Regel mit 40 bis 60 Euro gerechnet werden. Manchmal bieten Winzer auch Schnupperpreise.
Käse, Weißbrot, Speckpflaumen bereithalten
Es gebe mittlerweile auch virtuelle Verkostungen, die mit Schlemmerpaketen gekoppelt sind – entweder zum Vorkochen direkt zum Tasting oder gleich mit Direktlieferungen vom Partner-Gastronomen, berichtet Ernst Büscher.
Er empfiehlt zur Vorbereitung auf speisenfreie Verkostungen ein bisschen Weißbrot und Käse für zwischendrin bereitzustellen. Eher Weichkäse zum weißen und bevorzugt Bergkäse zum roten Wein. Auch mit Speck ummantelte Pflaumen und Datteln seien gute Weinbegleiter.
Weiß- und Roséweine rechtzeitig kaltstellen
Nicht vergessen werden sollte, rechtzeitig vor der Verkostung Rosé- und Weißweine natürlich gut zu temperieren und Rotweine atmen zu lassen, erinnert Ernst Büscher. Wenn einem das erst einfällt, wenn die Verkostung beginnt, sei das Erlebnis leider getrübt.
Bei Weinverkostungen mit mehreren Hundert Teilnehmern fasst meist ein Moderator die Fragen und Kommentare zusammen. Das gibt dem Event oft eine ganz eigene Dynamik. Da kommt es schon mal vor, dass noch über den Anteil der Steillagen oder den Vorzügen vom Anbau auf Schiefer gesprochen wird, der Moderator aber dazwischenfunkt: „Es häufen sich gerade die Anfragen, ob man sich schon einschenken soll?“
Eingeschenkt werden soll auf jeden Fall bei den kommenden zwölf Weinentdecker-Seminaren über weitere deutsche Weinanbaugebiete, die monatlich bis März 2022 folgen.
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