Bund und Länder wollen künftig zielgenauer mit kleinräumigen Maßnahmen auf lokale Ausbrüche der Corona-Pandemie reagieren: Reisesperren oder Quarantäne soll es geben können, wenn die Zahl der Infektionen in dem betroffenen Gebiet weiter steigt oder es keine Gewissheit gibt, dass die Infektionsketten unterbrochen sind.
Dies vereinbarten Kanzleramtschef Helge Braun und die Staatskanzleichefs der Länder in eineinhalbstündigen Beratungen. Diese Maßnahmen sollten zielgerichtet sein und müssten sich nicht auf einen gesamten Landkreis oder eine ganze kreisfreie Stadt beziehen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll mit seinen Kollegen in den Ländern angesichts der laufenden Urlaubszeit kurzfristig die nationale Teststrategie für den Umgang mit Reiserückkehrern weiterentwickeln.
Sie sollen Kriterien festlegen, ob, wann und in welchem Umfang Tests für Rückkehrer sinnvoll sind. Dies könne der Fall sein, „wenn eine Urlaubsregion eine deutlich höhere Zahl aktiver Fälle aufweist als Deutschland im Durchschnitt“ – auch wenn die Kriterien für ein Risikogebiet noch nicht erreicht seien.
Ausreisebeschränkungen nur für tatsächlich betroffene Gebiete
Mobilitätsbeschränkungen in Corona-Hotspots sollten sich je nach den örtlichen Gegebenheiten auf die betroffenen Bereiche oder kommunalen Untergliederungen auch in Nachbarkreisen beschränken, heißt es im Beschluss.
Das jeweilige Land und der Bund sollten die schnelle Kontaktnachverfolgung und Testmöglichkeiten unterstützen, „auch damit der Zeitraum der Maßnahmen möglichst kurz gehalten werden kann“.
Diese Regelungen entsprechen weitgehend den Vorschlägen, mit denen das Kanzleramt zu Beginn der Woche bereits in die Diskussion mit den Ländern gegangen war. Kanzleramtschef Braun hatte schon bei ersten Beratungen zu den nun beschlossenen Anpassungen für zielgenaue und nicht für großflächige Ausreisesperren geworben.
Regeln für Urlauber, die aus besonders betroffenen Gebieten kommen
Bund und Länder halten an den Ende Juni beschlossenen Beschränkungen für Reisende aus Corona-Gebieten fest. Diese sollen nur dann in einem Hotel oder anderen Unterkunft untergebracht werden oder ohne Quarantänemaßnahmen einreisen dürfen, wenn sie nachweisen können, „dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus Sars-Cov-2 vorhanden sind“. Ein entsprechendes ärztliches Zeugnis müsse sich auf einen Corona-Test stützen, der höchsten 48 Stunden vor Anreise gemacht wurde.
Beschlossen wurden ferner Regeln für Corona-Ausbrüche in Clustern wie Unternehmen, Einrichtungen, Freizeitgruppen, Glaubensgemeinschaften oder bei Familienfeiern: Hier sollten „die bewährten Maßnahmen Quarantäne, Kontaktnachverfolgung und Testung“ angewendet werden, auch Reisesperren könnten möglich sein.
Für die Umgebung betroffener Arbeitsplätze oder Freizeitgruppen soll es rasch Quarantäneanordnungen geben – auch ohne positive Corona-Tests. „Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit ist die Isolierung von Kontakt- bzw. Ausbruchsclustern im Vergleich zu regionalen Beschränkungsmaßnahmen ein milderes Mittel“, heißt es.
Auslands-Rückkehrer aus Risikogebieten müssen in Quarantäne
Interessant gerade in der Urlaubszeit sind Details für aus dem In- und Ausland zurückkehrende Urlauber. So gelten Reiserückkehrer aus dem Inland, die sich mehrere Tage in einem besonders betroffenen Gebiet aufgehalten haben, nicht als Ansteckungsverdächtige, wenn sie die dort geltenden Beschränkungen eingehalten haben.
Rückkehrer aus dem Ausland, die sich in den 14 Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, müssen sich weiterhin direkt für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben. Ausnahmen sind nur bei Durchreise und triftigen beruflichen Gründen möglich – oder wenn man mit ärztliches Zeugnis belegen kann, dass man innerhalb von 48 Stunden vorher negativ getestet wurde.
In einer Protokollerklärung wiesen Bremen und Thüringen darauf hin, dass die Einschätzung der Gesundheitsbehörden der betroffenen Gebiete „Grundlage und Maßstab für die Maßnahmen der Reisezielgebiete sein muss“.
Auch Gesundheitsminister für lokale Ausreisesperren
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten sich zuvor ebenfalls auf zielgenauere, lokale Beschränkungen in Regionen mit einem starkem Corona-Ausbruch verständigt. Lokale Ausreisesperren könnten dabei „ein geeignetes Mittel“ sein, heißt es in einem der dpa vorliegenden Papier der Gesundheitsministerkonferenz vom Donnerstag.
„Die Abriegelung ganzer Bezirke zum Beispiel in Hamburg oder Berlin ist nicht möglich“, heißt es in dem Papier. Es dürfe bei solchen Maßnahmen keinen Automatismus geben: „Entscheidungen müssen vor Ort flexibel von den zuständigen Behörden getroffen werden.“
Braun hatte nach der teils aufgeregten jüngsten Diskussion am Morgen im ZDF betont, es gehe nicht darum, ganze Landkreise einzuschränken. „Schneller, kleinräumiger, präziser, das ist das, was wir heute vereinbaren wollen.“
Beschränkungen wie Reisesperren oder Quarantäne solle es nur noch dort geben, wo sie unbedingt notwendig seien, etwa in Teilen eines Betriebs oder in Teilen einer Gemeinde, in denen das Corona-Virus ausgebrochen sei.
Definition für Risikogebiet bleibt
Vor kurzem hatten mehr als 1.000 positiv getestete Mitarbeiter des Fleischkonzern Tönnies in Nordrhein-Westfalen zu regionalen Einschränkungen im öffentlichen Leben in den Kreisen Gütersloh und Warendorf geführt. Betroffen waren zeitweise rund 640.000 Einwohner. Das Oberverwaltungsgericht Münster kippte die vom Land verfügten Einschränkungen aber später als nicht mehr verhältnismäßig.
Als Corona-Risikogebiete gelten Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen 50 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen übersteigt oder große Unsicherheit über die tatsächliche Ausbreitung herrscht.
Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, begrüßte den Verzicht von Bund und Ländern auf Ausreisesperren für ganze Landkreise. „Wir sind bislang sehr gut damit gefahren, das örtliche Infektionsgeschehen präzise zu begrenzen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, sah dies ähnlich: „Notwendig und richtig sind praxistaugliche, maßgeschneiderte Hotspot-Strategien mit regional differenzierten und räumlich sowie zeitlich eng begrenzten Lösungen, die sich an der tatsächlichen Infektionsgefahr orientieren.“ Alles andere wäre unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, sagte Theurer.
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