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Dringende Appelle zu mehr Impfungen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht am Rande des G20-Treffens der Gesundheitsminister mit Journalisten. Foto: Johannes Neudecker/
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht am Rande des G20-Treffens der Gesundheitsminister mit Journalisten. Foto: Johannes Neudecker/

Monatelang waren Corona-Impfungen knapp und heiß begehrt. Doch der Andrang ist schwächer geworden. Vor der kälteren Jahreszeit mit mehr Ansteckungsgefahren wirbt der Gesundheitsminister für ein Impfziel.

Berlin (dpa) – Angesichts der stockenden Impfungen wachsen Sorgen vor einer kritischeren Corona-Lage in Deutschland im Herbst. Mediziner warnten vor einer starken Belastung der Intensivstationen, sollte das Impftempo nicht schnell anziehen.

Gesundheitsminister Jens Spahn rief erneut eindringlich dazu auf, Impfangebote möglichst bald anzunehmen. „Um sicher durch Herbst und Winter zu kommen, braucht es noch fünf Millionen Impfungen und mehr“, sagte der CDU-Politiker am Sonntag in Rom mit Blick auf vollständige Impfungen. Beraten werden soll auch über einheitlichere Quarantäne-Regeln für Fälle in Schulen.

Um nach der Sommerferienzeit wieder mehr Schwung in die Impfungen zu bekommen, drängt nun ebenfalls die Zeit, wie Spahn deutlich machte. „Jetzt im September entscheiden wir darüber, und zwar in Deutschland und Europa, wie sicher wir durch Herbst und Winter kommen“, sagte er am Rande eines G20-Treffens der Gesundheitsminister. Impfen schütze nicht nur einen selbst, sondern auch andere und insbesondere die Schwächeren in der Gesellschaft. Vollständig geimpft sind inzwischen 50,9 Millionen Menschen oder 61,2 Prozent der Bevölkerung. Mindestens eine Impfung haben knapp 54,7 Millionen Menschen (65,7 Prozent).

Intensivmediziner warnen

Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin mahnte zu Tempo. „Wenn wir bis Oktober nicht die Impfquote deutlich nach oben bringen, bekommen wir im Herbst einen richtig starken Anstieg der Corona-Fälle auf den Intensivstationen“, sagte Präsident Christian Karagiannidis der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstag). Auch Spahn sagte der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Samstag): „Die Impfquote ist noch zu niedrig, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.“ Auf den Intensivstationen seien 90 Prozent der Covid-Patienten ungeimpft.

Mehr Impfungen – aber wie?

Die Praxisärzte werben dafür, jetzt vor allem noch Unentschlossene zu erreichen. „Hier sollte der Hauptfokus der Anstrengungen liegen, noch vor den Auffrischimpfungen“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, der Deutschen Presse-Agentur. Da seien einfache Angebote ohne Termin sinnvoll. Auch Spahn setzt auf viele, die noch überlegen, Fragen haben – oder nicht dazu gekommen sind. „Die gibt’s tatsächlich noch.“ Viele Vor-Ort-Angebote laufen, im September soll eine Aktionswoche folgen. Spahn machte auch klar: „Wer sich nicht impfen lässt, der wird es an bestimmten Stellen eben auch schwerer haben müssen, einfach weil der Schutz nicht da ist.“

Erreichbare und Nicht-Erreichbare

Aus Sicht des Berliner Virologen Christian Drosten ist es manchmal eher eine gewisse Gleichgültigkeit, die eine Entscheidung für die Impfung verhindere. Das sei ein Unterschied zu Portugal oder Spanien, sagte er im Podcast „Das Coronavirus-Update“ von NDR Info (Freitag). „Die haben eine schreckliche gesamtgesellschaftliche Erfahrung hinter sich. Viele Tote und einen richtigen Lockdown, wo man nur zum Einkaufen mit Begründung nach draußen darf, und auf der Straße patrouilliert das Militär.“ Spahn sagte, es gebe aus seiner Sicht nur eine „sehr geringe Zahl“ von Menschen, die Impfungen grundsätzlich und hart ablehnten. „Die anderen können und wollen wir erreichen.“

Impfungen als Wahlkampfthema

Auch im Wahlkampf sind die Impfungen ein Thema. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) forderte seinen SPD-Konkurrenten Olaf Scholz auf, von Begriffen wie „Versuchskaninchen“ Abstand zu nehmen. „Menschen sind keine Versuchskaninchen in diesem Land“, sagte er am Samstag in Potsdam. Scholz wirbt für Impfungen und hatte etwa bei einem Auftritt in Berlin gesagt: „Wir alle waren gerne eure Versuchskaninchen – bei uns ist das mit der Impfung gut gegangen, jetzt bitte macht es auch.“

Vier Millionen und kein Ende in Sicht

Vier Wellen, mehr als vier Millionen Infizierte: So könnte man den Verlauf der Pandemie in Deutschland äußerst knapp zusammenfassen. Am Sonntag lag die Zahl der bekannten Ansteckungen erstmals über der Vier-Millionen-Marke. Die Verbreitung ist derzeit nicht zu bremsen. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag laut Robert Koch-Institut (RKI) nun bei 83,1. Das ist der höchste Wert seit Mitte Mai. Auf den Höhepunkten der zweiten und dritten Welle war der Wert etwas mehr als doppelt so hoch. Auch die Zahl der Menschen, die mit Corona in Kliniken müssen, steigt, aber weniger rasant. Auf Intensivstationen liegen nun mehr als 1250 Menschen. Die Belastungsgrenze sehen Mediziner bei 5000.

Vorsicht Ansteckungsgefahr – mit riesigen Unterschieden

Das Virus grassiert derzeit besonders unter jungen Leuten. So lag die 7-Tage-Inzidenz bei 10- bis 19-Jährigen laut RKI zuletzt bei mehr als 170. Zum Vergleich: Das sind 17 Mal mehr Ansteckungen als bei 75- bis 79-Jährigen. Gründe dürften niedrigere Impfquoten bei Jungen sein, auch mehr Kontakte zu anderen Menschen. Auffällig bei den Inzidenzen ist zudem, dass in den Ost-Bundesländern trotz etwas niedrigerer Impfquoten deutlich weniger Infektionen gemeldet werden. So lag die 7-Tage-Inzidenz in Hessen und Nordrhein-Westfalen bei rund 115, in Sachsen und Sachsen-Anhalt unter 30. Warum, ist nicht ganz klar.

Impfen schützt

Das Risiko, mit Corona ins Krankenhaus zu müssen, ist für Geimpfte derzeit äußert gering. Das zeigt eine neue RKI-Auswertung von Freitag. So lag das Risiko einer Klinikeinweisung in Verbindung mit Corona bei Ungeimpften zuletzt mehr als fünf Mal so hoch wie bei Geimpften. Die Impf-Effektivität mit Blick auf eine Klinikeinweisung gibt das RKI mit rund 95 Prozent für Menschen ab 18 an.

Mahnungen zu Schutz an Schulen

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte die Länder auf, sich bei Corona-Regeln in der Schule auf eine „klare Linie“ zu verständigen. Sie würde sich freuen, wenn die Quarantäne von 14 Tagen mit einer klugen Teststrategie verkürzt werden könnte, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Bisher gibt es unterschiedliche Vorgaben, wenn es in einer Klasse ein infiziertes Kind gibt. Die Länder-Gesundheitsminister wollen an diesem Montag über „möglichst einheitliche Regeln“ beraten, wie der Vorsitzende, Klaus Holetschek (CSU) aus Bayern, sagte. Der Direktor des Instituts für Infektionsmedizin am Uniklinikum Jena, Mathias Pletz, warnte davor, Corona-Maßnahmen an Schulen vorschnell aufzuheben. „Nach allem, was wir über Delta wissen, kann man es nicht einfach laufen lassen.“

© dpa-infocom, dpa:210905-99-97938/5

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